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Politik der Geschlechterverhältnisse
Auf der Grundlage von Interviews mit jungen Männern und Frauen aus der deutschsprachigen Schweiz analysiert Karin Schwiter die Zukunftspläne junger Erwachsener. Wie wollen sie ihr Leben gestalten? Welche Bedeutung messen sie der Erwerbsarbeit bei? Welche Erwartungen haben sie an ihre berufliche Zukunft? Wollen sie Kinder haben? Was sind ihre Vorstellungen von Vaterschaft und Mutterschaft? Und wie werden sie ihre zukünftigen Familien organisieren? Mittels einer foucaultschen Diskursanalyse arbeitet die Autorin die Logiken der Lebensplanung junger Erwachsener heraus, welche sich in den Interviews zeigen. Ihre Analyse macht sichtbar, wie durch die Vorstellung von Individualität fortbestehende Geschlechternormen ausgeblendet und gesellschaftliche Herausforderungen zu individuellen Entscheidungsproblemen umgedeutet werden.
Autorentext
Karin Schwiter, Dr. phil., ist Oberassistentin am Geographischen Institut der Universität Zürich und Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Zentrum Gender Studies der Universität Basel.
Leseprobe
Junge Erwachsene gelten als die Zukunft der Gesellschaft - als jene Generation, die ihr Leben noch vor sich hat und die Trends von Morgen bestimmen wird. Im Gegensatz zu Kindern und Jugendlichen zählen sie bereits als vollwertige Mitglieder der Gesellschaft. Die heutigen Erwartungen an sie sind entsprechend vielfältig. Sie sollen beispielsweise möglichst wertvolle Bildungszertifikate erwerben, erwerbstätig sein, Kinder kriegen und sich zumindest bereits Gedanken gemacht haben, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen. Insbesondere die Kinderfrage hat im Zuge der Debatte um die Alterung der Gesellschaft eine besondere Brisanz gewonnen. Das Bild einer schrumpfenden und vergreisenden Gesellschaft schlägt zurzeit in allen deutschsprachigen Ländern hohe Wellen. Wissenschaftliche Studien dokumentieren einen Rückgang an Geburten und entwickeln daraus krisenhaft anmutende Szenarien für die Zukunft. "Es ist dreißig Jahre nach zwölf" resümiert beispielsweise der deutsche Demograph Herwig Birg (2005: 149) in populistischer Manier und fordert eine rasche Erhöhung der Geburtenrate. Die Medien titeln "Stirbt die Schweiz aus?" (Tönz 2006) oder drohen "Sonst sterben wir aus" (Dietschi 2009). Der Blick richtet sich in dieser Debatte um die Alterung der Bevölkerung oft auf die jungen Erwachsenen: Wollen sie überhaupt noch Kinder haben? Und weshalb allenfalls nicht? Bei Paaren, die bereits eine Familie gegründet haben, steht demgegenüber vor allem die Verteilung der anfallenden Arbeit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Gemäß Studien organisiert sich in der Schweiz nach wie vor der größte Teil der Paare mit Kindern unter sieben Jahren nach dem Ernährer-Hausfrau-Modell, wobei der Vater vollzeitlich und die Mutter nicht oder allenfalls in einem (meist geringen) teilzeitlichen Pensum erwerbstätig ist und dafür den Hauptteil der Kinderbetreuung und Hausarbeit übernimmt (Bühler und Heye 2005: 47ff). Gemäß jüngster Daten des Bundesamtes für Statistik waren auch im Jahr 2009 über 80 Prozent der Paarhaushalte mit Kindern unter sieben Jahren nach diesem Modell organisiert (BFS 2010). In Deutschland sind es 73 Prozent, in Österreich 70 Prozent der Paarfamilien (BFS 2009b, Daten von 2005 bzw. 2006). Betrachtet man den Zeitaufwand für die Haus- und Familienarbeit, zeichnet sich ein ähnliches Bild. Während Frauen im Jahr 2007 in der Schweiz durchschnittlich 30 Stunden pro Woche dafür aufwendeten, waren es bei den Männern 18 Stunden. Trotz einer leichten Angleichung der Werte im Verlaufe des letzten Jahrzehnts investieren Frauen also nach wie vor beinahe doppelt so viel Zeit in Haus- und Familienarbeit wie Männer (BFS 2009a). Jüngste Zeitverwendungsstudien aus Österreich (Statistik Austria 2009) und Deutschland (Statistisches Bundesamt 2003) ergeben ähnliche Resultate. Gleichzeitig finden sich jedoch auch Anzeichen dafür, dass die Arbeitsteilung in Familien in Bewegung geraten ist. Die so genannt "neuen Väter", die ihre Kinder auch im Alltag betreuen und mindestens so professionell wie ihre Frauen Windeln wechseln, Babyfläschchen wärmen und Kindernasen putzen, sind sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der populärmedialen Diskussion omnipräsent. Eine Vielzahl von Forschungsarbeiten beschäftigt sich mit den sich abzeichnenden Veränderungen der Bedeutung von Vaterschaft. Sie dokumentieren neue Leitbilder und Alltagspraxen von Vätern und portraitieren zum Beispiel so genannt aktive, egalitäre oder partnerschaftliche Väter (siehe jüngst z.B. Baumgarten et al. 2008, Benz 2008, Gumbinger und Bambey 2007, Kassner 2008, Schwiter 2009, Zerle und Krok 2008). Die Medien titeln: "Wenn Väter zu Hause Karriere machen" (Marquard 2009) und "Vaterschaft: Anschlag auf die alte Herrlichkeit" (Ninck 2009). Sie hinterfragen damit klischierte Geschlechterrollen und diskutieren beispielsweise eine Ausweitung des Vaterschaftsurlaubs (z.B. Brunner und Santner 2009). Zeigt das Ernährer-Hausfrau-Modell tatsächlich verstärkte Erosionserscheinungen? Wie will die nächste Generation von jungen Müttern und Vätern dereinst ihre Familien organisieren? Wie verstehen die heute noch kinderlosen jungen Erwachsenen Vaterschaft und Mutterschaft? Auch in der Erwerbswelt zeichnen sich Veränderungen ab. Einerseits stieg die Erwerbsbeteiligung von Frauen in allen deutschsprachigen Ländern in den letzten Jahrzehnten an (BFS 2007 :3f, Bühler und Heye 2005: 22ff). Gleichzeitig gehört die Ära der Lebensjobs, als in den ersten Dekaden der Nachkriegszeit insbesondere junge Männer nach Abschluss der Ausbildung in eine Firma eintraten und dort bis zur Pensionierung blieben, der Vergangenheit an. Für eine steigende Anzahl Beschäftigter ist das Berufsleben geprägt durch mehrmalige Wechsel von Arbeitgebenden, unterbrochen von Phasen von Arbeitslosigkeit, Elternschaft, beruflicher Neuorientierung und Nachqualifikationen. Arbeitsverhältnisse haben in verschiedenster Hinsicht Flexibilisierungen erfahren (siehe hierzu z.B. Baumgartner 2008, Sennett 1998, Szydlik 2008). Junge Erwachsene stehen am Beginn ihrer Erwerbslaufbahn. Wie gehen sie mit den gegenwärtigen Trends in der Arbeitswelt um? Welche Erwartungen haben sie an ihre berufliche Zukunft? Generell wird von jungen Erwachsenen erwartet, dass sie ihr Leben aktiv und selbständig planen. Im Zuge gesellschaftlicher Individualisierung wird der eigene Lebensweg nicht länger als vordefiniert, sondern zunehmend als individuelles Projekt verstanden (siehe hierzu z.B. Keddi 2003). Jeder und jede ist anders und soll deshalb eigenverantwortlich darüber entscheiden, was er oder sie mit dem eigenen Leben anfangen will. Verstehen sich die jungen Erwachsenen tatsächlich als "homo optionis" (Beck und Beck-Gernsheim 2001:5)? Wie gehen sie mit der wahrgenommenen Wahlfreiheit angesichts einer Vielfalt lebensplanerischer Möglichkeiten um und auf welche Art und Weise prägt das ihre Lebensentwürfe? Inwieweit ist die Vorstellung von Individualität inzwischen Teil des Selbstverständnisses der jungen Erwachsenen geworden? Welche Konsequenzen hat es, wenn die Verantwortung für die eigene Biographie vollständig dem Individuum zugeschrieben wird? Gilt damit auch jedes Scheitern als selbstverschuldet? Und inwiefern trägt die Idee von Wahlfreiheit dazu bei, Geschlechternormen festzuschreiben oder zu verändern? Forschungsfragen Diesen Fragen will die vorliegende Studie nachgehen. Leitfrage dabei ist Wie sprechen junge Erwachsene über ihre Zukunftspläne? In einem ersten Schritt geht es um die konkreten Inhalte der Lebensentwürfe der jungen Erwachsenen. Welche Vorstellungen haben sie von ihrer zukünftigen Berufstätigkeit, Karriere, Elternschaft und familialen Arbeitsteilung? Zweitens liegt das Forschungsinteresse auf der Konzeptualisierung von Lebensplanung. Das heißt: Welches Verständnis von Lebensplanung zeigt sich in den Erzählungen der jungen Erwachsenen? Inwiefern…