Tiefpreis
CHF29.00
Auslieferung erfolgt in der Regel innert 1 bis 2 Wochen.
Kein Rückgaberecht!
In den 1960er-Jahren präsentierten sich deutsche Politiker auf "privaten Pilgerreisen" in Israel als Vertreter eines moralisch erneuerten Deutschlands. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen (1965) belegten die nun offiziellen Reisen den deutschen Anspruch auf "Normalisierung"; die israelische Regierung dagegen bestand in den Gesprächen auf der besonderen moralischen Verantwortung der Deutschen. Hinter den Kulissen verstanden beide Seiten von Beginn an ihre Wiederannäherung als ein pragmatisches Projekt. Die Studie analysiert umfassend, wie die Wiederannäherung nach dem Zivilisationsbruch der NS-Diktatur in die Rhetorik von Moral und Versöhnung gekleidet wurde.
»Hestermanns bündige Untersuchung der Reisediplomatie im historischen Kontext, die Einbeziehung der Biographien der Akteure und der Reaktionen der Öffentlichkeit machen ihr Werk [] besonders empfehlenswert.« Gerd Kühling, H-Soz-Kult, 30.11.2016 »Inszenierte Versöhnung [ist] ein origineller, sorgfältig recherchierter und gedankenreicher Beitrag zur Erforschung der deutsch-israelischen Beziehungen im Gefolge des Holocaust.« Ofer Ashkenazi Maximilian, Historische Zeitschrift, 21.08.2018
Autorentext
Jenny Hestermann, Dr. phil., ist wiss. Mitarbeiterin am Fritz Bauer Institut.
Klappentext
In den 1960er-Jahren präsentierten sich deutsche Politiker auf "privaten Pilgerreisen" in Israel als Vertreter eines moralisch erneuerten Deutschlands. Nach Aufnahme der diplomatischen Beziehungen (1965) belegten die nun offiziellen Reisen den deutschen Anspruch auf "Normalisierung"; die israelische Regierung dagegen bestand in den Gesprächen auf der besonderen moralischen Verantwortung der Deutschen. Hinter den Kulissen verstanden beide Seiten von Beginn an ihre Wiederannäherung als ein pragmatisches Projekt. Die Studie analysiert umfassend, wie die Wiederannäherung nach dem Zivilisationsbruch der NS-Diktatur in die Rhetorik von Moral und Versöhnung gekleidet wurde.
Leseprobe
I. Einleitung
Als der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz 2014 nach Israel reiste, zog er mit seiner öffentlichen Stellungnahme zur Verteilung von Wasserressourcen die Kritik vieler Parlamentarier in der Knesset auf sich und sorgte für einen Eklat. Mitglieder der Regierungspartei Likud hatten vorab angekündigt, Schulz' Rede vor der Knesset boykottieren zu wollen. Der Abgeordnete Moshe Feiglin erklärte, es sei unzumutbar, einer Rede in der Sprache jener Verbrecher zuzuhören, die seine Eltern in die Deportationszüge und Krematorien gebracht hätten. Schulz hatte zuvor die palästinensischen Gebiete besucht und berichtete nun davon, dass ihm ein Palästinenser in Ramallah erzählt habe, der Pro-Kopf-Wasserverbrauch der Israelis übersteige den der Palästinenser um das Vierfache. Noch während dieser Rede stürmte der Wirtschaftsminister Naftali Bennett mit den Worten "Ich akzeptiere keinen Lügenreigen, und schon gar nicht von einem Deutschen" demonstrativ aus dem Saal. Das deutsch-israelische Verhältnis ist auch im Jahr 2014 noch von der Ermordung der europäischen Juden bestimmt, die gut 70 Jahre zuvor von Deutschen geplant, organisiert und durchgeführt worden war, also von Ereignissen, die allgemein als "die Vergangenheit" bezeichnet werden.
In den ersten Jahrzehnten nach dem Holocaust wurden die Beziehungen zwischen deutschen und israelischen Politikern wie auch die zwischen Wissenschaftlern beider Länder häufig als "Brücke über den Abgrund" bezeichnet. Strittig war, ob diese Brücke gebaut werden könnte, ja gebaut werden sollte. Anhand privater und offizieller Besuche und der Biographien der reisenden Politiker wird in der vorliegenden Untersuchung nach der politischen Praxis gefragt, die zur Annäherung und zum "Brückenbau" führte - und danach, welche Risse in dieser Brücke immer wieder auftraten. Die Beziehungen zwischen Deutschland und Israel, von den ersten Kontakten bis zur Aufnahme diplomatischer Beziehungen und ihrer Ausgestaltung, müssen vor dem Hintergrund des Ost-West-Konfliks und des beginnenden Kalten Kriegs betrachtet werden. Denn die Bundesrepublik Deutschland und Israel verstanden ihre diplomatischen Beziehungen als ein pragmatisches Projekt, das sich auf politische Konstellationen und die Wahrnehmung wirtschaftlicher und sicherheitspolitischer Interessenlagen gründete. Im Sinne eines "Gabentauschs" erhielt Israel dringend benötigte finanzielle Hilfe zum Aufbau des Landes, und die Bundesrepublik konnte Legitimität und internationales Ansehen zurückgewinnen. Auch wenn es beiden Ländern vorrangig um ihre je eigenen, konkreten Interessen ging, betonten sie gegenüber der breiten Öffentlichkeit die weitreichende moralische Bedeutung der bilateralen Beziehungen.
Die Frage lautet daher, in welchem Maß die Annäherung zwischen beiden Staaten vom Bewusstsein der verübten Verbrechen und von der Sensibilität der deutschen Seite für die israelischen Traumata und Befindlichkeiten geprägt war. Aber es muss auch gefragt werden, bis zu welchem Grad die machtpolitischen Konstellationen des Kalten Krieges in die deutsch-israelischen Beziehungen hineinspielten. Während die Rhetorik der Politiker nahelegte, dass das bilaterale Verhältnis und seine Entwicklung vor allem von der Geschichte des Holocaust her zu verstehen sei, trat dieser Gesichtspunkt in den Besuchsprogrammen und den diplomatischen Notizen im Umfeld der Besuche zunehmend in den Hintergrund. So wird zu zeigen sein, dass die deutsche Außenpolitik, wie sie sich in den Israel-Reisen deutscher Politiker und einigen Gegenbesuchen israelischer Politiker artikulierte, zu jedem Zeitpunkt von den eigenen Interessen innerhalb des westlichen Bündnisses und, damit verknüpft, im Nahen Osten abhängig war.
Die rhetorische Gestaltung des bilateralen Verhältnisses soll anhand der Besuchskultur nachvollzogen werden. Der Schwerpunkt wird hier auf die bisher weitgehend unbeachteten sogenannten privaten Besuche ranghoher Politiker in den 1960er Jahren gelegt, die in Israel den Boden für die offiziellen Empfänge nach 1965 bereitet haben. Denn persönliches Engagement und die Betonung der moralischen Bedeutung des deutsch-israelischen Verhältnisses waren notwendig, um trotz des beiderseitigen Unbehagens Vertrauen zu schaffen. Personen, die schon im Nationalsozialismus Ämter bekleidet hatten und in der Nachkriegszeit in allen deutschen Ministerien zu finden waren, kamen dafür nicht in Frage. Diese besondere Rolle bei der deutsch-israelischen Versöhnung konnten nur deutsche Politiker übernehmen, die biographisch nicht belastet oder selbst im NS-Regime verfolgt worden waren. Sie, die für das von Ben Gurion proklamierte "andere Deutschland" standen, waren als Einzige in der Lage, bei den Israelis Vertrauen in den demokratischen Wandel der Bundesrepublik zu wecken.
Auch die Botschafter und Staatssekretäre sind als Akteure für diese Untersuchung von Bedeutung: Sie waren maßgeblich an der Organisation der Treffen beteiligt, die im Fokus dieser Untersuchung stehen. Diplomaten beider Seiten haben in ihren Memoiren die persönlichen Kontakte als wichtigen förderlichen Faktor für das Gedeihen der staatlichen Beziehungen gewürdigt. Wenn sich keine "persönliche Chemie" einstellte, wie zwischen den Außenministern Gerhard Schröder (CDU) oder Walter Scheel (FDP) und ihrem jeweiligen israelischen Pendant, nahm die Frequenz der diplomatischen Reisen deutlich ab.
Nach eigener Einschätzung der reisenden Politiker fanden fast alle Besuche in einer "kritischen" Phase der bilateralen Beziehungen statt. Sie hatten, so lautet eine weitere These, immer auch Rückwirkungen auf innenpolitische Konflikte. In welchen Situationen dies jeweils geschah, wird Gegenstand der Untersuchung sein.
Eine stilisierte Form von Repräsentation und Zeremoniell wie bei offiziellen Staatsbesuchen liegt in den 1960er Jahren noch nicht vor. Erst bei Willy Brandts Staatsbesuch im Jahr 1973 waren alle Bewegungsabläufe der Prot…
Tief- preis
Tief- preis