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Autorentext
Jean Paul (d. i. Johann Paul Friedrich Richter), 21. 3. 1763 Wunsiedel (Fichtelgebirge) - 14. 11. 1825 Bayreuth.
Der aus einer armen Pastoren- und Lehrerfamilie stammende J. P. wuchs in beengten, dürftigen Verhältnissen in oberfränkischen Dörfern auf, besuchte 1779-80 das Gymnasium in Hof und studierte von 1781 an Theologie in Leipzig, ohne allerdings je die Absicht zu haben, Pfarrer zu werden. 1784 kehrte er auf der Flucht vor seinen Leipziger Gläubigern nach Hof zurück. Hier lebte er zunächst bei seiner Mutter, bis er von 1787 bis 1794 als Haus- und Privatlehrer in Oberfranken seinen Lebensunterhalt verdienen konnte. Der mit dem Erfolg des Hesperus plötzlich einsetzende Ruhm brachte ihm, neben enthusiastischen Briefen von Verehrern und v. a. Verehrerinnen, 1796 eine Einladung nach Weimar, wo er sich mit Charlotte v. Kalb, dem Ehepaar Herder und C. M. Wieland anfreundete. Nach dem Tod seiner Mutter zog er 1797 nach Leipzig, wohnte dann 1798-1800 in Weimar. 1800-01 lebte er in Berlin und heiratete Karoline Mayer (1777-1860) - und keine von den adeligen Damen, die ihn umwarben. Über Meiningen (1801-02) und Coburg (1803-04) kehrte er in seine fränkische Heimat zurück, ließ sich im August 1804 in Bayreuth nieder und blieb hier, von wenigen Reisen unterbrochen und später durch eine Pension unterstützt, bis zu seinem Tod.
Nach wenig erfolgreichen Anfängen als satirischer Schriftsteller fand J. P. in der erzählenden Prosa, insbesondere im Roman, die angemessene Form für seine von Laurence Sterne beeinflusste Erzählweise. Sie ist gekennzeichnet durch Unterbrechungen, Abschweifungen, Um- und Abwege, durch eingeschobene Extrablätter, Leseranreden, Exkurse, durch die konsequente Aufhebung der Linearität zugunsten der Arabeske, durch die Kontrastierung von empfindsam-begeistertem Gefühlsaufschwung und Gesellschaftssatire, von Traumvisionen und schnöder Wirklichkeit, von Harmoniestreben und innerer Zerrissenheit und Einsamkeit. Dabei ist es die Instanz des Erzählers, die im ständigen Gespräch mit dem Leser diese Gegensätze zusammenzuhalten und eine Art Harmonie der Gegensätze, eine Synthese des Dualism zwischen Poesie und Wirklichkeit, zu stiften sucht. J. P. begreift die Kunst als Möglichkeit, die auf das Unendliche gerichtete Subjektivität des Menschen mit der Erfahrung der Beschränktheit, der Endlichkeit, zu versöhnen. Die äußere Handlung, für die er sich ohne Bedenken aus dem Motiv- und Themenvorrat der gängigen Romangattungen bis hin zum trivialen Schauerroman bediente, ist nur der Ausgangspunkt für die Darstellung eines vielschichtigen, enzyklopädischen Romankosmos, in dem alles mit allem zusammenhängt und - im Sinn seiner Definition des Humors - das Große erniedrigt und das Kleine erhöht wird, um so beide zu vernichten, weil vor der Unendlichkeit alles gleich ist und nichts. J. P. unterscheidet zwischen drei Schulen des Romans, denen er auch seine Werke zuordnet: der erhabenen italienischen, die mit Versatzstücken des Bildungs- und Staatsromans und einer Perspektive von oben arbeitet (Die unsichtbare Loge, Hesperus, Titan), der komisch-realistischen niederländischen, zu der er seine Idyllen zählt, und der mittleren deutschen Schule (Siebenkäs, Flegeljahre). Die Periode zwischen der Unsichtbaren Loge und den Flegeljahren war die produktivste Zeit des Romanschriftstellers; danach erschienen bis zu seinem letzten Roman (Der Komet) nur noch drei größere erzählerische Werke mit vorwiegend satirischer Note. Allerdings entstanden in diesen Jahren bedeutende politische Texte, die zur ans Spießige grenzenden Idylle seines äußeren Lebens in Bayreuth kontrastieren und angesichts der politischen Unterdrückung weltbürgerlichhumanistische Ideale aufrechterhalten.
In: Reclams Lexikon der deutschsprachigen Autoren. Von Volker Meid. 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart: Reclam, 2006. (.) - © 2001, 2006 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart.
Klappentext
Der Roman vom ungleichen Brüderpaar Walt und Vult, dem empfindsamen Idealisten und dem kritischen Humoristen, löst die Gegensätzlichkeiten, trotz aller inneren Nähe, nicht in Übereinstimmung auf, er wird zur Geschichte ihrer Trennung. Jean Pauls großer Roman, der 1804-05 in vier Bänden erschien, gehört zu jenen »Fragmenten«, denen ihre »Endlosigkeit« eher zugute kommt.
Leseprobe
Testament - das Weinhaus
Solange Haßlau eine Residenz ist, wußte man sich nicht zu erinnern, daß man darin auf etwas mit solcher Neugier gewartet hätte - die Geburt des Erbprinzen ausgenommen - als auf die Eröffnung des Van der Kabelschen Testaments. - Van der Kabel konnte der Haßlauer Krösus - und sein Leben eine Münzbelustigung heißen, oder eine Goldwäsche unter einem goldnen Regen, oder wie sonst der Witz wollte. Sieben noch lebende weitläuftige Anverwandten von sieben verstorbenen weitläuftigten Kabels machten sich zwar einige Hoffnung auf Plätze im Vermächtnis, weil der Krösus ihnen geschworen, ihrer da zu gedenken; aber die Hoffnungen blieben zu matt, weil man ihm nicht sonderlich trauen wollte, da er nicht nur so mürrisch-sittlich und uneigennützig überall wirtschaftete - in der Sittlichkeit aber waren die sieben Anverwandten noch Anfänger -, sondern auch immer so spöttisch dareingriff und mit einem solchen Herzen voll Streiche und Fallstricke, daß sich auf ihn nicht fußen ließ. Das fortstrahlende Lächeln um seine Schläfe und Wulstlippen und die höhnische Fistel-Stimme schwächten den guten Eindruck, den sein edel gebautes Gesicht und ein Paar große Hände, aus denen jeden Tag Neujahrsgeschenke und Benefiz-Komödien und Gratiale fielen, hätten machen können; deswegen gab das Zug-Gevögel den Mann, diesen lebendigen Vogelbeerbaum, worauf es aß und nistete, für eine heimliche Schneuß aus und konnte die sichtbaren Beere vor unsichtbaren Haarschlingen kaum sehen. <