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Anzukündigen ist die erste vollständige und wissenschaftlich aufgearbeitete Ausgabe des legendären, 57 Jahre hindurch geführten Tagebuchs des Schriftstellers, Diplomaten und Kunstmäzens Harry Graf Kessler.
»Das Ende des positivistischen Fortschrittsglaubens, der das 19. Jahrhundert bestimmte, kündigt sich hier bereits an. Einem jungen Reisenden, einem weltläufigen Dandy, kommen Zweifel an der aufgeklärten Zivilisation, deren imperialistische Werte noch für unumstößlich gehalten werden. ... Kesslers Tagebuch ist somit als eine Art Jahrhundertfenster begreifbar, durch das man als Leser in das Bewusstsein einer vergangenen Ära zurückspringen und sein Gehirn in die Falten vergangener Zeiten zu legen vermag.« Jan Süselbeck, die tageszeitung, 24.8.2004 »Das Jahrhundertprotokoll ... Ein solches Monument des untergegangenen Europa ist Harry Graf Kesslers Tagebuch: Über siebenundfünfzig Jahre hin in höchster Disziplin und nie nachlassender Sorgfalt geführt, ist es ein Protokoll Europas in der Zeit seiner größten Kraftenfaltung, aber auch am Beginn seines Weges in den Abgrund. ... Das neue Europa wird sich ein neues Bild von sich selber machen müssen. Dazu gehören die Tagebücher von Harry Graf Kessler nicht weniger als die eines Victor Klemperer.« Karl Schlögel, Merkur, Juli 2004 »So nah kommt man einer Epoche selten. Die Tagebücher liefern ein Panorama das ist nur im Ganzen zu haben: Auskünfte über Kunst, Mode, Literatur, über Lebensart und Geschichte zwischen 1880 und 1937. Harry Graf Kessler kommentiert seine Zeit präzis und leicht ironisch. Er lebt sie so intensiv wie kaum einer und sieht sie doch mit distanziertem Blick.« Karin Grossmann, Sächsische Zeitung, 12.6.2004 »... die vorzügliche und einfache Organisation der Ausgabe muss man bewundern: Kein schwerer Apparat, nur die ständige, durch ganz wenige Fussnoten mitgelenkte Begleitung durch das informative Personenregister erschliesst den Text und erleichtert eine Lektüre, auf deren Fortsetzung man am Ende des Bandes schon fast mit Ungeduld wartet.« Hanno Helbling, Neue Zürcher Zeitung, 25.05.2004 »Kesslers Notate legen in ihrer geschliffnen Sprache, mit der Treffsicherheit des Urteils, dank des ungeheuren Kenntnisreichtums ihres Autors auf sämtlichen Gebieten des kulturellen und politischen Lebens ein so anschauliches Zeugnis zweier Epochen deutscher Geschichte der wilhelminischen und der der Weimarer Republik ab, wie dies weder vorher noch nahcher geschehen ist. ... In diesen Tagebüchern können wir nachvollziehen, wie in Deutschland die Moderne Einzug hält. ... Besser, also kundiger und spitzzüngiger, kriegen wir das nirgendwo geboten.« Tilman Krause, Die Welt, 24.4.2004 »Für Literaturnarren, für Wissbegierige nach Geschichte und Geschichten ist ein Fest angesagt: Endlich erscheinen als integrale Edition die ins Reich der Legenden und Gerüchte abgesunkenen Tagebücher von Harry Graf Kessler einer der farbigsten (ja, gewiss, auch schillernden) Figuren des ausgehenden 19. Jahrhunderts mit den Höhepunkten seiner ruhmreichen Tätigkeit auf mancherlei Gebiet der Kunst und Politik in den zwanziger Jahren bis zum bitteren Ende des Emigranten 1937. ... Diese Edition zeichnet sich aus durch, falls das altmodische Wort erlaubt ist, Vornhemheit: Der Autor hat das Wort. Die Herausgeber wollen, dass wir nicht über, sondern von Harry Graf Kessler lesen.« Fritz J. Raddatz, Die Zeit, 22.4.2004 »Diese Aufzeichnungen sind eine einzigartige Quelle zur Mentalitäts- und Kulturgeschichte der Jahrhundertwende.« Sachbuch-Empfehlung aus Die Zeit, 22.4.2004 »Kesslers Tagebuch ist ein öffentlicher mondäner Ort. Wer zwischen Wilhelminismus und dem Ende Weimars seinen Kulturauftritt hatte, findet sich hier wieder. ... Es ist Nietzsches Traum des guten Europäers, den Kessler hier weiterträumt. Fernab von der verordneten und subventionierten Europa-Mentalität unserer Tage begegnet uns hier ein leidenschaftlicher Kultureuropäer.« Stephan Schlak, Frankfurter Rundschau, 21.4.2004 »Porentief präzis und mit einem Hauch Ironie hält er fest, was er sieht, wen er trifft. Und er trifft sie alle: die Schauspielerin Sarah Bernhardt und den Surrealisten Jean Cocteau, Otto Fürst von Bismarck ..., Albert Einstein und George Bernhard Shaw. Das sind nur fünf der weit über 10000 Kulturgrößen, die der Menschensammler Kessler gesehen, gesprochen und verewigt hat. ... 57 Hefte und Bücher, über 10000 Seiten penibel redigierte Manuskripte, die wie ein ungeheures Panorama Stimmung, Akteure und Schlüsselszenen einer ganzen Epoche festhalten.« Johannes Saltzwedel, Der Spiegel, 19.4.2004 »Seine Analyse gesellschaftlichen Verhaltens, vor allem, wenn sein Gegenüber posiert, ist beachtlich, seine kurzen Charakteristiken sind oft schonungslos, ohne daß in ihnen je auch nur ein Gran Häme wäre. ... Daß nun Kesslers Tagebücher, deren unprätentiöse Eleganz in Bann schlägt, tatsächlich insgesamt zugänglich gemacht werden, ist nicht nur ein Akt der Gerechtigkeit. Es ist ein großes Glück.« Tilman Spreckelsen, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 8.4.2004
Vorwort
Das Tagebuch einer einzigartigen Erscheinung in einem besonders bewegten Abschnitt der europäischen Zeit- und Kulturgeschichte.
Autorentext
Harry Graf Kessler, 1868 in Paris geboren. Kindheitsjahre in Frankreich und England. Jurastudium in Bonn und Leipzig. 1895 Aufsichtsrat der Zeitschrift »PAN«. Mehrere Weltreisen. Bekanntschaft mit u.a. Hofmannsthal, Henry van de Velde, Rilke, Rathenau. Tätigkeit für das Nietzsche-Archiv in Weimar. 1913 Erste Werkstatt der »Cranach-Presse«. 1917 Friedenssondierungen mit Frankreich. 1918 Deutscher Gesandter in Warschau. März 1933: Kessler verläßt Deutschland. Übersiedlung nach Paris, dann nach Mallorca. 1937 Kessler stirbt in Lyon. Den Möglichkeiten seiner gesellschaftlichen Stellung folgend, strebt Kessler zunächst die Diplomatenlaufbahn an, als deren Grundlage er 1888 sein Jurastudium in Bonn beginnt und einige Jahre später in Leipzig mit Promotion abschließt. Während des Studiums besucht er auch Literatur- (H. Usener), Psychologie- (W. Wundt) und Kunstvorlesungen (A. Springer). Nachdem eine diplomatische Karriere an Widerständen aus dem Auswärtigen Amt gescheitert ist, konzentriert er sich auf mäzenatische Aufgaben. Er ist es hauptsächlich, der die Aufmerksamkeit in Deutschland auf den französischen Impressionismus lenkt. Kessler arbeitet an der Berliner Kunst- und Literaturzeitschrift PAN mit, initiiert den Deutschen Künstlerbund zur Förderung aktueller, progressiver Kunst und unterstützt Künstler wie Johannes R. Becher, Edvard Munch, Aristide Maillol, Detlev von Liliencron, Rainer Maria Rilke. Während seiner Zeit als Direktor des »Großherzoglichen Museums für Kunst und Kunstgewerbe« in Weimar versucht er, dort ein Zentrum kultureller Erneuerung aufzubauen. Er hat bereits zuvor auf die Berufung Henry van de Veldes dorthin zur Gründung eines »Kunstgewerblichen Seminars« hingewirkt, aus dem sich später das Bauhaus entwickelte. Unter seinen Freunden sind besonders Eberhard von Bodenhausen, Henry van de Velde und Hugo von Hofmannsthal hervorzuheben. Mit letzterem zusammen verfaßt er den »Rosenkavalier« und das Ballett »Josephslegende«. Kesslers Gründung der Cranach-Presse setzt bibliophile Maßstäbe in Deutschland. In Zusammenarbeit mit Schriftstellern, Künstlern und Grafikern entstehen Klassiker der modernen Buchkunst. Mit dem Ersten Weltkrieg verlagern sich Kesslers Interessenschwerpunkte wieder auf den politischen Bereich. Er ist nur kurz als Reserve-Offizier an der Front; nach seiner Rückkehr leitet er in Bern die deutsche Kulturpropaganda. 1918 reist er als erster deutscher Gesandter nach Warschau, wird jedoch bereits nach wenigen Wochen des Landes verwiesen die politisch verworrenen Verhältnisse zwischen Deutschland und Polen stehen seinen Bemühungen um Verständigung entgegen. Er entwickelt Ideen zu einem Völkerbund und wird kurzzeitig Präsident der Deutschen Friedensgesellschaft. Der Versuch, 1924 ein Reichstagsmandat zu erlangen, mißlingt. In …