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An vielen deutschen Universitätskliniken wurden zwischen 1939 und 1945 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt, so auch in Gießen. Flora Graefe fragt in ihrer exemplarischen Fallstudie nach Herkunft und Situation dieser Menschen sowie nach der Art ihrer Behandlung. Sie arbeiteten nicht nur als Küchen- und Hausmeisterhilfen oder in der Pflege, sondern gerieten auch in die Rolle von Patienten und konnten sogar zu Objekten von Forschung und Lehre werden. Graefe analysiert seltene Krankenhausakten und rekonstruiert persönliche Schicksale, wobei sie auch nach der Mitschuld der Ärzte an der Ermordung einzelner Patienten fragt.
Autorentext
Dr. Flora Graefe arbeitet als Ärztin an der Charité in Berlin.
Klappentext
An vielen deutschen Universitätskliniken wurden zwischen 1939 und 1945 Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter eingesetzt, so auch in Gießen. Flora Graefe fragt in ihrer exemplarischen Fallstudie nach Herkunft und Situation dieser Menschen sowie nach der Art ihrer Behandlung. Sie arbeiteten nicht nur als Küchen- und Hausmeisterhilfen oder in der Pflege, sondern gerieten auch in die Rolle von Patienten und konnten sogar zu Objekten von Forschung und Lehre werden. Graefe analysiert seltene Krankenhausakten und rekonstruiert persönliche Schicksale, wobei sie auch nach der Mitschuld der Ärzte an der Ermordung einzelner Patienten fragt.
Leseprobe
Der Einsatz von Zwangsarbeitern im Gesundheitswesen konnte an einer Vielzahl von Stellen stattfinden. Die Ergebnisse der bisherigen Forschung belegen, dass die Strukturen der Beschäftigung in Krankenhäusern, ob als universitäre, konfessionelle oder andere Einrichtungen, und in den unterschiedlichen Regionen regelmäßig recht ähnlich waren. Eine mögliche Tätigkeit, vor allem für Frauen aus Polen und anderen besetzten osteuropäischen Staaten, waren Putz-, Wasch- und Küchendienste. Männliche Arbeitskräfte wurden bevorzugt für Bauarbeiten, in technischen Diensten, bei der Heizung, im Maschinen- und Kesselhaus sowie in der einigen Krankenhäusern angegliederten Land- und Forstwirtschaft eingesetzt. Für die im Pflegedienst beschäftigten Ausländer muss zwischen der medizinischen Versorgung deutscher und der Versorgung ausländischer Patienten unterschieden werden. Nach den Vorgaben des Regimes durfte nur deutsches oder "artverwandtes" Personal die Pflege deutscher Patienten übernehmen. So wurden hier zum Beispiel holländische und französische Medizinstudenten beschäftigt. Während Berger für die Region Schleswig-Holstein beschreibt, dass eine Pflege deutscher Patienten durch Polen und "Ostarbeiter" vermutlich nicht vorgekommen sei, bemerkt Winkler, dass bedingt durch den Arbeitskräftemangel zum Ende des Krieges in diakonischen Einrichtungen auch osteuropäisches Pflegepersonal für deutsche Patienten eingesetzt wurde. Die Pflege der Polen und "Ostarbeiter" sollte durch Personen der gleichen "Volksgruppe" geschehen. Zwar versuchte man Arbeitskräfte zu beschaffen, die bereits in ihren Heimatländern in dem gleichen Beruf tätig gewesen waren, allerdings ist die Verwendung junger, ungeschulter Arbeiterinnen als Pflegekräfte vielfach belegt. Beim Einsatz von ausländischen Ärzten galten ebenfalls rassistisch motivierte Beschränkungen. Wurden sie für die Betreuung von Deutschen eingesetzt, spielte wegen des unmittelbaren Kontaktes zu den Patienten die Prüfung der politischen Gesinnung eine wichtige Rolle. Belegt ist die Versorgung deutscher Patienten durch französische, holländische und tschechische Ärzte. Tschechische Ärzte scheinen aber eine absolute Notlösung gewesen zu sein, da sie in den Quellen vor allem im Kontext von Beschwerdebriefen auftauchen. Der Ärztemangel war so groß, dass sogar Studenten der Medizin und Pharmazie mit falschen Versprechungen ins Land gelockt wurden, die sich dann mit einer Dienstverpflichtung konfrontiert sahen. Auch die ärztliche Versorgung von Polen und "Ostarbeitern" sollte von Personen aus der gleichen "Volksgruppe" übernommen werden. Dies waren die sogenannten "Ostärzte". Allerdings standen auch hier kaum genügend Arbeitskräfte zur Verfügung, so dass eine ärztliche Betreuung zum Teil gar nicht gegeben war oder ausländische Pfleger und Pflegerinnen als "Ärzte" angestellt wurden. Da den "Ostärzten" aber meist kaum ausreichend Versorgungsmaterialien zur Verfügung standen, war die Hilfe, die sie leisten konnten, äußerst gering. Neben den Krankenhäusern bestanden noch andere Bereiche des Gesundheitswesens, in denen Zwangsarbeiter eingesetzt wurden, zum Beispiel bei der Versorgung in den Krankenlagern der Betriebe, in Krankensammel- und in Säuglingslagern. Schließlich sei die Beschäftigung von erkrankten Zwangsarbeitern erwähnt. In den Tuberkulose-Krankenhäusern des Provinzialverbandes Westfalen wurden gezielt Zwangsarbeiter eingesetzt, die selbst bereits an Tuberkulose erkrankt waren. Für das Krankenhaus Stillenberg ist belegt, dass eine Behandlung der dort beschäftigten und erkrankten "Ostarbeiterinnen" offensichtlich nicht erfolgte und die Verschlechterung ihres Zustandes bis hin zum Tod offenbar in Kauf genommen wurde. Diese Vorgehensweise scheint auf ähnlichen Erwägungen zu beruhen wie der spätere Beschluss Sauckels, der vorsah, tuberkulosekranke Zwangsarbeiter in den Tötungsanstalten für Geisteskranke zu vernichten. 2.2.2 Zwangsarbeiter als Patienten Wie die deutschen Arbeitnehmer, so unterstanden auch ausländische Arbeiter einer Krankenversicherungspflicht und hatten somit formal Anspruch auf Leistungen im Krankheitsfall. Allerdings erhielten Polen und "Ostarbeiter" keine Lebensmittelzulagen; außerdem waren bis 1944 "Ostarbeiter" von diesen Regelungen ausgenommen und genossen lediglich Krankenversorgungsschutz. Da die zum Teil in Razzien gesammelten und verschleppten Arbeitskräfte in ihren Heimatländern von den zuständigen deutschen Arbeitsämtern ärztlich nur oberflächlich untersucht wurden, befanden sich viele Kranke und Arbeitsunfähige unter den Deportierten. Gemäß der Handlungsrationalität des Regimes entstand so eine "Ökonomie", wonach schwer oder chronisch erkrankte Arbeitskräfte ohne medizinische Behandlung in ihre Heimatländer zurück transportiert und neue Arbeiter herangeschafft wurden. Formal betrug die Zeit, die den erkrankten ausländischen Arbeitern eingeräumt wurde, um vor ihrer Abschiebung zu genesen, im Oktober 1940 zwei Wochen und verlängerte sich bis 1942 auf acht Wochen, um die Arbeitskapazität der Betroffenen vollends auszuschöpfen. Simulation einer Krankheit, um den zum Teil unmenschlichen Bedingungen in Deutschland zu entkommen, war kaum möglich. Jeder sich krank meldende Arbeiter wurde prinzipiell unter den Verdacht der Simulation gestellt, und auch in den Rücktransporten wurde nochmals selektiert, um Arbeiter wieder zurück nach Deutschland zu schicken.
Inhalt
Inhalt 1 Einleitung 9 2 Forschungsstand 11 2.1 Begriffliche Abgrenzung 12 2.2 Ein Überblick zu Zwangsarbeit und Medizin 14 2.2.1 Einsatz von Zwangsarbeitern in medizinischen Institutionen 14 2.2.2 Zwangsarbeiter als Patienten 16 2.2.3 Zwangsarbeiter als "Objekte" medizinischer Forschung und Lehre 18 2.3 Bisherige Erkenntnisse zu Zwangsarbeitern in der Stadt Gießen 20 3 Quellen 21 3.1 Stadtarchiv Gießen 21 3.2 Universitätsarchiv Gießen 23 3.3 Internationaler Suchdienst des Roten Kreuzes in Bad Arolsen 27 3.4 Aufbau und Inhalt der Krankenakten von ausländischen Patienten der Psychiatrischen und Nervenklinik 34 4 Methoden 46 4.1 Zielsetzung und grundsätzliche Überlegungen 46 4.2 Gegenüberstellung zur Frage der Spezifität des ärztlichen Umgangs mit Zwangsarbeitern 50 4.2.1 Kriterien der Gegenüberstellung und untersuchte Hypothese 50 4.2.2 Auswahl der Akten zur Gegenüberstellung 51 5 Zwangsarbeiter als Arbeitskräfte am Universitätsklinikum Gießen 54 5.1 Einsatz von Zwangsarbeitern in den unterschiedli…