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Die Unterscheidung zwischen "der Politik" und "dem Politischen" ist eines der großen Themen in der zeitgenössischen politischen Philosophie. Mit dem Streit darüber, was "Politik" ist, entstand auch eine aktuelle Form der Liberalismuskritik. Felix Böttger prüft deren Argumente und kommt zu dem Schluss, dass die moderne Liberalismuskritik immer im Horizont ihres Gegners agiert. Sie ist also nicht antiliberal, sondern vielmehr postliberal. Letzten Endes, so die These des Autors, muss eine moderne Kritik am Liberalismus die Streiterfahrung des Politischen direkt ins Herz der liberalen Vertragstheorie - den Natur- bzw. Urzustand - hineintragen.
Die Unterscheidung zwischen »der Politik« und »dem Politischen« ist eines der großen Themen in der zeitgenössischen politischen Philosophie. Mit dem Streit darüber, was »Politik« ist, entstand auch eine aktuelle Form der Liberalismuskritik. Felix Böttger prüft deren Argumente und kommt zu dem Schluss, dass die moderne Liberalismuskritik immer im Horizont ihres Gegners agiert. Sie ist also nicht antiliberal, sondern vielmehr postliberal. Letzten Endes, so die These des Autors, muss eine moderne Kritik am Liberalismus die Streiterfahrung des Politischen direkt ins Herz der liberalen Vertragstheorie den Natur- bzw. Urzustand hineintragen.
Autorentext
Felix Böttger studierte Philosophie, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Universität Wuppertal.
Leseprobe
I. Politische Philosophie als Streit um das Politische
Die politische Philosophie hat ihren Ursprung in den Werken von Platon und Aristoteles. Bekanntlich hat Aristoteles den Menschen als zoon politikon definiert: als Lebewesen, dessen Ziel, telos, in der gemeinschaftlichen, politischen Existenz besteht. Die Griechen unterschieden zwischen oikos und polis, zwischen dem privaten Haushalt und dem eigentlich politischen Raum. Jeder Bürger gehörte grundsätzlich beiden Sphären des menschlichen Daseins an. Eine Existenz, die rein im privaten Bereich, im oikos, verblieb, wurde als unvollständig empfunden und wurde den Nicht-Bürgern, also Frauen und Sklaven, zugeschrieben. Entscheidend hierbei ist, dass Politik nicht als notwendiges Übel zur Sicherung der nackten Existenz, sondern als eine Art Lebensform galt und somit als ein qualifiziertes Leben gegenüber der schlichten Tatsache des Lebens herausgehoben wurde: Platon und Aristoteles unterschieden zwischen zen (der einfachen Tatsache des Lebens) und eu zen (dem »guten Leben«).
In der neuzeitlichen politischen Philosophie, die mit Thomas Hobbes beginnt, wird die Teilhabe an der politischen Gemeinschaft nicht mehr als Lebensform, sondern als allein dem Selbsterhalt dienend beschrieben: Hobbes bezeichnet den »Naturzustand« der Menschen als »Krieg aller gegen alle«, dem nur dadurch ein Ende gemacht werden könne, dass die Menschen sich zu einem Staat (»Leviathan«) zusammenschließen. Die Vereinigung zu einer politischen Gemeinschaft wird als eine durch rationale Beweggründe eingeleitete Notwendigkeit betrachtet, die den unangenehmen Zuständen im »Naturzustand« vorzuziehen sei. Hobbes ist der Erste, der das bis in die heutige politische Philosophie hinein beliebte Vertragsmodell als konstitutives Element der politischen Gemeinschaft entwickelt hatte. Damit war es auch Hobbes, der erstmalig dem rationalen Eigeninteresse die Begründungsfunktion für politische Herrschaft zugewiesen hatte. Die Ableitung des Staates aus Interessen der Individuen, die qua Vertrag gemäß allgemeiner, für jeden einsehbarer Prinzipien in Übereinstimmung gebracht werden, ist seitdem elementarer Bestandteil für diejenigen Theorien, die der philosophischen Tradition des Liberalismus zugeordnet werden. Folglich lässt sich die vertragstheoretische, auf das individuelle rationale Eigeninteresse rekurrierende Tradition des Liberalismus abgrenzen von Theorien, die an die Vorstellung des zoon politikon der antiken politischen Philosophie anknüpfen. Weitere bekannte Vertragstheoretiker neben Hobbes sind etwa John Locke, Jean-Jacques Rousseau und Immanuel Kant. Die vielleicht avancierteste Spielart eines vertragstheoretisch begründeten politischen Liberalismus hat John Rawls formuliert. Dabei entwickelt Rawls in Anlehnung an den klassischen Naturzustand die Idee eines fiktiven »Urzustandes«, in dem die Mitglieder einer Gesellschaft unter einem »Schleier des Nichtwissens« Übereinkünfte über die Grundsätze ihrer Gesellschaft erzielen. Mit dem Schleier des Nichtwissens meint Rawls, dass die Individuen nicht wissen, welche soziale Position sie in ihrer Gesellschaft einnehmen und durch welche körperlichen und geistigen Fähigkeiten sie sich auszeichnen. Dieses Bild soll modellhaft die Ideen von Freiheit und Gleichheit abbilden und wird von Rawls nicht als historische Tatsache, sondern allein als »Darstellungsmittel der öffentlichen Reflexion und Selbstklärung« betrachtet, um einen Standpunkt zu erreichen, von dem aus eine faire Übereinkunft erreicht werden soll. Dieser Standpunkt soll in Anlehnung an Kant einem allgemeinen »Vernunftideal« am nächsten kommen.
Wenn man die verschiedenen Quellen, aus denen sich die philosophische Tradition des Liberalismus speist, als Versuch der Beantwortung einer grundlegenden Frage zusammenfassen würde, so müsste diese Frage wohl lauten: Wie können die Mitglieder einer Gesellschaft friedlich zusammenleben, obwohl sie unterschiedliche, im schlimmsten Fall gegeneinander gerichtete Interessen verfolgen? Rawls erweitert diese Frage dahingehend, dass er mit der Idee des »übergreifenden Konsenses« zu bestimmen versucht, wie Menschen eine gemeinsame politische Grundstruktur akzeptieren können, obwohl sie nicht nur divergierende Interessen, sondern auch ganz unterschiedliche moralische und religiöse Vorstellungen haben. Ein Grundprinzip des Liberalismus ist also die Annahme, dass Menschen, die in Fragen des »guten Lebens« beziehungsweise in religiösen Auffassungen nicht unbedingt übereinstimmen, trotzdem ein politisches Gemeinwesen bilden können, indem sie ihre rationalen Interessen zur Grundlage der Kooperation machen.
Wie ich zeigen werde, ist einer der wesentlichen Punkte, an denen sich die Liberalismuskritik reibt, die Frage, inwiefern die Koordination rationaler Eigeninteressen überhaupt noch eine spezifisch »politische« Qualität hat, und, wenn ihr diese abgesprochen wird, ob es jenseits sowohl ethisch-sittlicher oder religiöser Übereinstimmung als auch gemeinsam geteilter »rationaler« Interessen andere Gemeinschaftlichkeit stiftende Momente gibt. Eine neuere liberalismuskritische, im Folgenden »postliberal« genannte Perspektive ist dabei insbesondere in einem Theorieumfeld entstanden, das sich die Frage nach der konstitutiven Rolle des Dissenses und die Frage nach »dem Politischen« und dessen Unterscheidung von »der Politik« stellt eine Unterscheidung, die auch als »politische Differenz« bezeichnet wird. Knapp zusammengefasst lässt sich sagen, dass im Postliberalismus der Dissens gegenüber dem Konsens und das "Politische" gegenüber "der Politik" ins Spiel gebracht werden, wobei noch zu klären ist, was unter den jeweiligen Begriffen genau zu verstehen ist und welche Rolle diese im Liberalismus beziehungsweise im Postliberalismus spielen. Die vorliegende Arbeit versucht sich damit an einer Eröffnung des Dialogs zwischen der liberalen Tradition und der jüngeren, von mir »postliberal« genannten Liberalismuskritik. Das Ziel der Arbeit besteht darüber hinaus in einer kritischen Neugewinnung des Liberalismus über den Umweg einer solchen postliberalen Perspektive und soll gleichzeitig den Versuch machen, so etwas wie Grundzüge einer postliberalen politischen Philosophie zu entdecken. Um den Rahmen hierfür abzustecken, soll im Folgenden zunächst skizziert werden, wie der Versuch einer Bestimmung des »Begriffs des Politischen« durch den deutschen Staatsrechtler Carl Schmitt das Fundament für die aktuelle Diskussion um die Unterscheidung zwischen der Politik…