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Autorentext
Eduard Mörike, 8. 9. 1804 Ludwigsburg - 4. 6. 1875 Stuttgart.
Der Sohn eines Amtsarztes und einer Pfarrerstochter besuchte zunächst das Gymnasium in Ludwigsburg, dann nach dem Tod des Vaters 1817 das Gymnasium illustre in Stuttgart. Danach folgte er dem üblichen theologischen Studienweg (1818-22 niederes theologisches Seminar Urach, 1822-26 Studium im Tübinger Stift). 1823 lernte er in Ludwigsburg Maria Meyer kennen, die als die einzige leidenschaftliche Liebe seines Lebens gilt und ihren literarischen Niederschlag in der Gestalt der Zigeunerin Elisabeth im Maler Nolten und in den Peregrina-Gedichten fand. Nach dem Examen 1826 war er - bis auf einen kurzen Versuch, als freier Schriftsteller zu leben - an verschiedenen kleinen württembergischen Orten als Vikar und Pfarrverweser tätig (Oberboihingen, Möhringen, Köngen, P ummern, Plattenhardt, Owen usw.), bis er 1834 eine Pfarrstelle in Cleversulzbach bei Heilbronn erhielt. Er zog mit Mutter und Schwester Klara in das Pfarrhaus; die Verlobung mit Luise Rau, die er 1829 in Plattenhardt kennen gelernt hatte, war inzwischen aufgelöst worden. 1843 ließ sich der kränkelnde M., dem der Pfarrdienst ohnehin eine Last war, pensionieren und lebte mit seiner Schwester zunächst in Schwäbisch Hall und von 1844 bis 1851 in Bad Mergentheim. 1851 heiratete M. die Katholikin Margarethe Speeth, Freundin Klaras. Zusammen mit Klara zogen sie nach Stuttgart, wo M. einige Jahre Literaturunterricht am Katharinenstift gab. Ehrungen (1852 Dr. h. c. Tübingen, 1856 Professor, Audienz beim König) dokumentieren sein inzwischen gewonnenes Ansehen. 1867 ging er nach Lorch, 1869 nach Nürtingen, 1871 kehrte er nach Stuttgart zurück. M. steht literaturgeschichtlich zwischen Romantik und Realismus. Wesentliche Bezugspunkte seines Schaffens sind Goethe, die Romantik und die Dichtung der Antike. An den romantischen Künstlerroman schließt M.s einziger, von ihm selbst als Novelle bezeichneter Roman Maler Nolten an, wobei allerdings die Kunst ihre bestimmende, erlösende Kraft eingebüßt hat, die Vergangenheit wie ein Verhängnis in die Gegenwart hineinwirkt und die Künstlergestalten von einer romantischen Krankheit zum Tode befallen sind. In einer späteren, unvollendeten Fassung verstärkte M. in Annäherung an den realistischen Roman die psychologische Motivierung des Geschehens. Eingefügt sind, ganz im Sinn der romantischen Romanpoetik, Gedichte, die das Geschehen symbolhaft deuten, und ein utopisches Dramolett (Der letzte König von Orplid). In M.s lyrischem Schaffen stehen bewusst archaisierende oder volkstümliche Lieder und Balladen neben strengen Sonetten und Gedichten in antikisierenden Formen. Zahlreiche Rollen- und Gelegenheitsgedichte zeigen den geselligen Aspekt seiner Kunst. Der Tendenz zur Objektivierung und Distanzierung, die sich in der Hinwendung zu antiken Maßen zeigt, entspricht die 'Er ndung' des so genannten Dinggedichts (Auf eine Lampe u. a.). Die Beschäftigung mit der Antike schlug sich auch in bedeutenden Übersetzungen nieder. M.s Märchen- und Novellendichtung gipfelt nach idyllenhaften Stücken in der späten Mozartnovelle, die - heiter und zugleich von melancholischer Todesahnung durchdrungen - in kunstvollem Perspektivenwechsel Mozarts widerspruchsvolle Künstlerexistenz beleuchtet. Die musikalische Komposition der Novelle ndet ihr Äquivalent in der musikalischen Sprache M.s, die auch Komponisten wie Robert Schumann oder Hugo Wolf zu Vertonungen seiner Lyrik anregte.
In: Reclams Lexikon der deutschsprachigen Autoren. Von Volker Meid. 2., aktual. und erw. Aufl. Stuttgart: Reclam, 2006. (.) - © 2001, 2006 Philipp Reclam jun. GmbH & Co., Stuttgart.
Klappentext
»Mörikes lyrische Dichtung wurzelt in der Literatur der deutschen Klassik, vor allem im Werke Goethes, und hat die Traditionen der Romantik mit dem ihr eigenen Stimmungsgehalt in sich aufgenommen. Aber seine Verskunst verharrte nicht in den Bahnen der Überlieferung. Sie entwickelte präzisere Formen, größere Plastizität und eine stärkere Objektivierung.« Bernhard Zeller
Leseprobe
An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang O flaumenleichte Zeit der dunkeln Frühe!
Welch neue Welt bewegest du in mir?
Was ists, daß ich auf einmal nun in dir
Von sanfter Wollust meines Daseins glühe? Einem Kristall gleicht meine Seele nun,
Den noch kein falscher Strahl des Lichts getroffen;
Zu fluten scheint mein Geist, er scheint zu ruhn,
Dem Eindruck naher Wunderkräfte offen,
Die aus dem klaren Gürtel blauer Luft
Zuletzt ein Zauberwort vor meine Sinne ruft. Bei hellen Augen glaub ich doch zu schwanken;
Ich schließe sie, daß nicht der Traum entweiche.
Seh ich hinab in lichte Feenreiche?
Wer hat den bunten Schwarm von Bildern und Gedanken
Zur Pforte meines Herzens hergeladen,
Die glänzend sich in diesem Busen baden,
Goldfarbgen Fischlein gleich im Gartenteiche? Ich höre bald der Hirtenflöten Klänge,
Wie um die Krippe jener Wundernacht,
Bald weinbekränzter Jugend Lustgesänge;
Wer hat das friedenselige Gedränge
In meine traurigen Wände hergebracht? Und welch Gefühl entzückter Stärke,
Indem mein Sinn sich frisch zur Ferne lenkt!
Vom ersten Mark des heutgen Tags getränkt,
Fühl ich mir Mut zu jedem frommen Werke.
Die Seele fliegt, so weit der Himmel reicht,
Der Genius jauchzt in mir! Doch sage,
Warum wird jetzt der Blick von Wehmut feucht?
Ists ein verloren Glück, was mich erweicht?
Ist es ein werdendes, was ich im Herzen trage?
Inhalt
An einem Wintermorgen, vor Sonnenaufgang - Erinnerung - Nächtliche Fahrt - Der Knabe und das Immlein - Rat einer Alten - Begegnung - Der Jäger - Jägerlied - Ein Stündlein wohl vor Tag - Storchenbotschaft - Suschens Vogel - In der Frühe - Er ists - Im Frühling - Erstes Liebeslied eines Mädchens - Fußreise - Besuch in Urach - An einer Äolsharfe - Mein Fluß - Josephine - Frage und Antwort - Lebe wohl - Heimweh - Gesang zu Zweien in der Nacht - Die traurige Krönung - Jung Volkers Lied - Nimmersatte Liebe - Der Gärtner - Schön-Rotraut - Lied vom Winde - Das verlassene Mägdelein - Agnes - Elfenlied - Die Schwestern - Die Soldatenbraut - Jedem das Seine - Der Feuerreiter - Die Geister am Mummelsee - Märchen vom sichern Mann - Gesang Weylas - Gefunden - Die schöne Buche - Johann Kepler - Auf das Grab von Schillers Mutter - Theokrit - Tibullus - An Hermann - Auf dem Krankenbette - An meinen Arzt - Lose Ware - Im Park - Nachts am Schreibpult - Götterwink - Datura suaveolens - Inschrift auf eine Uhr mit den drei Horen - Auf eine Lampe - Erinna an Sappho - Scherz - Abreise - Septembermorgen - Verborgenheit - Früh im Wagen - Denk es, o Seele - Peregrina - Um Mitternacht - Trost - Auf einer Wanderung - Der Genesene an die Hoffnung - Wald-Idylle - Im Weinberg - Am Rheinfall - Vicia faba minor - Zwiespalt - An meine Mutter - An Karl Mayer - Eberhard Wächter - Zum neuen Jahr - Auf ein altes Bild - Schlafendes Jesukind - Auf eine Christblume - Sehnsucht - Am Walde - Nur zu! - An die Geliebte - Neue Liebe - Seufzer - Gebet - Die Elemente - Schiffer- und Nixen-Märchen - Der alte Turmhahn - An Wilhelm Hartlaub - Ländliche Kurzweil - Auf den Tod eines Vogels - Ach nur einmal noch im Leben! - Göttliche Reminiszenz - Erbauliche Betrachtung - An Longus - Waldplage - Dem Herrn Prior der Kartause I - Besuch in der Kartause - An Gretchen - Bilder aus Bebenhausen - Zitronenfalter im April - An meinen Vetter - Schul-Schmäcklein - Der Tambour - Mausfallen-Sprüchlein - Häusliche Szene - Selbstgeständnis - Restauration - Zur Warnung - Pastoral-Erfahrung - Abschied - An Clara - Keine Rettung - In der Hütte am Berg - Nachts - Rückblick - An Gretchen