Tiefpreis
CHF38.35
Auslieferung erfolgt in der Regel innert 1 bis 2 Wochen.
Kein Rückgaberecht!
Die Welt altert - nicht nur in Deutschland gibt es stetig mehr alte Menschen, auch in anderen Teilen der Welt ist der wachsende Anteil der Alten an der Bevölkerung eine Herausforderung. In den Ländern des globalen Südens werden alte Menschen erst langsam als hilfsbedürftige Gruppe wahrgenommen, als von Armut betroffen oder als Opfer familialer Gewalt. Zugleich sind diese Alten soziale Akteure, die etwa verwaiste Enkel versorgen oder wertvolles Wissen tradieren. Die Alten des globalen Nordens schienen lange Zeit abgesichert. Inzwischen jedoch haben demografische Entwicklung und Rentenreformen das Risiko der Altersarmut auch hier erhöht. Dieser Band versteht sich als Teil eines neuen soziologischen Diskurses, der alte Menschen im globalen Süden und Norden zusammen ins Blickfeld rückt. Dabei untersucht er unterschiedliche neue Problemlagen und Lösungsansätze und fragt nach den Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den beiden Weltregionen.
Autorentext
Lutz Leisering ist Professor für Sozialpolitik an der Universität Bielefeld.
Leseprobe
Wir sind Zeugen der "Entdeckung" der alten Menschen in den Ländern des globalen Südens. Bis heute dominieren Kinder unsere Wahrnehmung von Entwicklungsländern. Hilfswerke und Spendenaufrufe beziehen sich meist auf Kinder, in ihnen wird die Zukunft ihres Landes gesehen und ihr Anblick berührt uns, sei es durch dargestellte Not oder durch das Lächeln eines kleinen Kindes. Es gibt gute Gründe, sich in besonderem Maße um die Kinder zu kümmern. Zugleich sind jedoch die alten Menschen in unserer Wahrnehmung vernachlässigt worden. Erst seit den 2000er Jahren werden alte Menschen von internationalen Organisationen als eine besondere Adressatengruppe wahrgenommen - als von Armut betroffen, als sozial marginalisiert und diskriminiert und als Opfer familialer Gewalt. Alte Menschen sind jedoch nicht nur Objekte von Hilfebekundung. Alte sind, etwa in der Sicht von HelpAge, der prägenden internationalen Nichtregierungsorganisation, die sich für alte Menschen einsetzt, auch soziale Akteure, die einen wesentlichen Beitrag zum gesellschaftlichen Leben leisten. Großmütter in AIDS-Familien im südlichen Afrika kümmern sich um ihre verwaisten Enkel, und alte Menschen tradieren wertvolles Wissen und tragen so zur Lösung gesellschaftlicher Probleme vor Ort bei. Quantitativ sind alte Menschen immer weniger vernachlässigbar. Es ist mit einer Zunahme des Anteils alter Menschen in der Bevölkerung weltweit und auch im globalen Süden zu rechnen. Von heute gut zehn Prozent dürfte der weltweite Anteil im Jahre 2050 auf über 21 Prozent steigen. Schon heute leben fast eine halbe Milliarde alte Menschen in Ländern mit niedrigem oder mittlerem Einkommen, das sind etwa zwei Drittel der globalen Alten (Walker Bourne et al., in diesem Band). Dieser Band exploriert die Entstehung einer globalen Altenfrage im Sinne einer neuen "sozialen Frage" (zum Begriff der "sozialen Frage" siehe Kaufmann 2003: 33). In den Ländern des globalen Nordens werden die Alten als Gruppe nicht entdeckt, sondern wiederentdeckt. Denn im "goldenen Zeitalter" westlicher Nachkriegssozialstaaten ging es den alten Menschen gut, vor allem in konservativen und sozialdemokratischen Wohlfahrtsregimen wie Deutschland und Schweden. Die Sozialpolitik investierte viel in Alterssicherung, mit Rentenpolitik waren Wahlen zu gewinnen. Weniger als zwei Prozent der alten Menschen bezogen zuletzt in Deutschland Sozialhilfe - die 2003 eingeführte privilegierte Sozialhilfe, die Grundsicherung im Alter, hat die Ziffer nur wenig wachsen lassen -, während die Sozialhilfe- und Armutsquote von Kindern und Jugendlichen weit höher liegt. Schon früh sprach Richard Hauser (1997) von einer "Infantilisierung" der Armut, womit er auf die "Altersinversion" der Armut hinweisen wollte, nämlich den Wechsel von der besonderen Armutsbetroffenheit alter Menschen bis in die 1960er Jahre, die noch lange danach die öffentliche Wahrnehmung prägte, zur besonderen Armutsbetroffenheit junger Menschen. Aber gerade wegen der guten sozialstaatlichen Sicherung der Alten als "Versorgungsklasse" (Lepsius 1990) waren die Alten als Problemgruppe in der öffentlichen Wahrnehmung lange verschwunden. Dies hat sich in Deutschland erst seit den 1990er Jahren und endgültig in den 2000er Jahren geändert. Das "demographische Altern", also die Zunahme des Anteils alter Menschen an der Bevölkerung, in Kombination mit dem wirtschaftspolitischen Ziel der Senkung der Lohnnebenkosten, wurde auch in Deutschland als Anlass gesehen, die öffentlichen Alterssicherungssysteme umzubauen. Zudem tragen wirtschaftliche Veränderungen, die hohe Arbeitslosigkeit und die Ausbreitung eines Niedriglohnsektors, zu den Problemen der öffentlichen Rentensysteme bei, soweit diese als Sozialversicherung organisiert sind, da diese Veränderungen die Beitragsbasis erodieren. Hinzu kam ein Wandel in den Wahrnehmungen und Wertorientierungen der politischen Öffentlichkeit. Im Zeichen einer "neuen Generationengerechtigkeit" wurde eine relative Benachteiligung der jungen Generation gegenüber der älteren Generation durch die bestehenden Alterssicherungssysteme moniert (Leisering 2004). In der Folge kam es zu tief greifenden Rentenreformen, bei denen öffentliche Renten beschnitten und private Altersvorsorge ausgebaut wurde. Dies war in unterschiedlichen Wohlfahrtsstaaten zu beobachten, so bei der Rentenreform 1998 in Schweden und bei der Riester-Reform (2001) in Deutschland und, noch einschneidender, bei der deutschen Folgereform von 2004 (zu Deutschland siehe Bönker 2005, Berner 2009; zu Deutschland und Großbritannien im Vergleich Leisering 2011; zum internationalen Vergleich Ebbinghaus 2011). Als Folgeproblem der Rentenreformen und der ihnen zugrunde liegenden wirtschaftlichen und demographischen Veränderungen kehrten Fragen von Armut und Ungleichheit im Alter zurück. Die gesteigerte Rolle privater Vorsorge bringt neue Risiken für die Vorsorgenden mit sich, die im Zuge der globalen Finanzkrise seit 2008 für eine breite Öffentlichkeit greifbar wurden. Dies betrifft besonders liberale Systeme wie in Großbritannien, in denen der hohe Anteil privater Vorsorge die Lebenslagen alter Menschen schon immer stärker von Marktvolatilitäten und den Unterschieden individueller Vorsorgefähigkeit abhängig machte, aber auch sozialdemokratische Wohlfahrtsstaaten, insofern sie, wie die Niederlande, auf umfangreiche betriebliche Altersversorgung gesetzt haben, die auch auf Anlagen an Kapitalmärkten basiert. Aber auch in Deutschland ist die erwartbar zunehmende Armut im Alter wieder zu einem Thema geworden (Bäcker, in diesem Band). Deutschland und radikaler noch Schweden haben ihre Sozialversicherungen - in Deutschland durch den 2004 eingeführten "Nachhaltigkeitsfaktor", in Schweden durch umlagebasierte Rentenkonten (Wilke, in diesem Band) - auf sich verändernde demographische und wirtschaftliche Bedingungen eingestellt. Damit sind Rentenanpassungen nach unten vorprogrammiert. Die Grundsicherung im Alter wurde in Deutschland nicht zufällig im Rahmen der Riester-Reform eingeführt. Allerdings scheinen einige Länder von der drohenden Altersarmut aufgrund des institutionellen Arrangements ihrer Alterssicherung weniger betroffen zu sein als Deutschland (siehe den Beitrag von Riedmüller und Willert und den von Döring, in diesem Band). 2 Die Altenfrage in der globalen Politik In Bezug auf den globalen Süden wächst langsam das Bewusstsein, dass alte Menschen eine Gruppe sind, die verstärkte und spezifischere Aufmerksamkeit braucht. Es ist bemerkenswert, dass in Deutschland erst 2005 eine Nichtregierungsorganisation gegründet wurde, HelpAge Deutschland, die sich den Belangen alter Menschen weltweit widmet. Dagegen gibt es zahllose Nichtregierungsorganisationen und Initiativen, die sich für Kinder engagieren. HelpAge International wurde bereits 1983 in London gegründet (Walker Bourne et …