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Wir schreiben das Jahr 1474. Unaufhaltsam nähert sich eine der größten und am besten ausgestatteten Armeen ihrer Zeit unter der Führung des burgundischen Herzogs Karl dem Kühnen der kleinen, aber gut befestigten und zur Abwehr entschlossenen Stadt Neuss. Die kommenden Monate werden den Verteidigern aber auch den Angreifern alles abverlangen. Zum Einsatz kommen nicht nur die bekannten Nahkampfwaffen des Mittelalters, sondern eine Vielzahl an durchaus modern anmutenden Geschützen, Grabensystemen und Strategien. Hunger, Verzweiflung aber auch Hoffnung und Mut im Angesicht der andauernden Belastung sind stete Begleiter auf beiden Seiten. Fast ein Jahr lang wird es dauern, bis der deutsche Kaiser Friedrich III. ein Heer aufstellen und Neuss zu Hilfe kommen kann. Wie schafften es die Menschen in der belagerten Stadt, mit den extremen Belastungen über eine so lange Zeit hinweg umzugehen? Was bewegte sie, die Stadt nicht zu übergeben und wie schafften sie es, ihre Einheit zu wahren?
Autorentext
Daniel Ossenkop, M.A. wurde 1986 in Hildesheim geboren. Seinen Bachelor in Geschichte und Englisch schloss er 2011 in Braunschweig ab. Bis 2014 studierte und arbeitete er in Düsseldorf, wo er den Master of Arts mit dem Schwerpunkt Mittelalterliche Geschichte abschloss. Bereits während des Studiums sammelte er praktische Erfahrungen im Museumsbereich und beschäftigte sich intensiv mit der Geschichte des Krieges im Mittelalter. In seiner Freizeit ist der Autor im historischen Fechten aktiv.
Leseprobe
Textprobe:
Kapitel 4.2, Die Entwicklung der Feuerwaffen im Mittelalter:
Mit Pulver betriebene Waffen sind keine Erfindung des späten 15. Jahrhunderts. Verschiedene Rezepte für Schießpulver gab es in Europa seit dem 13. Jahrhundert, auch wenn es zunächst nur für den Antrieb von Raketen verwendet wurde. Roger Bacon (1214 1292) beschrieb bereits, welch großen Schrecken das Pulver auslösen konnte. Einige Zeit später ging man dazu über, Bolzen mit Hilfe des Schießpulvers aus vasenförmigen Gefäßen zu verschießen.
Diese Waffen erfreuten sich bereits früh großer Beliebtheit und sie befanden sich recht bald auch in Besitz verschiedener Städte. Die Leistungsfähigkeit und Präzision dieser Handfeuerwaffen waren wohl wesentlich höher als häufig vermutet. In Tests wurde ermittelt, dass bereits eine effektive Kampfentfernung von 200-300 Meter möglich war und auf 20 Metern mühelos 1,5 mm starker Stahl durchschlagen werden konnte. Das 15. Jahrhundert brachte weitere, leistungsfördernde Entwicklungen wie Haken, bessere Schäfte und Luntenschlösser.
Die rasante Weiterentwicklung der verschiedenen Techniken, ob nun zum Angriff oder zur Abwehr bestimmt, war vor allem ein Ergebnis der ständig schwelenden Rivalitäten zwischen den Mächten Europas. Insbesondere der vermehrte Einsatz von Bombarden führte dazu, dass die Mauern der Burgen und Städte verstärkt werden mussten.
Die verschiedenen Weiterentwicklungen führten nach und nach zu einer Professionalisierung des Krieges. Das Schießpulver musste im richtigen Verhältnis gemischt werden, beim Aufbau der Kanonen musste auf den richtigen Winkel, die Windrichtung und die Entfernung geachtet werden. Zu diesem Zweck war es immer stärker notwendig, im Kriegsfall Spezialisten anzuwerben, die den steigenden Anforderungen gewachsen waren.
Das Mischverhältnis des Schwarzpulvers unterlag immer wieder Veränderungen. Während das von Roger Bacon Mitte des 13. Jahrhunderts entwickelte Pulver eher zum Anzünden geeignet war als zum Explodieren, wurde erst 25 Jahre später das Mischverhältnis von Albertus Magnus entscheidend verbessert. Das optimale Verhältnis beträgt 75% Salpeter, 10% Schwefel und 15% Kohle. Das burgundische Schwarzpulver bestand im 15. Jahrhundert aus 71,4% Salpeter, 21,4% Schwefel und 7,1% Kohle.
Die Verbreitung der Feuerwaffen nahm einen rasanten Verlauf. 1326/27 wurden sie in Italien und England erstmals verwendet, 1338/39 in Frankreich, 1342 in Spanien und 1346 im Norden des Heiligen Römischen Reiches. Im späten 15. Jahrhundert wurden besonders große Kanonen, die Bombarden, in Frankreich, Spanien, Italien und den Niederlanden entwickelt und gebaut. Auch wenn diese Geschütze bei optimalem Gebrauch und perfekt gemischtem Pulver bereits weiter als 1.000 Meter schießen konnten, so verwendeten die Kanoniere häufig wesentlich weniger Pulver als möglich, um einer Explosion des Geschützes vorzubeugen. Daher wurden sie häufig 200-250 Meter vor der belagerten Befestigung aufgebaut und durch spezielle Schilde von feindlichem Beschuss abgeschirmt. Als Geschosse wurden steinerne Kugeln verwendet. Die Schussfrequenz war allerdings gering, für die großen Geschütze kann mit maximal sieben Schuss pro Tag gerechnet werden.
Die Belagerungsartillerie war zu Anfang demnach noch nicht allzu effektiv, so dass parallel weiterhin Katapulte eingesetzt wurden. Eine Verbesserung erfolgte erst am Ende des 14. Jahrhunderts. Im 15. Jahrhundert wurden erstmals große Bombarden und Mörser eingesetzt, für deren Produktion vor allem die Eisenverarbeitung grundlegend war. Von nun an lösten sie die Katapulte endgültig ab.
Doch nicht nur bei Belagerungen, auch in der Feldschlacht wurden im Spätmittelalter Geschütze eingesetzt. Die burgundische Armee setzte im 15. Jahrhundert Feld- und Salvengeschütze ein. Im gleichen Zuge wurden die bereits angesprochenen Handfeuerwaffen in immer größeren Stückzahlen hergestellt.
Doch trotz aller Steigerung der Effektivität, di