

Beschreibung
Die Autorin dekonstruiert die Annahme einer umfassend erfolgreich geleisteten deutschen Trauerarbeit. Sie verdeutlicht in Betrachtung verschiedener, kultureller Sinngebungsleistungen, dass diese als Ausdruck einer NS-Zeit bezogenen, von einer Sehnsucht nach No...Die Autorin dekonstruiert die Annahme einer umfassend erfolgreich geleisteten deutschen Trauerarbeit. Sie verdeutlicht in Betrachtung verschiedener, kultureller Sinngebungsleistungen, dass diese als Ausdruck einer NS-Zeit bezogenen, von einer Sehnsucht nach Normalität getragenen Trauerabwehr zu verstehen sind.
Die Deutschen, so das allgemeine Credo, seien nun, nachdem sie hinsichtlich ihrer verbrecherischen Vergangenheit eine erfolgreiche Trauerarbeit geleistet hätten, ein »ganz normales Volk«. Die vorliegende Studie zur deutschen Erinnerungskultur tritt dieser Überzeugung mit der These entgegen, das »kulturelle Gedächtnis« der Deutschen sei durch eine von einer Sehnsucht nach »Normalität« getragene Trauerabwehr geprägt. Diesen von Normalitätssehnsucht und Trauerdefizit gekennzeichneten »deutschen Zustand« stellt die Autorin in Kontrast zu einem Konzept gelingender Trauerarbeit, welches die Erarbeitung der depressiven Position, die Auflösung innerfamiliär wirksamer Gefühlserbschaften oder sekundär-antisemitischer Einstellungen einfordert. Es umfasst die Bereiche Erziehung, Bildung, Ökonomie und politische Identitätsbildung und führt, ohne jegliche Relativierung, zur Anerkennung deutscher Schuld und des unabänderlich Unnormalen der deutschen »Normalität«.
Autorentext
Bettina Mihr, Dr. phil., ist Dipl. Sozialpädagogin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind psychoanalytische Sozialpsychologie, politische Psychologie, psychoanalytisch-sozialpsychologische Untersuchung der Folgewirkungen des Nationalsozialismus und ihrer Bedeutung für die kulturelle, gesellschaftliche und politische Verfasstheit der Bundesrepublik Deutschland.
Inhalt
Inhalt Einleitung I. Zur Arbeitsmethode I.1 Grundsätzliches I.2 Spezifisches Exkurs I.2.1 Zur Kollektivierung individualpsychologischer Phänomene und einer tiefenhermeneutischen Kulturanalyse I.2.2 Zur Kollektivierung individualpsychologischer Phänomene I.2.3 Exkurs: Zur Theorie und Methode der tiefenhermeneutischen Kulturanalyse nach Alfred Lorenzer II. Trauer und Melancholie, Trauerarbeit und melancholische Arbeit, Trauma und Traumabearbeitung, Trauerdefizit und Normalitätssehnsucht II.1 Trauer, Melancholie und Trauerarbeit bei Sigmund Freud II.1.1 Sigmund Freud zu »Trauer und Melancholie« II.1.2 S. Freuds Arbeiten zu Trauer,Melancholie und Trauerarbeit Ergänzungen und Erweiterungen II.2 Zu entwicklungspsychologisch relevanten Voraussetzungen und Bedingungen von Trauer und Trauerarbeit II.3 Zur Erziehung im Dritten Reich und ihrer Bedeutung fur eine deutsche Trauer(un-)fähigkeit II.3.1 NS-pädagogisches Kampfgebiet Kind II.3.2 Zur Entwicklung der inneren Objektwelt, ihrer Relevanz fur eine Trauerfähigkeit und diesbezuglichen Auswirkungen von NS-Erziehung bzw. nationalsozialistisch geprägten Eltern-Kind-Beziehungen II.4 Das Trauma zu Definitionen, Ursachen, Symptomen, Folgen II.4.1 Das Posttraumatische Belastungssyndrom(PTBS) II.4.2 Zum Begriff des Traumas in der Psychoanalyse Allgemeines und NS-Zeit-Spezifisches II.4.3 Zur Traumatisierung von Kindern und Jugendlichen in der NS-Zeit und im Zweiten Weltkrieg II.4.3.1 Exkurs: Symbiose oder interaktionelle Harmonie? Überlegungen im Kontext einer Betrachtung der NS-Mutter-Kind-Beziehung II.4.3.2 Auswirkungen einer (Kriegs-)Kindheit im Nationalsozialismus Ergebnisse einer Untersuchung deutscher Psychoanalytikerinnen und Psychoanalytiker II.4.4 Überlegungen zum Begriff des kollektiven Traumas bzw. zur Traumatisierung eines Kollektivs II.4.4.1 Zur Traumatisierung des deutschen NS-Kollektivs II.4.5 Zur NS-Zeit bezogenen Korrelation von Trauer(-arbeit) und Trauma(-bearbeitung) II.4.6 Zur transgenerationellen Weitergabe traumainduzierter/trauerdefizitärer Prozesse II.5 Zu Alexander und Margarete Mitscherlichs Analyse der nicht betrauerten deutschen NS-Vergangenheit und ihren Folgen II.5.1 Zur Kritik an der Mitscherlichschen Analyse im Kontext der Überlegungen Christian Schneiders II.5.1.1 Zur deutschen Kollektivschuldhypothese II.5.1.2 Zu Adorno-Bashing, Mitscherlich-Kritik, der Sehnsucht nach Eigentlich-Werdung und dem Plädoyer fur eine neue Erinnerungskultur II.5.1.2.1 Zum Bemuhen um eine Demontage Adornos II.5.1.2.2 Zur Kritik am Mitscherlichschen Trauerbegriff Definitionsversuche II.5.1.2.3 Sehnsucht nach Demarkation als Ausdruck der Sehnsucht nach Normalität II.5.1.2.4 Zum Plädoyer fur eine neue Erinnerungskultur II.5.1.3 Bruder im Geiste Christian Schneider und Martin Walser II.5.1.4 Schuldlos-Schuldige? Martin Walser und Gunter Grass II.5.1.5 Nicht nur zwischen Scham- und Schuldkultur Martin Walsers Paulskirchenrede und ihre Implikationen II.5.2 Zur Bedeutung der Opferidentifizierung der Nachkommen des Täter- und Mitläuferkollektivs fur die deutsche Erinnerungskultur II.5.3 Trauer und Erinnerung Ergänzendes zur Kritik an der Mitscherlichschen Analyse II.6 Trauerdefizit und Normalitätssehnsucht III. Das kulturelle Gedächtnis III.1 Zu den Theorien des Mémoire collective von Maurice Halbwachs und des Kulturellen Gedächtnisses von Jan und Aleida Assmann III.1.1 Zur Theorie des Mémoire collective von Maurice Halbwachs III.1.1.1 Die soziale Bedingtheit des individuellen Gedächtnisses III.1.1.2 Kollektive Vergangenheitskonstruktion im Kontext von intergenerationellem Gedächtnis und religiöser Verortung III.1.2 Zur Theorie des Kulturellen Gedächtnisses von Jan und Aleida Assmann Darstellung und Kritik einer Theorie unter Berucksichtigung ihrer trauerdefizitären Anteile III.1.2.1 Zwei Formen des kollektiven Gedächtnisses: kommunikatives und kulturelles Gedächtnis III.1.2.2 Kulturelles Gedächtnis, Schrift und politische Identität III.1.2.3 Integration und Distinktion: Konfliktpotenziale im Kontext kultureller Steigerungsprozesse eine kritische Reflexion III.1.2.3.1 Zu theoretischen Überschneidungen zwischen Ethologie, Kulturtheorie und neu-rechtem Denken III.1.2.3.1.1 Pseudospeziation, Arterhaltung, Homogenität, Assimilierung zu Symptomen des Trauerdefizits III.1.2.3.2 Zwischenbemerkung III.1.2.3.3 Zur politischen Bedeutung von Bildung im Kontext von Integration und Distinktion III.1.2.3.4 Integrative und distinktive Steigerungsformen Jan Assmanns Kritik an Arnold Gehlen und Wilhelm E. Muhlmann III.1.2.3.5 Sakralisierung der Identität und Opferkonstruktion im Kontext des Mythos Vertreibung III.1.2.4 Vorstellungen von Gedächtnis als ars und vis sowie die Erinnerungsmodi Funktions- und Speichergedächtnis (nach Aleida Assmann) III.2 Das Unbewusste in der Kultur Zu Freuds Konzeption des Kulturellen Gedächtnisses und dessen Relation zu Trauma, Schuld und Tradition III.2.1 Der Mann Moses und die monotheistische Religion III.3 Exkurs: Das Unbewusste in der Kultur im Kontext von psychoanalytischer Kulturtheorie und kulturwissenschaftlicher Gedächtnistheorie IV. Zur trauerdefizitär-normalitätssehnsuchtigen Bedeutung aktuell wirksamer deutscher Mythen bzw. aktueller Mythologisierungen IV.1 Politikwissenschaftliche Mythos-Definitionen IV.2 Zu deutschen Mythen,Mythendefizit und Gegenmythen IV.3 1989 und DDR-Nostalgie ein kathartischer Mythos und seine Umdeutung IV.4 Opfermythos, Sakralisierung und gewähltes Trauma IV.5 Mythos und Militär zu NS-vergangenheitsgeprägten Manifestationen einer naturlichen Allianz IV.5.1 Zu Aspekten deutscher Militärpolitik, ihrer zivilen (Nicht-)Einbettung und ihren Folgen IV.5.2 Deutsche Emanzipationsbestrebungen und ihre Verwurzelung in der NS-Vergangenheit IV.5.3 Heldentum und Opfertod,Widerstand und Ehrenmal IV.5.4 Tapferkeitsmedaille statt Eisernes Kreuz IV.5.5 Heldentum und Nationalstolz Symptome narzisstischer Deformierung IV.6 Mythos Dresden, Mythos Frauenkirche IV.7 Mythos-Ersatz Verfassungspatriotismus und andere Mythenäquivalente V. Schlussbetrachtung Literatur (Weitere) Internet- und sonstige Quellen Erwähnte Filme