Tiefpreis
CHF33.50
Auslieferung erfolgt in der Regel innert 1 bis 2 Wochen.
Kein Rückgaberecht!
Wer zählt zur deutschen Wissenschaftselite und wie rekrutiert sie sich? Gestützt auf empirisches Datenmaterial zeichnet Angela Graf das Sozialprofil und die Werdegänge der Wissenschaftselite von 1945 bis heute nach. Dabei zeigt sich, dass soziale Herkunft erheblichen
Einfluss auf die Karriere hat. Der weit überwiegende Anteil der Elitemitglieder stammt aus hochprivilegierten Familienverhältnissen, wobei diese mit zunehmendem Machtumfang der Elitepositionen eine größere Nähe zur Wirtschaft aufweisen. Umgekehrt findet sich bei den wissenschaftlichen Koryphäen eine engere familiäre Bindung zum akademischen Feld. Die Ergebnisse erlangen angesichts der aktuellen hochschulpolitischen Initiativen zur Förderung wissenschaftlicher Eliten besondere Brisanz, da sie das propagierte meritokratische Prinzip infrage stellen.
Autorentext
Angela Graf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie an der TU Darmstadt.
Leseprobe
1 Einleitung
Seit einigen Jahren ist der Begriff "Elite" nicht nur im wissenschaftlichen Diskurs wieder en vogue, was sich an der hohen Anzahl wissenschaftlicher Publikationen zu diesem Themenkomplex zeigt und damit ein gestiegenes Interesse an der Analyse der gesellschaftlichen Spitze verdeutlicht. Auch in den Medien und der Öffentlichkeit ist "Elite" zu einer Art Schlüsselbegriff avanciert. Insbesondere im Bereich der Hochschul- und Wissenschaftspolitik findet in den letzten Jahren eine intensive Diskussion um die (Aus-)Bildung von Eliten statt; es werden Forderungen nach dezidierten Eliteförderungskonzepten zur Steigerung wissenschaftlicher Leistung und Exzellenz laut. Reformbemühungen im Bereich des deutschen Hochschul- und Forschungssystems, wie die jüngst ausgelaufene Exzellenzinitiative, die auf die Herausbildung von Eliteuniversitäten abzielte, die Autonomisierung und Privatisierung von Universitäten, die deutliche Zunahme von Evaluationsprogrammen, Deutschlandstipendien, verschiedene Programme der Länder zur Förderung wissenschaftlicher Exzellenz, wie das LOEWE-Programm in Hessen und vieles mehr, verdeutlichen den Wunsch und den Drang nach der Förderung und der Sichtbarkeit der wissenschaftlichen Eliten in Deutschland. Wiederholt wird in diesem Zusammenhang betont, es sei notwendig, sich zugunsten einer gezielten Förderung der Besten und Begabtesten, von einem egalitären System abzuwenden. All diese Programme und Maßnahmen werden vor dem Hintergrund einer Bestenauswahl und -förderung verhandelt. Wenig spezifiziert wird in diesem Diskurs jedoch, von wem eigentlich die Rede ist, wenn von Wissenschaftseliten gesprochen wird. Geht man zunächst davon aus, dass es sich bei wissenschaftlichen Eliten um Personen handelt, die an der Spitze des Wissenschaftssystems stehen, so stellen diese keineswegs eine Neuerung dar. Außergewöhnliche Spitzenwissenschaftler oder Akteure mit weitreichendem Einfluss auf die Geschicke der Wissenschaft gab und gibt es seit Beginn der modernen Wissenschaft, also seit der Etablierung der Wissenschaft als eigenständige und zentrale gesellschaftliche Institution.
Seiner etymologischen Herkunft nach bedeutet der Begriff Elite (von lat. eligere, frz. élire) zunächst nichts anderes als die Auswahl oder das Erwählen von Personen. Damit ist allerdings noch nichts über die Kriterien dieser Auslese gesagt. Im alltäglichen Sprachgebrauch ist der Begriff hingegen hochgradig normativ aufgeladen, wobei die aktuelle Debatte im Zusammenhang mit Wissenschaft eng mit dem Leistungsgedanken verknüpft scheint. In der Wissenschaft wird häufig, mehr noch als in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen, von einem meritokratischen Prinzip ausgegangen. Auch die jüngsten wissenschaftspolitischen Entwicklungen, wie die Einführung neuer Steuerungsmechanismen, gehen von diesem Grundsatz aus. Sie sollen in erster Linie die Rahmenbedingungen für eine rein leistungsorientierte und konkurrenzbasierte Förderung und Auslese im wissenschaftlichen Betrieb schaffen bzw. verbessern. Insofern liegt hier die implizite Annahme zugrunde, dass die bisherigen Strukturen eine solche rein auf der Identifizierung, Auswahl und Förderung der Besten und Begabtesten basierende Produktion und Reproduktion nur unzureichend ermöglichten. Anders als seit einigen Jahren beispielsweise im Bereich der Bildung - insbesondere seit dem "PISA-Schock" 2000 - steht jedoch nicht die Frage nach dem Abbau möglicher vorhandener sozialer Ungleichheiten im Fokus des Diskurses, sondern vielmehr die Monierung einer zu sehr auf Egalität beruhenden Struktur, die die vollen Potenziale nicht auszuschöpfen vermag.
Dies wirft Fragen auf, wie beispielsweise: Wer sind eigentlich die Besten und wodurch werden sie als solche erkannt bzw. geben sie sich zu erkennen? Nach welchen Kriterien wurde und wird in der Wissenschaft selektiert und rekrutiert und wem gelang es bislang, an die Spitze der Wissenschaft zu kommen? Mehr noch: Wer gehört eigentlich zur Spitze der Wissenschaft und wer leitet deren Geschicke?
Dass ein guter Wissenschaftler nicht notwendigerweise auch ein guter Hochschullehrer sein muss, stellte schon Max Weber in seinem 1919 gehaltenen Vortrag "Wissenschaft als Beruf" heraus (vgl. Weber 2002: 479). Diese Ambivalenz bei Auswahlprozessen zwischen rein wissenschaftlichen Leistungskriterien und darüber hinausgehenden Qualifikationen für eine Positionierung innerhalb der institutionellen Strukturen der Wissenschaft, also eine Karriere im wissenschaftlichen Feld, trifft aber nicht nur auf Hochschullehrer zu, die gleichsam Forscher und Lehrer in Personalunion sein müssen. Ähnliche Überlegungen lassen sich beispielsweise auch im Hinblick auf die Voraussetzungen und Auswahlkriterien für so genannte Wissenschaftsmanager oder -adminis-tratoren anstellen. Dass wissenschaftliche Leistung alleine nicht ausreichend ist, um in der Wissenschaft erfolgreich zu sein, geschweige denn an deren Spitze aufzusteigen, ist ein offenes Geheimnis.
Der derzeitige Diskurs dreht sich also offensichtlich weniger um die Frage der Existenz wissenschaftlicher Eliten per se, sondern vielmehr um Auswahl- und Zugangskriterien zur selben. Wenn also Forderungen nach Veränderungen bei der Bildung und damit der Konstitution wissenschaftlicher Eliten laut werden, stellt sich zunächst zwangsläufig die Frage, wie sich diese bislang rekrutierten und zusammensetzten. Wer sind die Akteure, die es bislang an die Spitze der deutschen Wissenschaft, also in die Wissenschaftselite, geschafft haben? Was verbindet sie? Was zeichnet sie aus? Über diese zentralen Fragen schweigen sich die Akteure im aktuellen Diskurs aus. Systematische, wissenschaftlich fundierte Informationen über die Spitze der Wissenschaft liegen bislang kaum vor, was entsprechende Forderungen nach Veränderungen fragwürdig erscheinen lässt.
Dieser Informationslücke soll mit der vorliegenden Arbeit begegnet werden. Ziel ist es, anhand empirischer Analysen das Sozialprofil und die Werdegänge der deutschen Wissenschaftselite nachzuzeichnen. Der Fokus liegt dabei einerseits auf der Frage nach der sozialen Exklusivität des Zu-gangs zu diesen Positionen und andererseits darauf, ob unterschiedliche Typen von Elitepositionen an der Spitze der Wissenschaft identifiziert werden können und inwiefern sich diese hinsichtlich der sozialen Zusammensetzung und der wissenschaftlichen Laufbahnen unterscheiden. Zwar erlaubt eine solche Analyse keine Extraktion kausaler Erfolgs- bzw. Zugangskriterien zu diesen Positionen, da lediglich die Akteure in den Blick geraten, die es an die Spitze geschafft haben, nicht jedoch jene, die es nicht schafften. Die strukturellen Merkmale ermöglichen jedoch zumindest eingeschränkt Rückschlüsse auf Kriterien, die offensichtlich die Zugangschancen zu solchen Positionen begünstigen. Insbesondere im Wissenschaftskontext wird, wie bereits angesprochen, das meritokratische Prinzip, wonach wissenschaftliche Leistung, "wissenschaftliche Exzellenz", als einziges legitimes Kriterium für Erfo…