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In einer Welt, in der alte Gewissheiten prekär werden, ist Sicherheit zu einer zentralen Wertvorstellung geworden. Terroranschläge, Naturgefahren, Pandemien, Ausfälle vitaler Infrastrukturen und technische Störfälle führen immer wieder vor Augen, dass es "keine hundertprozentige Sicherheit" gibt. Als Alternative zum Versprechen von Sicherheit wird in jüngster Zeit verstärkt das Leitbild der Resilienz ins Spiel gebracht - die Fähigkeit, Risiken und Gefahren erfolgreich zu bewältigen. Dieses Buch untersucht die komplexe Sicherheitslandschaft der Gegenwart. Es befragt Praktiken der Sicherheit nach ihrer historischen Herkunft und ihren sozialen Effekten und versucht, unser Verständnis von "Sicherheit" zu verunsichern.
Autorentext
Andreas Folkers, Dr. phil., ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Soziologie der Universität Frankfurt am Main.
Leseprobe
Vorwort Sicherheit wird immer mehr zur zentralen Wertvorstellung westlicher Gesellschaften. Darin mag man ein Zeichen dafür sehen, dass wir in Zeiten politischer Resignation leben. Gewerkschaften und linke Parteien kämpfen nicht mehr gegen Ausbeutung und für die Aneignung der Produktionsmittel, sondern gegen Prekarisierung und für sichere Renten. Die Solidarität mit revolutionären Befreiungsbewegungen in Ländern des globalen Südens ist der Angst vor islamistischem Terrorismus gewichen. Die Beschwörung einer "Revolte der Natur" (Horkheimer 1967, 63-92) ist dem Eintreten für Klimaschutz zur Erhaltung des "safe operating space for humanity" (Rockström et al. 2009) gewichen. Wo die Aussicht auf globale Gerechtigkeit in weite Ferne gerückt ist, erscheint lediglich die humanitäre Forderung nach Sicherheit und Schutz für Geflüchtete halbwegs realistisch. Wenn sich die Glaubensgänger_innen des Christentums damit abgefunden haben, dass die Erlösung in ein fernes Jenseits abgeschoben wurde, weil sich die fürsorgliche caritas zumindest der ärgsten irdischen Nöte annimmt, so scheinen wir uns damit arrangiert zu haben, auf allzu jenseitige Werte wie Freiheit und Gerechtigkeit zu verzichten, solange man uns nur mit ausreichend politischen, rechtlichen und ökonomischen Sicherungen versieht. Selbst die Kritik an den Auswüchsen der Sicherheit in Form staatlicher und privatwirtschaftlicher Überwachung kommt meist als Einklagung und Verteidigung der Datensicherheit oder des Schutzes der Privatsphäre, also ihrerseits als Ruf nach Sicherheit daher. Das Begehren nach Sicherheit, so scheint es, macht einen bestenfalls zur Merkelwählerin, schlimmstenfalls zum "besorgten Bürger". Es liegt deshalb aus kritischer sozialwissenschaftlicher Perspektive nahe, Sicherheit als Zielvorstellung per se abzulehnen, um wieder einen genuin politischen Möglichkeitshorizont zu eröffnen (Neocleous 2008). Es soll wieder um Demokratie und Gleichheit gehen und nicht nur um die Sicherung des Lebens. Dieses Buch setzt allerdings einen anderen Akzent. Es versucht nicht, das Politische gegen das Streben nach Sicherheit auszuspielen, sondern will vielmehr die Politik der Sicherheit selbst beleuchten und zeigen, was bei dieser Politik auf dem Spiel steht. Sicherheit ist nicht nur eine Ablenkungsstrategie von Regierenden, nicht nur ein Trostpreis für politisch Resignierte, sondern fundamentaler Anspruch eines Lebens, dessen grundlegende Eigenschaft darin liegt, verwundbar und deshalb schutzbedürftig zu sein (Butler 2004). Wer das nicht wahrhaben will und stattdessen auf hochtrabenden politischen Programmatiken beharrt, reproduziert damit nur eine fatale Vorstellung politischer Subjektivität, die vollkommen bedürfnislos und autonom die politische Sphäre betritt, und lässt zudem die Ansprüche und Motivlagen faktisch handelnder politischer Subjekte außer Acht. Aber gerade weil Sicherheit ein so grundlegendes Bedürfnis des prekären Lebens ist, ist sie auch gefährlich. Das Verlangen nach Sicherheit lässt sich nämlich auf vielfältige Weise missbrauchen und ausbeuten. Nicht selten gehen Sicherheitsmaßnahmen deswegen mit neuen Formen sozialer Kontrolle und maßloser politischer Macht einher. Dieses Buch untersucht diese Ambivalenz der Sicherheit zwischen sozialer Kontrolle und lebenswichtigem Anspruch am Fall der Sicherheitsmaßnahmen gegen katastrophische Risiken. Nirgendwo sonst wird die Verwundbarkeit des Lebens so sichtbar wie etwa nach Naturkatastrophen, die einer Vielzahl von Menschen auf einen Schlag ihr Leben, ihre Gesundheit oder ihre mühsam errichtete Lebensgrundlage nehmen. Nichts nutzt die Verwundbarkeit der Bevölkerung so schamlos und brutal aus wie Terroranschläge. Und nichts lässt sich so gut von Politiker_innen nutzen wie ebendiese Anschläge, um ihren Rufen nach immer neuen Verschärfungen von Sicherheitsgesetzen Gehör zu verschaffen. Das Buch beschäftigt sich aber nicht nur mit diesen offensichtlichen Fällen des Katastrophischen, die regelmäßig viel Medienaufmerksamkeit auf sich ziehen und politische Debatten generieren. Es konzentriert sich zudem auf eine tiefe Schicht von Sicherungsmaßnahmen, die nicht nur gegen äußere Gefahren schützen, sondern das Leben, wie wir es kennen, überhaupt erst ermöglichen. Unter dem Überbegriff der "Biopolitik vitaler Systeme" beleuchtet das Buch eine Reihe von uns mittlerweile so selbstverständlich gewordenen Formen der Versorgungssicherheit und der technischen Sicherung wie fließendes Wasser, Strom- und Gesundheitsversorgung etc., die uns zumeist überhaupt erst dann ins Bewusstsein treten, wenn sie - ausgelöst durch externe katastrophische Ereignisse oder interne systemische Risiken - gestört oder nicht mehr verfügbar sind. Und weil in diesen Momenten offensichtlich wird, wie abhängig Gesellschaften von den vielfältigen lebenserhaltenden Systemen geworden sind, ist der Systemzusammenbruch in jüngerer Zeit zur zentralen Figur des Katastrophischen aufgestiegen. Katastrophische Risiken wie Terroranschläge und Naturgefahren ebenso wie systemische Risiken wie der Ausfall lebenswichtiger Infrastrukturen oder der Zusammenbruch des Finanzmarktes stellen das politische Versprechen der Sicherheit dabei immer wieder in Frage. Der in den letzten Jahren verstärkte Bezug auf das Konzept der Resilienz reagiert auf diese Verunsicherung und begleitet das zum Mantra gewordene Eingeständnis, dass es "keine hundertprozentige Sicherheit" gibt. Resilienz ist ein verändertes Leitbild der Sicherheit, bei dem weniger die vollkommene Abwesenheit von Gefahren angestrebt wird, sondern der erfolgreiche Umgang mit Risiken im Vordergrund steht. Auch dieses Leitbild der Sicherheit ist ambivalent, weil es einerseits reflexiven Abstand von überzogenen Ansprüchen und fatalen Paradoxien der Sicherheit nimmt, andererseits aber auch droht, die Abweisung von Schutzansprüchen der verwundbarsten Teile der Bevölkerung vorzubereiten. Dieses Buch ist in den vergangenen sowohl persönlich wie politisch durchaus unsicheren Zeiten entstanden. Dass es schließlich doch in den sicheren Hafen dieser Publikation eingefahren ist, habe ich einer Reihe von Personen und Institutionen zu verdanken. Zuerst möchte ich der Studienstiftung des deutschen Volkes für die finanzielle und ideelle Förderung des Promotionsprojekts sowie meines Auslandsaufenthaltes in New York danken. Ebenso möchte ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft danken, die diese Veröffentlichung mit einer großzügigen Publikationsbeihilfe unterstützt hat. Meinen nunmehr ehemaligen Mitbewohnern Bernhard, Boris, David und Flo danke ich für den nicht minder wichtigen häuslichen support. Flo Maak danke ich besonders dafür, dass er eine Fotografie seiner Serie "danger" als Titelbild für dieses Buch zur Verfügung gestellt hat. Isabell Trommer vom Campus-Verlag danke ich für ihre geduldige und aufmerksame Betreuung der Veröffentlichung. Ich danke natürlich meinem Betreuer Thomas Lemke für die Betreuung des Projekts. Ebenso danke ich Peter Wehling, der mich als Zweitgutachter substantiell beraten und mit …