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Bis weit in die 1960er-Jahre hinein stammte ein Großteil der weiblichen Haus- und Gastgewerbsangestellten in der Schweiz aus Deutschland und Österreich. Anhand lebensgeschichtlicher Erzählungen untersucht Andrea Althaus die Deutungen der Arbeitsund Lebenserfahrungen dieser Migrantinnen. In ihrer gendersensiblen Analyse der weiblichen Arbeitsmigration eröffnet sie zugleich einen neuen Blick auf die schweizerische Migrationspolitik und Überfremdungsdiskurse im 20. Jahrhundert.
»Neben der sozialwissenschaftlichen Analyse besticht Althaus' Dissertation durch die Erzählungen. Die Autorin verwebt diese geschickt mit politischen, rechtlichen und ökonomischen Regulativen. Die Berichte schildern eindrücklich, wie sich Überfremdungsangst, Diskriminierung und einseitige Abhängigkeit auswirkten.« Karin Unkrig, Kulturtipp, 17.10.2017 »Nachdem das Forschungsinteresse lange auf den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit Migration gerichtet war, sind HistorikerInnen in jüngster Zeit darum bemüht, Migrierende als handlungsmächtige AkteurInnen sichtbar zu machen (). Andrea Althaus leistet einen innovativen Beitrag zu diesem Perspektivenwechsel. () Althaus reflektiert diese Dimension erinnerter Geschichte allerdings stets mit, () was ihr Buch zu einem methodisch wie auch inhaltlich wichtigen Beitrag sowohl zur geschlechtersensiblen Migrationsforschung als auch zur Oral History und historischen Erinnerungsforschung macht.« Sarah Baumann, Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, 15.08.2018 »Althaus schliesst mit ihrer Studie nicht nur eine Forschungslücke, sondern identifiziert ein Wanderungssystem und bietet erstmals für die Geschichte der weiblichen Arbeitsmigration aus Deutschland und Österreich eine dichte, fakten- und quellenreiche Darstellung.«, H-Soz-Kult, 02.10.2018
Autorentext
Andrea Althaus, Dr. phil., ist Zeithistorikerin.
Leseprobe
Einleitung Alles Leben ist Bewegung. Leonardo da Vinci "Mädchen, geh in die Schweiz und mach dein Glück!" Diesem sprichwört-lichen Rat folgten im Laufe des 20. Jahrhunderts Tausende deutsche und österreichische Frauen. Sie verließen ihre Herkunftsregionen, um als Dienst-, Kinder-, Küchen- oder Zimmermädchen, als Haushälterinnen, Serviertöchter, Buffetfräuleins oder Köchinnen in schweizerischen Privat-haushalten, Gastwirtschaften oder Hotels zu arbeiten. Die Lebensge-schichten dieser Frauen, die von den 1920er Jahren bis in die 1960er als Haus- oder Gastgewerbsangestellte in die Schweiz gingen, und die Migrati-onsbewegung, an der sie teilnahmen und die sie prägte(n), ist Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die weibliche Arbeitsmigration aus Deutschland und Österreich in die Schweiz hat bisher in der Forschung kaum Beachtung gefunden. Die Ver-mutung, dass dies an der schlechten Quellenlage oder der historisch-gesellschaftlichen Bedeutungslosigkeit der Thematik liegen könnte, ist schnell widerlegt. Dazu genügt es, einen Blick in die Statistiken der eidgenössischen Fremdenpolizei zu werfen, eine zeitgenössische Tageszeitung aufzuschlagen oder eine Fahrt im öffentlichen Verkehr durch das ländliche Österreich zu unternehmen. Als ich während einer Forschungsreise für diese Arbeit mit dem Bus durch das niederösterreichische Mostviertel fuhr, kam ich als einzige Passagierin schnell mit dem Fahrer ins Gespräch. Sofort bemerkte er meinen Schweizerakzent und begann von seinen Ferien in Davos zu schwärmen. Er besuche dort jedes Jahr seine Tante. Auf meine Frage, was eine Niederösterreicherin dazu bewogen habe, in die Bündner Alpen aus-zuwandern - mein Dissertationsthema hatte ich ihm noch nicht verraten -, antwortete er, dass "damals in den 50ern" doch "alle jungen Frauen" in die Schweiz gegangen seien. Seine Tante habe zuerst als Kellnerin gearbeitet, dann den Wirt geheiratet und das Restaurant übernommen. Schmunzelnd fügte er hinzu, er habe eben keinen reichen Onkel in Ame-rika, sondern eine reiche Tante in der Schweiz. Im sprichwörtlichen Sinn scheint diese in der Schweiz ihr Glück gemacht zu haben. Bemerkenswert an der Begegnung mit dem niederösterreichischen Busfahrer sind zwei Dinge. Erstens stellt er dem Prototyp des männlichen Überseewanderers, der üblicherweise als Normalfall erfolgreicher Auswanderung gilt, mit der (erfolg)reichen Schweizgängerin ein weibliches Pendant zur Seite. Zweitens hat mir diese Busfahrt vor Augen geführt, dass die Arbeitsmigration junger Frauen in die Schweiz - zumindest in gewissen Landesteilen und Familien - auch heute noch präsent ist und für die 1950er Jahre als Massenphänomen erinnert wird. In der Tat gehörte die Schweiz in den ersten sechs Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts sowohl in Deutschland als auch in Österreich zu den beliebtesten Destinationen für Arbeitsmigrant_innen. Die Schweiz, die weder im Ersten noch im Zweiten Weltkrieg Schäden erlitten hatte, lockte mit gutem Essen, hohen Löhnen, idyllischen Landschaften und unzerstör-ten Städten. "Es war für mich das Paradies", fasst die Österreicherin Maja Pichler, die von 1957 bis 1964 als Hotelangestellte in der Schweiz war, die Imaginationen vieler Schweizgängerinnen zusammen. Für die Wahl der Schweiz als Zielland waren neben den paradiesischen Vorstellungen vor allem die persönlichen Netzwerke der Migrantinnen von Bedeutung. Frauen, die bereits dort arbeiteten oder gearbeitet hatten, zogen ihre Ver-wandten und Freundinnen nach. Sie "zündeten" sich gegenseitig an, wie eine andere Schweizgängerin das in migrationshistorischen Kreisen als "Kettenmigration" bekannte Phänomen bezeichnet. Das Migrantinnen-netzwerk wurde auch von den Schweizer Arbeitgeber_innen genutzt. Nicht selten baten diese ihre ehemaligen Angestellten darum, in ihrem Bekanntenkreis nach einer Nachfolgerin zu suchen. In der Schweiz herrschte nämlich seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ein viel beklagter Hausangestelltenmangel. Ab Mitte der 1930er Jahre und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg, als der Fremdenverkehr in der Schweiz einen großen Aufschwung erfuhr, wurde auch im Gastgewerbe das Fehlen von weiblichen Hilfskräften proklamiert und heftig diskutiert. Um den Personalmangel zu bekämpfen, griffen Arbeitgeber_innen besonders gerne auf die deutschen und österrei-chischen Frauen zurück, denn diese galten als arbeitsam und anspruchslos. Das Zusammenwirken dieser verschiedenen migrationsfördernden Faktoren hatte zur Folge, dass sich im Untersuchungszeitraum die weibli-che Arbeitsmigration aus Deutschland und Österreich in die Schweiz zum Wanderungssystem verfestigte. In der Migrationsforschung wird darunter eine "relativ stabile und lang anhaltende migratorische Beziehung zwischen einer Herkunfts- und Zielregion" verstanden. Das etablierte Wanderungssystem, das vor allem über soziale Beziehungen aufrechter-halten wurde, bot (jungen) Frauen die Möglichkeit, von zu Hause fortzu-gehen. Die Gründe dafür reichen vom Ausbrechen aus dem Elternhaus, über das Stillen der Abenteuerlust bis zum Bedürfnis, sich weiterzubilden oder mehr Geld zu verdienen. Die Zahl der Frauen, die an dieser Migrationsbewegung teilnahmen, ist hoch. Abgesehen von den Kriegsjahren arbeiteten von 1920 bis 1960 jährlich geschätzt 30.000 Deutsche und Österreicherinnen in schweizeri-schen Haus- und Gastwirtschaften. Auch wenn es sich bei dieser Zahl - aufgrund lückenhafter und uneinheitlicher Statistiken - um einen Richtwert handelt, zeigt sie doch, dass die hier untersuchte Migrationsbewegung kein marginales Phänomen war. Im Untersuchungszeitraum stellten die Deutschen und Österreicherinnen den größten Anteil an den weiblichen ausländischen Haus- und Gastgewerbsangestellten in der Schweiz. Im Hausdienst stammten 1930 von den insgesamt 110.600 weiblichen Hausangestellten gut 29 Prozent (32.500 Personen) aus den benachbarten Staaten - mehr als 81 Prozent davon aus Deutschland (23.100 Personen) und Österreich (3.500 Personen). 1960 betrug der Ausländerinnenanteil an den 81.600 weiblichen Angestellten im schweizer…