

Beschreibung
Von Montag bis Donnerstag führt Peter Vorden ein Feinschmecker-Restaurant in Lothringen. Danach beginnt sein richtiges Leben. Denn dann zieht Vorden sich zurück in seine deutsche Wohnung und schreibt Kurzgeschichten. Er tut es für seinen erfolgreichen Bruder P...Von Montag bis Donnerstag führt Peter Vorden ein Feinschmecker-Restaurant in Lothringen. Danach beginnt sein richtiges Leben. Denn dann zieht Vorden sich zurück in seine deutsche Wohnung und schreibt Kurzgeschichten. Er tut es für seinen erfolgreichen Bruder Paul, den Schriftsteller, dem er damit immer wieder aus der Klemme hilft. Paul ist sein Zwillingsbruder und hat vor vielen Jahren Anne geheiratet, die einzige Frau, die für Peter je infrage kam. Seither lebt Peter mit Affären - und ahnt doch, dass er den großen Konflikt in seinem Leben endlich lösen muss. - Thommie Bayer erzählt die Geschichte eines ungewöhnlichen Doppellebens und stellt die spannende Frage, was es heißt, auf die große Liebe verzichten zu wollen.
Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm 'Die gefährliche Frau', 'Singvogel', der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman 'Eine kurze Geschichte vom Glück' und zuletzt 'Das innere Ausland'.
Autorentext
Thommie Bayer, 1953 in Esslingen geboren, studierte Malerei und war Liedermacher, bevor er 1984 begann, Stories, Gedichte und Romane zu schreiben. Neben anderen erschienen von ihm "Die gefährliche Frau", "Singvogel", der für den Deutschen Buchpreis nominierte Roman "Eine kurze Geschichte vom Glück" und zuletzt "Das innere Ausland".
Leseprobe
3
Als mir am Donnerstagabend meine Hecktür auf Knopfdruck entgegensprang und ich die Tasche in den Wagen stellte, war noch ein Rest Röte am westlichen Himmel, und ich freute mich darauf, in die abendliche Farblosigkeit hineinzufahren. Ich sah die CDs durch, die ich im Handschuhfach aufbewahrte, aber ich fand keine, die mir in diesem Augenblick gepasst hätte.
Die letzten Gäste waren schon gegen neun Uhr gegangen, und Javier dirigierte wie immer das Aufräumen und Herrichten des Gastraums. Später, wenn alle anderen schon aus dem Haus wären, würde er sich in einer halbstündigen Séance im Waschraum in Camilla verwandeln, die sich auf High Heels und im schwarzen Kleid ins Nachtleben von Luxeuil werfen und im eigenen Glamour sonnen würde.
Luxeuil ist ein Badeort und deshalb voller alter Menschen, aber im Service arbeiten genügend Schwule und Lesben, um eine Bar rentabel zu halten, die sich als deren Wohnzimmer versteht. Nighthawk. Hin und wieder verirrt sich auch mal ein Kurgast dorthin und wendet sich entweder mit Grausen ab oder seufzt erleichtert auf, weil er endlich die richtigen Leute um sich hat und sein tagtägliches Versteckspiel für ein paar Stunden hinter sich lassen kann.
Javier war Flugbegleiter bei der Air France gewesen, aber hatte es eines Tages sattgehabt, ständig seine Perücken, Schuhe und Fummel erklären zu müssen, wenn die Flughafensecurity bei ihren gelegentlichen Kontrollen der Crews seinen Trolley durchsucht hatte. Das hatte er mir, ein paar Monate nachdem er bei uns angefangen hatte, nachts im Büro erzählt und mich gebeten, es den Kellnern nicht zu sagen und vor allem nicht Melih und den Küchenleuten. »Die sind noch ziemlich von gestern«, erklärte er mir, »die denken noch binär.«
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Ich konnte doch über einen Transsexuellen schreiben, der seine letzten Tage als Mann verbringt. Auf meiner Liste für Paul standen die Themen Abschied, Form und Sechzigerjahre. Die Abgabetermine waren noch ein bisschen hin, aber ich musste ja nicht auf den letzten Drücker drangehen. Für Abschied wäre jemand wie Javier eine tolle Hauptfigur, fand ich. Allerdings wusste ich nicht, ob er eine Frau sein oder nur spielen wollte. Den Unterschied zwischen Transvestit und transsexuell kannte ich immerhin, obwohl mir diese Welt ansonsten eher fern war. Aber wenn man schreibt, sollte einem nichts fern bleiben. Jedenfalls nicht auf Dauer.
Ich hatte die Straße wieder so ziemlich für mich, nur bis Hericourt traf ich auf den einen oder anderen Heimkehrer von einer späten Schicht, einer Geliebten oder einem Restaurantbesuch. Auf der Autobahn ab Belfort konnte ich wieder fliegen.
Und die letzten paar Kilometer Landstraße fuhr ich mit offenem Fenster, weil die Nacht warm und sternenklar war und der Fahrtwind sich anfühlte wie der in Volterra vor Jahren.
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Sie hatte die Schokolade nicht angerührt. Und ich musste wieder keins meiner Figürchen anrühren. Ich versuchte, etwas von ihr im Geruch der Wohnung zu finden, aber es gelang mir nicht. Natürlich nicht. Sie hatte bei meinem kurzen Blick auf sie nicht wie jemand gewirkt, der eine Parfümwolke hinter sich herzieht.
Ich war müde, aber noch nicht müde genug, also setzte ich mich mit meinem Glas Wein an den Computer und stöberte im Internet nach allem, was sich zum Thema Transsexualität finden ließ. Es gab, wann immer Fotos bei den Artikeln auftauchten, wunderschöne Wahlfrauen zu sehen, die zu meinen in der Realität gesammelten Erfahrungen nicht passen wollten. Wann immer ich Transvestiten begegnet war, hatte ich Karikaturen meist spießiger Weiblichkeit gesehen, eher Zerrbilder als Idealbilder. Aber vielleicht war das bei der Schönheit von Menschen immer so. Wer glaubt, sie sich einfach anziehen und aufmalen zu können, anstatt sie als Geschenk der Evolution demütig anzunehmen, riskiert, sich lächerlich zu machen.
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Diesmal berührte sie mich nicht
