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Wie riecht Heimat? Wie viel Freiraum braucht ein Kind? Wie überlebenswichtig sind Angst, Egoismus und Instinkt? Reinhold Messner skizziert in Etappen seinen Weg vom Südtiroler Bergbub zum größten Abenteurer unserer Zeit, zum kampflustigen Politiker, engagierten Bauern, Wanderfreund von Managern und Politikern, zum Gründer einer einzigartigen Museumslandschaft, zum Ehemann, vierfachen Vater und Familienmenschen. In ungezählten Expeditionen hat er ausprobiert, wie Überleben funktioniert. Freimütig hält er heute Rückschau auf sieben Jahrzehnte, die schon früh von extremen Naturerlebnissen und Begegnungen mit dem Tod geprägt waren, schreibt über Ehrgeiz und Scham, Alpträume und das Altern, über Neuanfänge und über die Fähigkeit, am Ende loszulassen.
Reinhold Messner, 1944 geboren, ging 1949 zum ersten Mal auf einen Berg, unternahm über hundert Reisen in die großen Gebirge und Wüsten der Welt und bestieg alle 14 Achttausender. Heute widmet er sich vor allem seinen Bergmuseen (Messner Mountain Museum) sowie in seinen Büchern Schlüsselmomenten der Alpin- und Entdeckergeschichte. Zuletzt erschienen 'POL - Hjalmar Johansens Hundejahre' und 'Bis ans Ende der Welt'. reinhold-messner.de / messner-mountain-museum.it
Autorentext
Reinhold Messner, 1944 geboren, ging 1949 zum ersten Mal auf einen Berg, unternahm über hundert Reisen in die großen Gebirge und Wüsten der Welt und bestieg alle 14 Achttausender. Heute widmet er sich vor allem seinen Bergmuseen (Messner Mountain Museum) sowie in seinen Büchern Schlüsselmomenten der Alpin- und Entdeckergeschichte. Zuletzt erschienen "POL - Hjalmar Johansens Hundejahre" und "Bis ans Ende der Welt". reinhold-messner.de / messner-mountain-museum.it
Leseprobe
7 WACHSAMKEIT
Ob das Bild, das mir von einem Waldausflug mit meinen Eltern in Erinnerung geblieben ist, stimmt? Helmut, mein älterer Bruder, und ich stapften stundenlang hinter den Eltern bergwärts. Am Mühlerbach entlang und weiter durch den steilen schattenseitigen Waldhang über Pitzack im Villnößtal. Zuerst auf einem Ziehweg, dann über kaum erkennbare Steige ging es immer steiler bergauf. Die Welt um uns herum schien dabei immer düsterer zu werden, weil das Licht kaum noch zwischen den hohen Fichtenstämmen bis auf den bemoosten Waldboden fiel. Solange die Eltern vor uns herstiegen, verspürte ich keine Angst, nur Müdigkeit und den Wunsch zu rasten.
Es muss spät geworden sein, und das Waldstück, das die Eltern begutachten wollten ein Erbteil meiner Mutter , lag zu weit oben, um es mit uns Kindern erreichen zu können. Also ließen sie uns unter einem Tannenbaum zurück. Wir sollten rasten und warten, bis sie zurückkämen. Helmut und ich hockten uns nebeneinander auf einen Wurzelstock und beobachteten den Vater, wie er, einem Wildwechsel folgend, im dichten Unterholz verschwand. Die Mutter folgte ihm. Bald waren nur noch ihre Schritte zu hören, die Welt um uns versank in Dunkelheit. Es war noch nicht Nacht, aber mit dem Schwinden des Lichts wurde die Welt um uns enger, gleichzeitig geheimnis- und gefahrvoller: Jedes Knacken, der Schrei eines Zirbelhähers, sogar das Geräusch der Ameisen ließ uns näher zusammenrücken.
Wir warteten. Die Zeit wurde lang, und mit einbrechender Nacht kamen die Gefahren noch näher. Die Ängste wurden stärker. Was uns untertags mit Neugier erfüllt hatte der Wind in den Bäumen, unter denen wir hockten, die Wildfährten am Waldboden, ein Eichhörnchen , wich mehr und mehr einer drängenden Ungeduld. Als bestünden wir aus zwei Teilen: einem, der in der Dunkelheit erst aufwacht, und einem anderen, der bei Tag schläft. Was, wenn den Eltern etwas zugestoßen war? Warum sonst kamen sie nicht zurück? Wie sollten wir allein ins Tal zurückfinden? Bei Nacht und ohne uns an die verwinkelten Steige zu erinnern, über die wir den Eltern blindlings hinterhergestiegen waren?
Fast fünfzig Jahre später, 1995, im arktischen Eismeer, erlebte ich mit meinem Bruder Hubert einen ähnlichen »Weltuntergang«. Wir waren an der Küste Sibiriens aufgebrochen, um über den Nordpol nach Kanada zu marschieren. 2000 Kilometer weit. Ohne Unterstützung aus der Luft. In der zweiten Nacht aber, einer harten Nacht, bricht plötzlich das Eis um uns auf. Das Packeis kracht, Trümmer hämmern gegeneinander. Im seichten Mondlicht ist nur Chaos auszumachen: ein Durcheinander von sich türmenden Eisplatten. Über uns Gewölk, dazwischen ein paar silberne Punkte: die Sterne! Eis und Wasser sind schwarz, der Schnee glitzert, und der Ozean klatscht gegen das Packeis, Eisstücke plumpsen ins Wasser. Um uns, unter uns nichts als Gefahr!
Trotz der tiefen Temperaturen verließen wir unser Zelt fluchtartig. Wir mussten zurück zur sicheren Küste! Hinter uns, Welle für Welle, Eisbarrieren und darüber ein kunstvoller Vorhang aus mattem Licht Grün und Violett , das Nordlicht, wie Kaskaden eines Feuerwerks aus dem All. Mit jedem Schritt zurück wurde das Eis, das der Sturm unter uns stauchte, weniger, unsere Verzweiflung größer. Wie sich Packeis verhält, kann niemand mit Sicherheit voraussagen. Hubert hatte Frostblasen an seinen Fingern. Die Flüssigkeit darin gefror bei mehr als 50 Grad minus. Seine erfrorenen Hände schmerzten, als sie auftauten, jede Bewegung wurde zur Qua
Inhalt
I ÜB ERLEBEN
1 Kindheit
2 Ungerechtigkeit
3 Heimat
4 Naturgesetz
5 Freiraum
6 Kontrolle
7 Wachsamkeit
8 Nest
9 Vorsicht
10 Trost
11 Gehen
12 Mut
13 Angst
14 Instinkt
15 Risiko
16 Wissen
17 Erleben
18 Gefahr
19 Zeit
20 Geheimnis
21 Leidenschaft
22 Glück
23 Ehrgeiz
24 Selbstspiegelung
25 Tod
II ÜBERLEBEN
26 Trauer
27 Gutmenschen
28 Nähe
29 Verantwortung
30 Gefühle
31 Unfall
32 Sprache
33 Genie
34 Schrecken
35 Vergewisserung
36 Vertrauen
37 Einsamkeit
38 Sinn
39 Tabu
40 Geburt
41 Krankheit
42 Neid
43 Verzicht
44 Forschen
45 Schicksal
III ÜBER LEBEN
46 Neuanfang
47 Umwelt
48 Stadtkultur
49 Yeti
50 Politik
51 Schönheit
52 Kunst
53 Gott
54 Stil
55 Skandale
56 Rache
57 Wagnis
58 Selbstvertrauen
59 Stolz
60 Altern
61 Leiden
62 Religion
63 Seilschaft
64 Moral
65 Rituale
66 Freiheit
67 Familie
68 Nachbarschaft
69 Loslassen
70 Zuletzt