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Ralf Krause zeigt die Spezifik der Differenzphilosophie von Gilles Deleuze auf, in deren Zentrum das Problem steht, die Bedingungen des Denkens zu denken. Wie Deleuze dieses philosophische Grundproblem unter Rekurs auf Kant und Nietzsche löst und dadurch sein Profil als Denker der Differenz gewinnt, arbeiten die eingehenden Analysen dieses Buches heraus. Aus der Differenz des Transzendentalen zum Empirischen entwickelt Deleuze die virtuellen Voraussetzungen eines nicht-repräsentativen Denkens. Dieses bestimmt sich aus Strukturbedingungen, die es sich nicht selbst voraussetzen kann, weil die Bedingungen als das jeweilige Außen im Denken, als dessen Ungedachtes, Vor- oder Nicht-Philosophisches entfaltet werden müssen. In diesem emphatischen Sinn ist die Philosophie für Deleuze ereignishaft. Jeder neue Philosophieentwurf durchbricht als Ereignis die etablierten Denkkonventionen, indem er als 'Revolutionierung der Denkungsart' (Kant) die Bedingungen des Denkens umstrukturiert.
Ralf Krause, Studium der Philosophie, Politik und Geschichte in Köln, Paris und Berlin. Er arbeitet schwerpunktmäßig zu Nietzsche, der französischen Differenzphilosophie und zu Fragen der Sozial- und politischen Philosophie. Mitherausgeber des Bandes Macht. Begriff und Wirkung in der politischen Philosophie der Gegenwart, Bielefeld 2008. Zuletzt erschien das zusammen mit Marc Rölli verfasste Buch: Mikropolitik. Eine Einführung in die politische Philosophie von Gilles Deleuze und Félix Guattari, Wien 2010. Herausgeber des bei Parodos publizierten Bandes Nietzsche - Perspektiven der Macht, 2009.
Autorentext
Ralf Krause, Studium der Philosophie, Politik und Geschichte in Köln, Paris und Berlin. Er arbeitet schwerpunktmäßig zu Nietzsche, der französischen Differenzphilosophie und zu Fragen der Sozial- und politischen Philosophie. Mitherausgeber des Bandes Macht. Begriff und Wirkung in der politischen Philosophie der Gegenwart, Bielefeld 2008. Zuletzt erschien das zusammen mit Marc Rölli verfasste Buch: Mikropolitik. Eine Einführung in die politische Philosophie von Gilles Deleuze und Félix Guattari, Wien 2010. Herausgeber des bei Parodos publizierten Bandes Nietzsche Perspektiven der Macht, 2009.
Leseprobe
I. Kants immanente Vernunftkritik
»Die Idee der gesetzgeberischen Philosophie als Philosophie: tatsächlich ist sie es, die die Idee der immanenten Kritik als Kritik zu einem Ganzen fügt. Beide gemeinsam stellen sie den Hauptbeitrag des Kantianismus, seinen befreienden Beitrag, dar« (Deleuze: Nietzsche und die Philosophie: 101).
Kants Kritik der reinen Vernunft etabliert ein neues Verständnis der Immanenz. Es distanziert sich von den scholastischen Konzeptionen einer immanenten Ursache des Absoluten, indem es die Immanenz auf das Gebiet der Erfahrung einschränkt, das gegen die als metaphysisch und 'überfliegend' disqualifizierten Ambitionen reiner Begriffserkenntnis abgegrenzt werden soll:
»Wir wollen die Grundsätze, deren Anwendung sich ganz und gar in den Schranken möglicher Erfahrung hält, immanente, diejenigen aber, welche diese Grenzen überfliegen sollen, transzendente Grundsätze nennen [...].«1
Mit diesen Worten markiert Kant seine philosophische Neubestimmung von Erkenntnis und Objektivität, die sich der Herausforderung des angelsächsischen Empirismus stellt, ohne jedoch jegliche Erkenntnis allein aus der Erfahrung abzuleiten. Denn im Unterschied zu Hume, dessen Erfahrungstheorie ihn nach eigenem Bekunden aus dem dogmatischen Schlummer gerissen hat, hebt für Kant zwar jede Erkenntnis mit der Erfahrung an, lässt sich aber nicht aus bloßer Erfahrung begründen (vgl. KRV: B 1). Deshalb bedarf es zur Bestimmung und Legitimierung von Erfahrungserkenntnissen einer eigentümlichen Überschreitung, die die Bedingungen freilegt, unter denen Erfahrung überhaupt möglich ist.
Worauf es laut Kant ankommt, ist eine kritische Selbstanalyse oder immanente Vernunftkritik, mittels der sich die Vernunft über die rechtmäßige Anwendung ihrer Vermögen informiert. Unter einer immanenten Kritik versteht er die Inventarisierung der den subjektiven Vermögen übertragenen Gesetzgebung. Und deren immanenter Gebrauch bemisst sich an den Bedingungen a priori, unter denen das Subjekt von Rechts wegen (de jure) seine Gegenstände bestimmen kann. Für Kant sind die Vermögen produktiv, insofern sie gesetzgebend über die Natur und das Gute sind. Die Prinzipien a priori verschaffen sich eine von äußerlichen, natürlichen Voraussetzungen unabhängige Geltung, so dass sich die Immanenz ins Subjekt verlagert. Dessen Spontaneität obliegt es, die Natur als ein System der Zwecke überhaupt erst (denk)möglich zu machen.
Im Folgenden wird zu erörtern sein, wie Deleuze die beiden, für ihn bedeutsamen Innovationen von Kants Vermögenstheorie - immanente Kritik und gesetzgeberische Philosophie - im Hinblick auf eine nietzscheanisch inspirierte Machtkonzeption interpretiert. Da Deleuze Nietzsche als denjenigen auszeichnet, der aus der von Kant eingeleiteten Kritik der Vernunft die entscheidenden Konsequenzen zieht, unterhält er ein zwiespältiges Verhältnis zu Kant, wobei er diese Ambivalenz aus dessen Philosophie selbst herauszupräparieren gedenkt. Seine Kant-Studie2 charakterisiert er als Buch über einen Feind, dem ein monströses Kind, diesem ebenso ähnlich wie aus der Art geschlagen, gezeugt werden soll.3 Der gebrochenen, nichtsdestotrotz zentralen Wertschätzung für Kant sind Daniel W. Smith und Marc Rölli in ihren Deleuze-Studien ausführlich nachgegangen.4 Eine der beiden Leitthesen Smiths lautet, »that Deleuze's philosophy can be read as both an inversion and a completion of Kant's philosophy [...]« (Smith 1997: 2). Rölli spricht unter Verweis auf Differenz und Wiederholung von der »Ambiguität« des kantischen Denkens, in dem sich für Deleuze das Bestreben, die traditionell-metaphysischen Themen aufs Neue zu legitimieren, mit solchen Ansätzen überkreuzt, die einer systematisch geordneten, wohlgeformten Natur- und Selbsterkenntnis zuwiderlaufen.5
Deleuzes strategische Kant-Lektüre zielt dar