

Beschreibung
Samuel Kohanim, Oberhaupt einer der ältesten jüdischen Familien im westpreußischen Osche, ist durchschnittliches Unglück gewöhnt. Seine Frau Mindel, schroff und wortkarg von Natur, gebar ihm sieben Mädchen. Die 'sieben biblischen Plagen', wie die Koh...Samuel Kohanim, Oberhaupt einer der ältesten jüdischen Familien im westpreußischen Osche, ist durchschnittliches Unglück gewöhnt. Seine Frau Mindel, schroff und wortkarg von Natur, gebar ihm sieben Mädchen. Die 'sieben biblischen Plagen', wie die Kohanim-Töchter genannt werden, strapazieren die väterliche Geduld: Selma, die mit ihrem religiösen Spleen alle meschugge macht, Martha, die am laufenden Band haarsträubende Lügengeschichten erfindet, Fanny, die nicht unter die Haube zu bringen ist, der Wildfang Elli ... - und schließlich Franziska, 'die Katastrophe auf Abruf', bildschön, stolz und eigenwillig. Aber ein männlicher Stammhalter fehlt, denn der Kronprinz stirbt am 10. März 1902, kurz nach seiner Geburt.
Nach den Erschütterungen des ersten Weltkrieges sucht die Familie Kohanim Zuflucht in Berlin. Während Martha in gehobene Berliner Kreise einheiratet und ihr Mann Leopold zum Christentum konvertiert, lässt sich Franziska mit dem ebenso charismatischen wie unzuverlässigen jüdischen Gelegenheitsarbeiter und Glücksritter Willy Rubin ein und wohnt fortan im 'roten Wedding'. Auch die protestantische Oda, eine Freundin der Familie, hat es in die Hauptstadt verschlagen. Im Laufe der Jahre verbindet sich Odas Schicksal endgültig mit jenem der Familie Kohanim, deren Stammbaum die unterschiedlichsten Triebe ausbildet, jüdische wie nicht-jüdische, nationalistische wie kommunistische.
Marcia Zuckermann hat einen großartigen Familienroman in bester Tradition jüdischer Erzählkunst geschrieben. Eine turbulente Familiensaga, spannend und handlungsreich, voller Tragik und Komik, mit verschmitztem 'Kohanim'schen Flitz' und erfrischender Berliner Schnauze, vorbehaltloser Selbstironie und listigem Humor. Mischpoke! ist ein einzigartiges Lesevergnügen.
Marcia Zuckermann, wurde 1947 in Ost-Berlin geboren. Ihr jüdischer Vater überlebte den Holocaust als politischer Gefangener im KZ Buchenwald, ihre protestantische Mutter war als Kommunistin im Widerstand aktiv. 1958 musste die Familie die DDR als Dissidenten verlassen. In West-Berlin absolvierte Marcia Zuckermann eine Ausbildung als Werbewirtin im Verlagswesen und wurde zur Mitbegründerin und Geschäftsführerin einer bis heute erfolgreichen Berliner Zeitschrift. Sie lebt als freie Journalistin und Autorin in Berlin.
Vom Kaiserreich bis zur Nachwendezeit: Das Panorama einer jüdischen Familie, die trotz aller Widrigkeiten nie ihren Humor verliert »Zur Mittagszeit des 10. März 1902 ahnte niemand, dass der Untergang der Familie Kohanim von nun an seinen Lauf nehmen sollte.« Samuel Kohanim, Oberhaupt einer der ältesten jüdischen Familien in Westpreußen, ist durchschnittliches Unglück gewöhnt. Seine Frau Mindel, schroff und wortkarg von Natur, gebar ihm sieben Mädchen. Die »sieben biblischen Plagen«, wie die Kohanim-Töchter im Dorf genannt werden, strapazieren die väterliche Geduld: Selma, die mit ihrem religiösen Spleen alle meschugge macht, Martha, die am laufenden Band haarsträubende Lügengeschichten erfindet, Fanny, die nicht unter die Haube zu bringen ist, der Wildfang Elli, Jenny, Flora und Franziska, »die Katastrophe auf Abruf«, bildschön, stolz und eigenwillig. Nach den Ersten Weltkrieg sucht die Familie Zuflucht in Berlin. Während Martha in gehobene Berliner Kreise einheiratet und ihr Mann Leopold zum Christentum konvertiert, lässt sich Franziska mit dem ebenso charismatischen wie unzuverlässigen jüdischen Willy Rubin ein und wohnt fortan im »roten Wedding«. Auch die protestantische Oda, deutsch-russischer Adlige wider Willen und Freundin der Familie, hat es in die Hauptstadt verschlagen. Im Laufe der Jahre verbindet sich ihr Schicksal endgültig mit jenem der Familie Kohanim, deren Stammbaum die unterschiedlichsten Triebe ausbildet, jüdische wie nicht-jüdische, nationalistische wie kommunistische. »Das hat so einen ganz zupackenden, sehr temperamentvollen, mitreißenden Ton und der ist manchmal melancholisch, manchmal geht es natürlich auch durch katastrophale Zeiten, Zeiten der großen Verbrechen, aber insgesamt hat es diesen einzigartigen jüdischen Humor, diesen Überlebenshumor der jüdischen Erzähltradition, das hat mich wirklich begeistert bei der Lektüre.«Annemarie Stoltenberg, NDR Kultur
Autorentext
Marcia Zuckermann wurde 1947 in Berlin geboren. Ihr jüdischer Vater überlebte den Holocaust als politischer Gefangener im KZ Buchenwald, ihre protestantische Mutter war als Kommunistin im Widerstand aktiv. 1958 floh die Familie aus der DDR nach West-Berlin, wo Zuckermann eine Ausbildung als Werbewirtin im Verlagswesen absolvierte. Sie lebt als freie Journalistin und Autorin in Berlin. In der Frankfurter Verlagsanstalt erschienen ihre erfolgreichen Familienromane »Mischpoke!« sowie »Schlamassel!«.
Leseprobe
Die Anklage
Als man mich vom Flughafen Berlin-Tegel mit dem Krankenwagen hier in die Nervenklinik einlieferte, lautete die Diagnose »akute Synkope mit partieller Amnesie«. Seit Istanbul am Hafen kann ich mich an nichts erinnern. Licht aus, Ton aus, ein langes schwarzes Nichts. Blackout.
Erst im Krankenzimmer der Neurologie in Spandau wachte ich wieder auf. Offenbar wusste man nicht so recht, wohin mit mir. Ständig wurde ich im Bett hin- und hergerollt, begleitet von Pflegern mit der Statur von Preisboxern. »Ich kann doch laufen«, gab ich zaghaft zu bedenken, »warum fahren Sie mich eigentlich herum?«
»Aus juristischen und versicherungstechnischen Gründen«, erklärte mir der Glatzkopf mit den bösen Augen am Fußende des Bettes. Vor Schreck presste ich meine Handtasche noch fester an mich. Dabei war die Tasche vorher wahrscheinlich schon zigmal durchwühlt worden. Selbst das Innenfutter hat jemand aufgeschnitten! Erst hielt man mich wohl für eine demente Alte, dann aber für eine Kriminelle. Die Bundesrepublik Deutschland klagt mich an: Verdacht auf Verstoß gegen 96 des Aufenthaltsgesetzes, gem. Absatz 1, Hilfe zur Schleusung, und nach Absatz 2, Vorwurf des gewerbsmäßigen Schleusens von Ausländern. So steht es in der Klageschrift.
Nach Absatz 1 wird mir eine Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren angedroht, nach Absatz 2 gleich der doppelte Satz: sechs Monate bis zu zehn Jahre! Jetzt bin ich in der geschlossenen Psychiatrie gelandet. Den Polizisten vor meiner Tür haben sie inzwischen abgezogen.
Ist das nun eher eine Zelle oder ein Krankenzimmer? Jetzt bloß nicht an Kafka denken! Vielleicht ist es sogar gut, dass ich mich nicht erinnere? Irgendwas muss gründlich schiefgegangen sein. Nur was?
Eine Fliege, die im Doppelfenster meines Krankenzimmers gefangen ist, rasselt schon wieder gegen die Scheibe. Seit zwei Stunden geht sie mir damit auf die Nerven.
Aus Übermut, so wie die dumme Fliege, die die Außenscheibe attackiert, nehme ich Frau Dr. Vogelsang, die die Ursachen meines Gedächtnisverlustes untersuchen soll, aufs Korn und spotte: »Vielleicht war ja mein ganzes bisheriges Leben auch nur eine einzige posttraumatische Belastungsstörung?«
Die linke Augenbraue meiner Therapeutin zuckt hoch und bildet einen schwarzen gotischen Bogen. Ihr Mund verzieht sich dabei säuerlich.
»Der Ernst der Lage ist Ihnen aber schon bewusst, ja?! Oder möchten Sie mir etwas ganz Bestimmtes mitteilen?«
Unter den gotischen Torbögen wohnen in tiefen Höhlen zwei Mausaugen. Sie scheinen nur aus Pupillen zu bestehen. Vorwurfsvoll blitzen mich die Mausaugen etwas fehlsichtig an.
Na, so frech war das auch wieder nicht, räsonniere ich still. Unwillkürlich reagiere ich dabei mit einer fahrigen Geste.
Sicher wertet sie das körpersprachlich wieder als Übersprunghandlung oder Abwehr. Na, meinetwegen!
Frau Dr. Vogelsang kritzelt ziemlich verdrossen und heftig in ihren Unterlagen herum. Dann misst sie mich mit dem prüfenden Blick einer beauftragten Analytikerin. Patienten oder Probanden, die sich über sie und ihr ernstes Werk lustig machen, sind ihrer Meinung nach entweder Idioten oder Neuroten. Worunter ich falle, weiß sie noch nicht.
…
