

Beschreibung
USA im Jahr 2029. Der Dollar ist kollabiert und durch eine Reservewährung ersetzt. Wasser ist kostbar geworden. Und Florence Mandible und ihr dreizehnjähriger Sohn Willing essen seit viel zu langer Zeit nur Kohl. Dass es Florence trotz guter Ausbildung so schw...USA im Jahr 2029. Der Dollar ist kollabiert und durch eine Reservewährung ersetzt. Wasser ist kostbar geworden. Und Florence Mandible und ihr dreizehnjähriger Sohn Willing essen seit viel zu langer Zeit nur Kohl. Dass es Florence trotz guter Ausbildung so schwer haben würde, ihr Leben zu meistern, hätte niemand aus der Familie gedacht. Doch als die Mandibles alles verlieren und in einem Park Unterschlupf suchen müssen, sind es nicht die Erwachsenen, sondern Willing, der mit Pragmatismus, Weitsicht und notfalls auch krimineller Entschlossenheit dem Mandible-Clan wieder auf die Beine hilft ... Scharfsinnig und ironisch erzählt Lionel Shriver von den Konsequenzen von Globalisierung und Nationalismus - eine beängstigende Zukunftsvision und ein komischer, liebevoller, fesselnder Familienroman.
Lionel Shriver, geboren 1957 in Maryland, USA, lebt mit ihrem Mann, dem Jazzmusiker Jeff Williams, in London und Brooklyn. Ihr in 25 Sprachen übersetzter Roman 'Wir müssen über Kevin reden' wurde mit dem Orange Prize for Fiction ausgezeichnet. Auch ihr um ein Gedankenspiel kreisender Roman 'Liebespaarungen' erhielt international höchstes Kritikerlob und stand wochenlang auf den Bestsellerlisten. Zuletzt erschien 'Eine amerikanische Familie'. Daneben engagiert sich Lionel Shriver seit einigen Jahren verstärkt für Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Identitätspolitik.
Autorentext
Lionel Shriver, geboren 1957 in Maryland, USA, lebt mit ihrem Mann, dem Jazzmusiker Jeff Williams, in London und Brooklyn. Ihr in 25 Sprachen übersetzter Roman "Wir müssen über Kevin reden" wurde mit dem Orange Prize for Fiction ausgezeichnet. Auch ihr um ein Gedankenspiel kreisender Roman "Liebespaarungen" erhielt international höchstes Kritikerlob und stand wochenlang auf den Bestsellerlisten. Zuletzt erschien "Eine amerikanische Familie". Daneben engagiert sich Lionel Shriver seit einigen Jahren verstärkt für Pressefreiheit, Meinungsfreiheit und Identitätspolitik.
Leseprobe
KAPITEL 1
Grauwasser
»Nimm kein sauberes Wasser zum Händewaschen!«
Was als sanfte Erinnerung gedacht war, kam als schrille Ermahnung. Florence wollte nicht wirken wie jemand, den ihr Sohn einen Boomertrottel nennen würde, und doch - die Regeln im Haus waren einfach, und Esteban missachtete sie ständig. Dabei gab es genug Arten klarzumachen, dass man nicht unter der Fuchtel einer (etwas) älteren Frau stand - auch ohne Wasser zu verschwenden. Er war ein so irrsinnig gut aussehender Mann, dass sie ihm sonst fast alles durchgehen ließ.
»Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigt«, murmelte Esteban und steckte die Hände in die Plastikschüssel, die das ablaufende Wasser auffing. Kohlschnipsel trieben darin.
»Das bringt jetzt auch nichts mehr, oder?«, sagte Florence. »Sie mit dem Grauwasser zu waschen, wo du schon das saubere benutzt hast?«
»Ich tu nur, was man mir sagt.«
»Das ist ja was ganz Neues.«
»Was ist dir denn über die Leber gelaufen?« Esteban wischte seine jetzt fettigen Hände an dem noch fettigeren Geschirrtuch ab (noch eine Regel: Eine Rolle Küchenpapier muss sechs Wochen halten). »Stimmt was im Adelphi nicht?«
»Im Adelphi stimmt nie was«, sagte sie. »Drogen, Prügeleien, Diebstahl. Schreiende Babys mit Ekzemen. So sind Obdachlosenheime nun mal. Ernsthaft, ich kapiere nicht, warum es so schwer ist, die Leute dazu zu bekommen, die Toilettenspülung zu drücken. Was hier im Haus ein wahrer Luxus ist.«
»Ich wünschte, du fändest etwas anderes.«
»Ich auch. Aber sag's niemandem. Das würde meinen Heiligenschein zerstören.« Florence schnitt weiter ihren Kohl klein. Auch für zwanzig Dollar noch preisgünstig, allerdings war sie nicht sicher, wie lange ihr Sohn Willing das Gemüse noch ertrug.
Die Leute waren immer erstaunt, dass sie jetzt schon seit vier langen Jahren, wie lobenswert!, einen so anstrengenden, undankbaren Job machte. Aber wer sie für einen Engel hielt, lag falsch. Vorher war sie von einer schlecht bezahlten Stelle (mitunter: Teilzeitstelle) in die andere geschlittert, und das hatte ihr das naive Gutmenschentum, mit dem sie am Barnard College ihren schwachsinnigen Doppelabschluss in Amerikanistik und Umweltpolitik gemacht hatte, gründlich oder doch fast ausgetrieben. Die Hälfte ihrer Jobs hatte sich in Wohlgefallen aufgelöst, weil sie durch irgendeine Innovation plötzlich überflüssig wurden. So hatte Florence für eine Firma gearbeitet, die elektrische Unterwäsche zum Sparen von Heizkosten verkaufte, aber plötzlich wollten die Leute nur noch mit elektrifizierten Graphen beheizte Wäsche. Andere Stellen fielen durch Computerprogramme weg, die man in ihren Zwanzigern Bots genannt hatte, die für all die freigesetzten Arbeiter heute aber aus nachvollziehbaren Gründen nur noch Robs waren, Räuber, die ihnen die Existenz nahmen. Ihren vielversprechendsten Job hatte sie bei einem Start-up gehabt, das gut schmeckende Proteinriegel aus Grillenpulver herstellte. Als dann jedoch Hershey's einen ähnlichen, allerdings berüchtigt fetthaltigen Riegel massenproduzierte, brach der Markt für Snacks auf Insektenbasis ein. Auf die Anzeige für den Posten in einem städtischen Obdachlosenheim in Fort Greene bewarb sie sich aus einer Mischung von Verzweiflung und Cleverness: Das Einzige, was in New York City nie ausgehen würde, waren Obdachlose.
»Mom?« Willing steckte den Kopf zur Tür herein und fragte ruhig: »Bin ich nicht mit Duschen dran?«
Ihr Dreizehnjähriger hatte erst vor fünf Tagen geduscht und wusste ganz genau, dass sie sich eigentlich auf einmal pro Woche geeinigt hatten (zwischendurch benutzten sie ein in die Haare zu kämmendes Trockenshampoo). Willing beschwerte sich im Übrigen auch, mit ihrem Ultrasparduschkopf werde das Duschen zu einem »Gang durch den Nebel«. Es stimmte, die Strahlen waren so fein, dass man kaum die Spülung aus dem Haar bekam. Aber die An
