

Beschreibung
Sie leben mitten unter uns und doch im Verborgenen. Wir kennen sie, und doch wissen wir nichts von ihnen. Julia Friedrichs begibt sich in eine nahezu unsichtbare Parallelgesellschaft und erzählt die Geschichten von Menschen, deren Leben durch ein Erbe bestimmt...Sie leben mitten unter uns und doch im Verborgenen. Wir kennen sie, und doch wissen wir nichts von ihnen. Julia Friedrichs begibt sich in eine nahezu unsichtbare Parallelgesellschaft und erzählt die Geschichten von Menschen, deren Leben durch ein Erbe bestimmt wird. Wie lebt man, wenn man schon durch den Namen als Spross einer Dynastie zu erkennen ist - als Neckermann, Mohn oder Grupp? Was bewegt einen Patriarchen, seine Kinder zu enterben, und wie entsteht die Versuchung, für ein Erbe zu töten? Die Autorin zeichnet ein sensibles Psychogramm Deutschlands. Sie entdeckt ein Land, das wie kaum ein anderes Erbe begünstigt und Arbeit belastet. Warum gibt es kaum Debatten um diese Ungleichheit? Und was bedeutet es für eine Gesellschaft, wenn vor allem der ein sorgenfreies Leben führt, der in die richtige Familie hineingeboren wird, und nicht der, der Engagement und Ideen einsetzt? Auf der Suche nach Antworten gelingt der Autorin ein ebenso lebendiges wie vielschichtiges Porträt der Menschen, die Deutschland künftig prägen werden.
Julia Friedrichs, 1979 im westlichen Münsterland geboren, studierte Journalistik in Dortmund und Brüssel. Seitdem arbeitet sie als Autorin von Reportagen und Dokumentationen für den WDR und das ZDF sowie das Redaktionsteam der Bild- und Tonfabrik 'docupy' und schreibt für die ZEIT. Sie hat mehrere Bücher verfasst, u. a. die Sachbuch-Bestseller 'Gestatten: Elite', 'Ideale' und zuletzt 'Wir Erben'. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, wie den Axel-Springer-Preis für junge Journalisten, den Nachwuchspreis des Deutsch-Französischen Journalistenpreises und den Dr.-Georg-Schreiber-Medienpreis. Julia Friedrichs lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Vorwort
»Wir werden ihre Häuser erben, aber keine neuen bauen.« Rainald Grebe
Autorentext
Julia Friedrichs, 1979 im westlichen Münsterland geboren, studierte Journalistik in Dortmund und Brüssel. Seitdem arbeitet sie als Autorin von Reportagen und Dokumentationen für den WDR und das ZDF sowie das Redaktionsteam der Bild- und Tonfabrik "docupy" und schreibt für die ZEIT. Sie hat mehrere Bücher verfasst, u. a. die Sachbuch-Bestseller "Gestatten: Elite", "Ideale" und zuletzt "Wir Erben". Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, wie den Axel-Springer-Preis für junge Journalisten, den Nachwuchspreis des Deutsch-Französischen Journalistenpreises und den Dr.-Georg-Schreiber-Medienpreis. Julia Friedrichs lebt mit ihrer Familie in Berlin.
Leseprobe
FUCKING HELL -
WIR HABEN EINFACH NUR GLÜCK
Etwas muss ich noch erledigen, bevor es tatsächlich losgehen kann: Ich muss das Medley, das seit meinen Lesewochen in meinem Kopf spielt, zum Schweigen bringen. All die Zahlen, die von großer Ungerechtigkeit erzählen, beiseitelegen. All die Zitate, die eine tiefe Kluft der Gesellschaft beschwören, erst mal vergessen. Denn ich glaube: Mit solch grobem Strich ließe sich kein Bild der neuen Erbengeneration zeichnen. Hier die reichen Nachkommen, dort die armen Habenichtse, hier die satten Abkömmlinge, dort die hungrigen Emporkömmlinge, hier die per Geburt Glücklichen, dort die von Beginn an Abgehängten. Das ist zu simpel, die moderne Gesellschaft zu divers, zu zerfasert, zu kompliziert. Will man der Wirklichkeit gerecht werden, müsste man versuchen, ein Mosaik zu legen - zusammengesetzt aus Hunderten Steinchen, geformt aus Dutzenden Geschichten, Wahrheiten und Widersprüchen.
Das erste Steinchen soll Lars sein. 41 Jahre alt. Komponist.
Lars redet. Atemlos. Seit eineinhalb Stunden. Seit die Tür hinter uns ins Schloss gefallen ist. Er hatte mich kurz durch seine neue Wohnung geführt. 165 Quadratmeter, ein Prachtstück. Perfekt sah sie aus, Wohnzeitschriftenatmosphäre, auch wenn ein Großteil der Möbel von IKEA war. Am Eingang hing eine Kreidetafel mit den Namen und Terminen der drei Kinder. Dahinter: eine offene Wohnküche, in der die älteste Tochter, ein Teenager mit langem blonden Haar, an einem gemütlichen Holztisch saß. Direkt daneben dann das helle Wohnzimmer, im Mittelpunkt: ein riesiges Sofa, schick, aber schlicht. Darauf lag das mittlere Kind, der Sohn, gerade etwas bockig. Vom langen Flur zweigten die Zimmer ab: drei Kinderzimmer - ganz hinten das der Jüngsten, die gerade Besuch hatte und nicht gestört werden wollte -, das Schlafzimmer und Lars' Büro. Hier hatte er eine zweite Ebene einziehen lassen, die gemauerte Decke und die Rundbögen des Backsteinbaus waren freigelegt und alte Türen aus einem Bauelementelager eingesetzt. »Unsere Angst war, dass es zu sehr nach Neubau aussieht«, hatte Lars gesagt.
Lars ist freier Komponist. Anfang vierzig, aber er sieht jünger aus, ein hübscher Typ mit blondem Haar und breitem Lachen. Nach seinem Studium hatte er einen guten Start - er konnte eine Filmmusik bei Arte platzieren, wurde zu einem Nachwuchsfestival eingeladen -, aber in den Jahren danach lief es lange ziemlich schleppend. Fernsehmusik, Kinomelodien, sogar Opern - er hat viel entwickelt, angedacht, geschrieben. Aber es hat gedauert, bis er die Ergebnisse auch verkaufen konnte. Inzwischen geht es aufwärts. Doch das große Geld hat Lars in seinem Job noch nicht verdient. Seine Frau unterrichtet an einer Musikschule.
Ihre Wohnung hat rund 3000 Euro pro Quadratmeter gekostet, insgesamt fast eine halbe Million Euro. Sie hätten sich diese Wohnung niemals leisten können - wenn es Lars' Vater nicht gäbe. Oder noch präziser: sein Geld. Das große Geschenk. Das vorgezogene Erbe.
Die Winterdämmerung verhüllt den Kanal, auf den wir zulaufen. In unserem Rücken schimmern die beleuchteten Fenster von Lars' Wohnung. Sie liegt in einer parkähnlichen Anlage aus dem späten 19. Jahrhundert, die neunzehn denkmalgeschützten Häuser, typische Berliner Klinkerbauten mit gelber Ziegelfassade, werden von einem Zaun, an einigen Stellen von einer Mauer umfasst. Die Mehrheit der Bewohner hätte die Abgrenzung am liebsten niedergerissen, aber das Denkmalamt ließ nicht mit sich reden. Nun müsse man sich ständig gegen das Vorurteil verteidigen, man wolle sich hier einmauern, sagt Lars. Früher war auf dem Gelände eine psychiatrische Tagesklinik untergebracht. Aber vor sechs Jahren bot der stadteigene Krankenhauskonzern die Anlage zum Verkauf an. Eine Baugruppe griff zu, investierte rund 45 Millionen Euro. Es entstanden 136&nb
