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Gerhard Richter malte sein bekanntes Gemälde 'Tante Marianne' nach Vorlage einer Fotografie, die ihn als Säugling zusammen mit der Schwester seiner Mutter zeigt. Hier setzt der Reporter und Buchautor Jürgen Schreiber an und stößt auf eine tragische Wahrheit: Tante Marianne fiel dem Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten zum Opfer, in das der Gynäkologe und SS-Obersturmbannführer Heinrich Eufinger - der frühere Schwiegervater Gerhard Richters - tief verstrickt war. Eine Spurensuche, welche die unglaubliche Geschichte der Familie Gerhard Richters enthüllt, in der sich die Lebensläufe von Opfern und Tätern auf dramatische Weise kreuzen.
Jürgen Schreiber wurde für seine herausragenden Reportagen mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet; zweimal erhielt er den Wächter-Preis der deutschen Presse. Schreiber ist Chefreporter beim Berliner Tagesspiegel. Gerhard Richter gilt als erfolgreichster Künstler der Gegenwart. 1932 in Dresden geboren, verließ er 1961 die DDR. Er entwickelte eine neue Gegenständlichkeit - eine eigene Avantgarde. Richter lebt mit seiner Familie in Köln.
Gerhard Richter malte sein bekanntes Gemälde »Tante Marianne« nach Vorlage einer Fotografie, die ihn als Säugling zusammen mit der Schwester seiner Mutter zeigt. Hier setzt der Reporter und Buchautor Jürgen Schreiber an und stößt auf eine tragische Wahrheit: Tante Marianne fiel dem Euthanasie-Programm der Nationalsozialisten zum Opfer, in das der Gynäkologe und SS-Obersturmbannführer Heinrich Eufinger - der frühere Schwiegervater Gerhard Richters - tief verstrickt war. Eine Spurensuche, welche die unglaubliche Geschichte der Familie Gerhard Richters enthüllt, in der sich die Lebensläufe von Opfern und Tätern auf dramatische Weise kreuzen.
Autorentext
Jürgen Schreiber wurde für seine herausragenden Reportagen mit dem Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet; zweimal erhielt er den Wächter-Preis der deutschen Presse. Schreiber ist Chefreporter beim Berliner Tagesspiegel. Gerhard Richter gilt als erfolgreichster Künstler der Gegenwart. 1932 in Dresden geboren, verließ er 1961 die DDR. Er entwickelte eine neue Gegenständlichkeit - eine eigene Avantgarde. Richter lebt mit seiner Familie in Köln.
Leseprobe
DAS FEUER
Der Knabe wird ein Maler werden.
Er ist 13 Jahre alt. Gerhard Richter hatte eben Geburtstag. Kein Geschenk, keine Feier, 1945 gab es nichts. Seit 1993 Tagen, fast die Hälfte seines Lebens, herrscht Krieg. Die Russen kommen. Mit seiner Mutter Hildegard und Schwester Gisela hatte es ihn ins sächsische Waltersdorf verschlagen, einen entlegenen Sprengel an der Grenze zum tschechischen Protektorat. Der Vater Horst Richter kämpft im Westen an der Front. Von Osten einschießende Tiefflieger bestreichen die Oberlausitz, treiben Flüchtlingstrecks und Hitlers zurückflutende Wehrmacht in die Gräben. Gefechtsdonner aus Richtung Görlitz. Gewalt überrollt das Hinterland. Erschießungen. Plünderungen. Vergewaltigungen. Freund oder Feind, das Kind hält sich das Grauen spielerisch vom Leib. Der Erwachsene wird den Krieg später als spannendes Abenteuer erinnern. Der Knabe sollte eines Tages weltberühmt sein.
70 Kilometer Luftlinie westlich legen britische Bomber Richters Geburtsstadt Dresden in Schutt und Asche. Schwere Attacken im Schutze der Nacht des 13. Februar 1945. Die Stadt, der Adolf Hitler versprach, »der Nationalsozialismus wird ihr eine richtige Fassung geben«, soll sterben. 650 000 Stabbrandbomben und 529 Luftminen fallen, um nur das Gröbste zu nennen, verwandeln die einstige königliche Residenz in eine Todesfalle für Zehntausende. Am helllichten Tag des 14. geben amerikanische Geschwader »Elbflorenz« den Rest. So weit das Auge reicht, Ruinen, eine mit Schutt übersäte Weite. Von der klaffenden Leere gibt es keinen richtigen Begriff, es sei denn in Bildern ihres großen Sohnes Gerhard Richter.
In den 50er Jahren stapft der Student Tag für Tag durch die Trümmer zur Kunstakademie, der Pfad geht mitten durch die skelettierte Frauenkirche. Die Öde der dem Erdboden gleichgemachten Stadt, ihr Untergang binnen Stunden, lastet bis heute auf den Gemütern wie ein Phantomschmerz: Eine »Ziegelsteppe«, ein »Garnichts« blieb von den viel beschriebenen Kulturstätten, notieren Chronisten wie Erich Kästner: »Man geht hindurch, als liefe man im Traum durch Sodom und Gomorra.« Das bestimmte Dresdner Gefühl, schwerlich mit etwas anderem zu vergleichen, hinterließ ein Empfinden umfassenden Verlustes. Kein Neubau, keine Rekonstruktion konnte es heilen. Das Zerborstene, so hieß es unter Schock, könne nie wieder auferstehen. In dem Dauerprovisorium war Richter nie »daheeme«. Der übermächtige Eindruck einer vielfach zerklüfteten Stadtlandschaft verstärkte bei ihm die Stimmung politischer Hoffnungslosigkeit. Schlussendlich ließ ihn die Enttäuschung 1961 aus dem Sozialismus in den Kapitalismus flüchten.
Zum 50. Jahrestag der Vernichtung Dresdens hängt 1995 vor den Brühlschen Terrassen (schwarz gebackene Krusten konservieren im Elbsandstein die Februarkatastrophe, als müsse für ewig Trauer getragen werden) sein Wandbild »2 Kerzen«, ausgespannt ein Banner von 19 x 23 Meter: Zeichen des Gedenkens und Symbol für Richters Heimkehr. Er war dort an der Kunsthochschule ausgebildet worden, laut Bestandsliste »mittelschwer beschädigt«, was bedeutete, der Bau ließ sich notfalls reparieren. Selbst im demolierten Zustand für den Anfänger »wahnsinnig imponierend«, mit Säulen, Nischen, Statuen, Medaillons und was sonst in Stein geschlagen oder in Kupfer getrieben an Raffinessen vorgeführt wird. Über dem Hauptportal der »Genius der Kunst«. Richter swingt förmlich durch den Triumphbogen, sein Tor zur Welt. Ein über die Maßen erhebender Beginn, »dass man nun dazugehörte und die Lehrer echte Künstler waren«. Otto Dix lief ihm über den Weg, Kretzschmar, Rudolph, die Grundigs, lauter Bedeutende. Der Architekt Mart Stam dürfte bei der Immatrikulationsfeier gesprochen haben, »eine imposante Erscheinung«. Heiß durchströmte Richter das Glück des Anfangs. Wenige Festtage reichen an diesen heran.
Nebenan hatte in der Pracht des Museums Albertinum die »Örtliche Luftschutzl
Inhalt
Teil I NACHT Teil II OPFER Teil III FAMILIE Teil IV TÄTER BILDER Literatur Bildnachweis Dank