

Beschreibung
Wie nur erträgt man die langen dunklen Winter dicht am Polarkreis auf der Suche nach ein bisschen Leben und Liebe? Eine Frage, mit der sich auch die Bewohner eines kleinen 400-Seelen-Orts im äußersten Westen Islands konfrontiert sehen. Stets sind sie in Gefahr...Wie nur erträgt man die langen dunklen Winter dicht am Polarkreis auf der Suche nach ein bisschen Leben und Liebe? Eine Frage, mit der sich auch die Bewohner eines kleinen 400-Seelen-Orts im äußersten Westen Islands konfrontiert sehen. Stets sind sie in Gefahr, in Kleinstadtlethargie zu verdämmern - und so müssen sie selbst dafür sorgen, dass ihre Tage aufregend werden.
Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, studierte Literaturwissenschaft und lebte in Dänemark, bevor er sich mit seiner Familie in Mosfellsbær auf Island niederließ. Er zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des Landes, sein Werk ist preisgekrönt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für seinen Roman 'Sommerlicht, und dann kommt die Nacht' erhielt Stefánsson im Jahr 2005 den isländischen Literaturpreis. Nach 'Der Schmerz der Engel' erschien von ihm auf Deutsch zuletzt 'Das Herz des Menschen'.
Autorentext
Jón Kalman Stefánsson, geboren 1963 in Reykjavík, studierte Literaturwissenschaft und lebte in Dänemark, bevor er sich mit seiner Familie in Mosfellsbær auf Island niederließ. Er zählt zu den bedeutendsten Schriftstellern des Landes, sein Werk ist preisgekrönt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Für seinen Roman "Sommerlicht, und dann kommt die Nacht" erhielt Stefánsson im Jahr 2005 den isländischen Literaturpreis. Nach "Der Schmerz der Engel" erschien von ihm auf Deutsch zuletzt "Das Herz des Menschen".
Leseprobe
Zwei
Früher einmal gab es noch so viel Unschuld in der Welt, dass es reichte, die Polizisten im Ort auf Teilzeit anzustellen; damals war es vielleicht noch näher in den Himmel als in die Hölle. Die Fortschrittspartei regierte in den Landkommunen, beherrschte die Genossenschaften, die die Gemeinden zusammen- und die sich bereichernden Raubritter in Schach hielten. Sie nahm uns das Denken ab und tat ihr Bestes, damit immer hübsch alles beim Alten blieb; am besten haben sich noch immer die regieren lassen, die sich nicht bewegen. Mittlerweile steht dieses System vielleicht auf dem Kopf, denn in den letzten Jahren ist so vieles in Bewegung geraten, dass uns der Kopf schwirrt und wir darum nicht mehr denken können, sondern nur noch damit beschäftigt sind, uns festzuklammern, damit man nicht in die Leere hinausgeschleudert wird. Aber ist dir schon aufgefallen, dass der Kern des Menschen oft dem Blick verborgen ist, dass er unter der Oberfläche steckt und vielleicht nie zum Vorschein kommt? In den offiziellen Akten steht jedenfalls nirgends, dass, obwohl er im Hauptberuf eigentlich Zimmermann war, Hannes Augapfel seine Polizeiuniform war. Das bin ich gar nicht, dachte er, wenn er sich montags morgens seinen Gürtel mit den Werkzeugschlaufen umschnallte, nach der Säge griff, unsere Gesetzestreue verfluchte und von finsteren Zeiten mit vielen Verbrechen träumte, in denen er den Werkzeuggürtel wegwerfen und jeden Tag die Uniform überziehen könnte.
Hannes war eine imposantere Erscheinung als die meisten anderen, 193 Zentimeter groß, breite Schultern, muskulös und kein Gramm Fett am Leib, wenn er sich bewegte, dachte man an eine Großkatze. In jeder Schlägerei behielt er die Oberhand, seine Arme schienen aus Stahl, seit früher Jugend trank und vertrug er mehr als wir anderen, was nur natürlich erschien, denn der Mann schien von Riesen und Trollen abzustammen. Die Frauen flogen auf Hannes, er hatte einen durchdringenden Blick und warf damit um sich wie ein Leuchtturm. Für eine Nacht mit ihm würde ich Mann und Kinder im Stich lassen, dachten sie. Zwei bildhübsche Schwestern stellten ihm jahrelang nach, du kannst uns beide haben, sagten sie, mit uns beiden zusammenleben, du schaffst doch auch zwei Frauen, wir sind höchst einfallsreich und meinen damit nicht unsere Kochkünste ..., und dann heiratete er Bara; wir konnten uns gar nicht genug wundern, so zierlich war sie mit ihrem hellen Kopf, ein Leib wie ein Blumenstängelchen, sagten die alten Leute über sie. Sie war zum Studieren in die Hauptstadt gegangen, nicht, um alles über empfindliche Pflanzen zu lernen, wie wir annahmen, sondern um Geologie zu studieren, sie wollte alles über Erdbeben, Vulkanausbrüche und die Riesenkräfte der Natur erfahren. Sie war eine fleißige Studentin und wäre eine hervorragende Geologin geworden, doch bei einem Osterball in unserem Gemeindezentrum sah sie einmal mit an, wie sich Hannes in eine Prügelei einmischte. Aktiver Vulkan, dachte sie, und zwei Jahre später kam Jónas zur Welt. Sie hatte gerade den Bachelor gemacht, als er kam, wollte drei Jahre an unserer Schule unterrichten und dann das Studium fortsetzen, mit einem Schwerpunkt auf Vulkanismus, ich wollte mich auf dich spezialisieren, sagte sie manchmal zu Hannes, aber eines Tages stellten wir fest, dass das Licht um ihren Kopf matt geworden war. Der alte Landarzt mit seinen paar lateinischen Brocken vermochte nichts, es war Darmkrebs, die Blüte des Teufels, sie dagegen welkte rasch, verfiel, wurde zu nichts. Hannes hielt sie mit all seinen Leibeskräften, aber gegen den Tod vermag der Mensch nichts, das Licht der Welt erlosch, und Hannes verlor seine Frau, die Mutter seines drei Jahre alten Söhnchens und das Feingliedrigste und Beste, was wir je gesehen haben. Es könnte
