

Beschreibung
England ist anders. Schon immer gewesen. Man fährt notorisch links, trägt in Gerichtssälen immer noch Perücken und verehrt zu Beginn des 21. Jahrhunderts wie in alten Tagen eine Königin. Von jeher messen, wiegen und berechnen die Briten anders als andere Europ...England ist anders. Schon immer gewesen. Man fährt notorisch links, trägt in Gerichtssälen immer noch Perücken und verehrt zu Beginn des 21. Jahrhunderts wie in alten Tagen eine Königin. Von jeher messen, wiegen und berechnen die Briten anders als andere Europäer. Mit britisch trockenem Humor führt Heinz Ohff in alle Absonderlichkeiten des Königreichs ein.
Heinz Ohff, geboren 1922, gestorben 2006, war von 1961 bis 1987 Feuilletonchef des Berliner Tagesspiegel. Von ihm liegen zahlreiche Biographien vor, unter anderem über Königin Luise von Preußen, Karl Friedrich Schinkel, Fürst Pückler-Muskau, Theodor Fontane und die Könige Preußens sowie die 'Gebrauchsanweisung für England' und die 'Gebrauchsanweisung für Schottland'. Der Autor lebte in Berlin und Cornwall.
Autorentext
Heinz Ohff, geboren 1922, gestorben 2006, war von 1961 bis 1987 Feuilletonchef des Berliner Tagesspiegel. Von ihm liegen zahlreiche Biographien vor, unter anderem über Königin Luise von Preußen, Karl Friedrich Schinkel, Fürst Pückler-Muskau, Theodor Fontane und die Könige Preußens sowie die "Gebrauchsanweisung für England" und die "Gebrauchsanweisung für Schottland". Der Autor lebte in Berlin und Cornwall.
Leseprobe
Der gemäßigte Anglozentrismus
Dabei haben die Engländer den Tourismus erfunden, den wir heute doch alle begeistert ausüben. Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts waren sie das einzige Volk, das planmäßig reiste. Routen, Verkehrsmittel, Herbergen, Hotels, sogar Speisekarten blieben lange Zeit auf englische Bedürfnisse zugeschnitten.
In ihren auffallend großkarierten Reiseplaids, mit den zweischirmigen Mützen und dem unvermeidlich mitgeführten ausziehbaren Fernrohr - angeblich einer Erfindung Admiral Nelsons - bildeten sie, umgeben von unzähligen Gepäckstücken, Seekisten und Kindern, die wie kleine Erwachsene aussahen, so etwas wie eine eigene Gesellschaft mit eigenen Sitten.
Man belächelte die ewig reisenden Engländer zwar, wohin sie auch kamen. Aber die Orte, in die es sie trieb - in Frankreich, Holland, Italien, der Schweiz, am Rhein vor allem -, profitierten von ihrer verrückten Reiselust. Bald begann man sie zu locken und zu umwerben. Sie wurden auch beneidet. Wer reist, dem gehört die Welt.
Das konnte man bei den Engländern wörtlich nehmen. Ihrer Reiselust verdankten sie, schon ehe der Tourismus einsetzte, wenn nicht die ganze, so doch die halbe Welt. Ihre Reisen waren zunächst Expeditionen, und ihre Expeditionen wurden Eroberungszüge, aus denen eben jenes Empire entstand, das nach dem Zweiten Weltkrieg zerfallen ist.
Obwohl sie dadurch weltläufiger wurden als andere Nationen, hat diese Tatsache die Engländer in ihrem Inselfestungsdenken nur noch bestärkt. Einen Engländer erkennt man bis heute überall sofort, wie einem Leserbrief zu entnehmen, den ich einmal in der Times fand und in dem ein Mr. Roger Musgrave berichtete: »Ausgestattet mit einem italienischen Anzug, einem Schweizer Hemd, französischem Schlips und braungebrannt von adriatischer Sonne, bahnte ich mir einen Weg durch die kosmopolitische Menge und reichte dem Verkäufer, ohne ein Wort zu sagen, meine Auswahl aus seinen Postkarten. Sofort sagte er (auf englisch): 'Six hundred lire, please.'«
Weshalb reist der Mensch überhaupt?
Weil die Neugier ihn treibt und er sich, wahrscheinlich, nirgends so recht zu Hause fühlt. Seine Spanne auf Erden ist relativ kurz bemessen; irgendwo wartet schon ein endgültiger Ruheplatz auf ihn. Wer etwas von dieser Erde kennenlernen will, hat kaum Zeit zu verlieren.
Es gibt noch einen dritten Grund, den man mit einem Sprichwort umschreiben könnte, das fast alle Sprachen kennen: Das Gras auf der anderen Seite des Zauns ist immer grüner als das auf der eigenen Seite. Dort, wo man selbst lebt, ist es entweder zu kalt, mitunter auch zu heiß, zu regnerisch, zu trocken, zu wechselhaft oder nicht wechselhaft genug. Den meisten Menschen geht es wie Alfred Polgar, der »überall a bisserl ungern« war. Was spricht jener englische Mister Pief bei Wilhelm Busch? »Warum soll ich nicht beim Gehen - sprach er - in die Ferne sehen?« Dabei entfaltet er sein Nelson-Perspektiv, denn »schön ist es auch anderswo, und hier bin ich sowieso«.
Genauer gesagt: Man unterschätzt stets das, was man hat, und überschätzt, was man nicht hat. Auch die Engländer haben lange ihr eigenes Land unterschätzt, worüber sich schon deutsch-englische Maler wie Philip de Loutherbourg und frühe preußische Reisende wie Fürst Pückler, Karl Friedrich Schinkel und Theodor Fontane höchst verwundert zeigten. Das war Mitte des 19. Jahrhunderts und ist dann beträchtlich umgeschlagen. Die englische Landschaft jedenfalls war und ist heute noch so schön, so abwechslungsreich, so grün, so reich an Überraschungen und dabei so leicht erreichbar wie kaum eine andere. Es mußte schon erstaunen, warum den reichen britischen Touristen einst das eigene Land so wenig anziehend vorkam, weshalb ihnen die Blaue Grotte oder Teneriffa reizvoller erschienen als der Lake District oder die aufregende Felsenküste von Wales. <
