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Der Dreißigjährige Krieg (1618-48) warf lange Schatten voraus. Der renommierte Historiker Heinz Duchhardt beleuchtet in seinem Buch aus europäischer Perspektive das hochexplosive Jahrzehnt vor Ausbruch des Krieges, das geprägt war von innen- und außenpolitischen Krisen, von konfessioneller Zuspitzung, Zukunftsangst und der Vorstellung, dass der Weg zwangsläufig ins Chaos führen müsse. Die Spannung zwischen einer Art 'Endzeiterwartung' und dem Bemühen, des Konfliktpotenzials doch noch Herr zu werden, war charakteristisch für diese Zeit. Sie mündete in eins der traumatischsten Ereignisse der Vormoderne überhaupt, das unendliches Leid über seine Bevölkerung brachte und den Kontinent grundlegend veränderte.
Heinz Duchhardt gehört zu den führenden und produktivsten Frühneuzeit-Historikern in Deutschland. Er bekleidete Lehrstühle für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Bayreuth (1984-1988) und für Neuere Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (1988-1995). Von 1994 bis 2011 war er Direktor der Abteilung für Universalgeschichte im Mainzer Institut für Europäische Geschichte. Von 2009 bis 2014 war er Präsident der Max Weber Stiftung.
Vorwort
Wie konnte es zum Dreißigjährigen Krieg kommen?
Autorentext
Heinz Duchhardt gehört zu den führenden und produktivsten Frühneuzeit-Historikern in Deutschland. Er bekleidete Lehrstühle für Geschichte der Frühen Neuzeit an der Universität Bayreuth (1984-1988) und für Neuere Geschichte an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (1988-1995). Von 1994 bis 2011 war er Direktor der Abteilung für Universalgeschichte im Mainzer Institut für Europäische Geschichte. Von 2009 bis 2014 war er Präsident der Max Weber Stiftung.
Leseprobe
Strukturen und Mentalitäten
Erfahrungsraum Europa?
Hätte ein Handwerksgeselle auf seiner meist mehrjährigen, der Aneignung und Komplettierung von fachlichem Know-how dienenden tour d'Europe in der Dekade vor Ausbruch des Großen Krieges ein Tagebuch geführt, dann hätte man mit Gewissheit eine Quelle, die an Facettenreichtum, an Farbigkeit, aber auch an der Schilderung von Leid und Zukunftsangst kaum zu übertreffen wäre. Der junge Mann - das Phänomen weiblicher Gesellen war dem frühen 17. Jahrhundert noch fremd - hätte von Wetterkapriolen berichtet, von Heuschreckenplagen und Missernten, von Teuerung und Hungersnot allüberall. Er hätte geschildert, wie er den ungezählten Heerhaufen aus dem Weg zu gehen versuchte, die die Lande unsicher machten, er wäre mit den Massen von Bettlern und Erwerbslosen konfrontiert worden und vor Wegelagerern und Räubern nicht sicher gewesen; er hätte erlebt, wie die Menschen vor Zukunftsangst fast vergingen und in kosmischen und anderen Zeichen das kommende Ende der Welt zu erkennen meinten. Er hätte die Hexen brennen sehen und die Leichenhalden mit den unzähligen Opfern der Pest und anderer Seuchen so weit und so schnell wie möglich umgangen. Er hätte erlebt, wie Kriege zwischen Nachbarstaaten den Ostseehandel zum Erliegen brachten, wie in den Niederlanden die Gesellschaft eher randständiger dogmatischer Fragen wegen in blutigen Aufruhr geriet; er hätte vielleicht von Bürgerkriegen in Frankreich und Massenvertreibungen aus Spanien erzählt, und er hätte - wenn er denn so weit gekommen wäre - von bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen in Polen und von einer Welt in Russland berichtet, die im Chaos zu versinken drohte. Er hätte mutmaßlich den Raum des Osmanischen Reiches und seines breiten Grenzsaums sorgfältig gemieden, weil »man« ja aus den unzähligen Türkenschriften wusste, was einem dort blühen konnte: die Enthauptung, das Abschneiden der Nase oder die Versklavung und der Galeerendienst. Er hätte registriert, wie es in Oberitalien gärte, und er hätte, wenn er denn aus Deutschland gestammt hätte, mit größter Sorge beobachtet, wie kompromisslos sich die Religionsparteien gegenüberstanden und dass es niemanden mehr zu geben schien, der auch nur versuchte, das Schlimmste zu verhüten.
Der Handwerksgeselle wäre, all diese Konstrukte einmal angenommen, einer der relativ wenigen Menschen gewesen, denen im frühen 17. Jahrhundert eine europäische Erfahrung eignete - andere Berufsgruppen waren etwa die Studenten, die Fernhandelskaufleute, Matrosen, Künstler jedweder Art und Schausteller sowie - natürlich - die Soldaten. Die weitaus meisten Menschen Alteuropas, man geht von mehr als 80 % aus, kamen über einen sehr engen Radius um ihren Geburts- bzw. Arbeitsort nie hinaus. Sie interessierte es im Grunde auch relativ wenig, wie sich dieser Kontinent denn eigentlich bemaß, wo er sein Ende fand und wie stark er von den Welten »jenseits« differierte.
Es gibt ein solches Ego-Dokument leider nicht, und die wenigen »wandernden«, also nicht ortsgebundenen Tagebücher stammen in der Regel von Soldaten, die eine ganz eigene Perspektive hatten und das geschichtliche Leben in der Regel nicht in all seiner Totalität erfassten. Das von Jan Peters herausgegebene, freilich erst die Jahre ab 1625 beleuchtende Tagebuch eines namenlosen Söldners, der ein knappes Vierteljahrhundert lang halb Europa durchstreifte und in seinen Aufzeichnungen unter anderem wunderbare Einblicke in den soldatischen Ehrenkodex eröffnet, spiegelt diese begrenzte Sicht exemplarisch. Es geht also im Folgenden nicht darum, ein (nicht existentes) Tagebuch auszuschreiben; vielmehr ist der Historiker gefordert, aus vielen Puzzlesteinen ein Bild zusammenzufügen, das der Wirklichkeit so nahe wie möglich kommt. Dabei werden zunächst die Metastrukturen (Staaten, Konfessionen, Stände) und dann die Mentalitäten in den Blick genommen, die die Zeit prä
Inhalt
Vorwort
Einleitung
Strukturen und Mentalitäten
Erfahrungsraum Europa?
Das Staatensystem
Die Konfessionsproblematik
Ständemacht und Staatsverdichtung
Die "Kleine Eiszeit" und ihre Auswirkungen
Dramatis personae: Akteure und "Komparsen"
Die Römisch-Deutschen Kaiser und ihr Umfeld
Reichsfürsten
Der Papst
Monarchen, Regenten und Staatslenker im Westen Europas
Die "nordischen" Könige
Fürsten im Süden Europas
Dramatis theatra: Die Schauplätze
Das Reich und der Habsburgerstaat
Frankreich
Die italienische Halbinsel
Die Niederlande
England
Skandinavien, Polen-Litauen und das Baltikum
Das russländische Reich
Türkenproblematik und Siebenbürgenfrage
Dramatis finis: Die Allgegenwart von Krisen
Die Suche nach den "Schuldigen"
Die kosmischen und terrestrischen "Botschaften"
Sinnkrisen: Bedrohungssyndrome, Prognostik und Eschatologie
Die Unausweichlichkeit des "Großen Krieges"?
Anhang
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abbildungsnachweis
Personenregister