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Eine Selbstbefragung à la Knausgård, ein Gedankenroman wie David Foster Wallaces Unendlicher Spaß - dieser Roman ist so komplex wie klug, so polemisch wie politisch, so bewegend wie bedeutend. Rom in den Siebzigerjahren, im gutbürgerlichen Quartiere Trieste ... Ein paar Ehemalige der Privatschule San Leone Magno begehen eines der brutalsten Verbrechen der Zeit. Edoardo Albinati ist damals auch auf diese Priesterschule gegangen. Vierzig Jahre lang hat er das Geheimnis seiner 'schlechten Erziehung' gehütet. Nun erzählt er es, und zwar so, als würde ihm vom Grund eines tiefen Brunnens sein Spiegelbild entgegenblinzeln. Entstanden ist ein Roman von verblüffender Vielfalt. Es geht um die Teenagerzeit, um Sex, Religion und Gewalt; um Geld, Freundschaft, und Rache, um legendäre Lehrer und Priester, Krawallmacher, kleine Genies und Psychopathen, um rätselhafte Mädchen und Terroristen. Aus diesem Gemisch lässt Albinati eine versunkene Epoche unverklärt wieder aufleben. Doch er lässt es nicht bei der Erinnerung bewenden, sondern stellt sich den großen Fragen unserer Tage, analysiert Alltagsphänomene, leitet Entwicklungen her, liefert Prognosen - scharfsinnig, manchmal zornig und immer mit besonderem Augenmerk auf die Dinge jenseits des Scheins. 'Ich habe alles gegeben, was ich hatte und nicht hatte, Geschichte, Gespenster, mein Schreiben ...' Edoardo Albinati
Edoardo Albinati, Jahrgang 1956, ist ein in Rom lebender Regisseur, Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er engagiert sich in der Flüchtlingshilfe und unterrichtet seit über 20 Jahren Häftlinge im Gefängnis von Rebibbia. Für 'Die katholische Schule' erhielt er den Premio Strega, die wohl wichtigste literarische Auszeichnung Italiens.
Autorentext
Edoardo Albinati, Jahrgang 1956, ist ein in Rom lebender Regisseur, Journalist, Übersetzer und Schriftsteller. Er engagiert sich in der Flüchtlingshilfe und unterrichtet seit über 20 Jahren Häftlinge im Gefängnis von Rebibbia. Für "Die katholische Schule" erhielt er den Premio Strega, die wohl wichtigste literarische Auszeichnung Italiens.
Leseprobe
KAPITEL II
Manche behaupten, der Kult der Jungfrau Maria sei ein archaisches Überbleibsel der einst mächtigen matriarchalen Religionen, die die männlichen Gottheiten dominierten und ihnen den Aufstieg verwehrten. Andere sehen in ihm die ebenso symbolische wie wirkungsvolle Reduzierung der Frau auf ihre ausschließliche Rolle als Mutter, Herzensmutter, Schmerzensmutter. Wieder andere deuten ihn als das einzige wertvolle Zugeständnis eines durch und durch männlich geprägten, von Vater, Sohn, Propheten und Patriarchen beherrschten Monotheismus an die Weiblichkeit und ihren entscheidenden Anteil daran, dass die Welt nicht nur existiert, sondern menschlich und bewohnbar ist - man könnte also sagen: Ein Glück, dass es unter all diesen krakeelenden Bartträgern eine Frau gibt. Immerhin. Um die Schande, die ihre Stammmutter über ihr Geschlecht gebracht hat, wettzumachen. Aus all diesen Gründen hatte sich die Ordensgemeinschaft des SLM der Jungfrau verschrieben, und zudem lag es natürlich nahe, dass über die schulische Erziehung kleiner und großer Jungs eine Mutter wachte, die schönste, einfühlsamste, langmütigste und nachsichtigste Mutter von allen, die jedoch (wie das herrliche Bild La Vierge corrigeant l'Enfant Jésus von Max Ernst zeigt) im Bedarfsfall auch züchtigen konnte, wiewohl gänzlich lauteren Herzens. Es ist schwer vorstellbar (obgleich die pädagogischen Strömungen, die in jenen Jahren ihren Anfang nahmen und zu einer allgemeinen Selbstverständlichkeit geworden sind, das exakte Gegenteil behaupten), dass Erziehung ohne Strafe auskommt. Unabhängig von ihrer Angemessenheit und der durchaus fraglichen abschreckenden Wirkung liegt ihr Zweck nämlich darin, im zu Recht oder Unrecht Bestraften einen leistungsfördernden Unmut zu wecken. Strafen sollen den Widerstand herausfordern und stärken, statt ihn zu brechen. Wer unter ihnen einknickt, lässt sie zu sinnlosen Demütigungen werden, über die man sich lustvoll beklagen kann. Allen anderen sind sie Prüfungen, die es zu bestehen gilt, Herkulesaufgaben, die Kräfte freisetzen, von denen man ungläubig feststellt, dass man sie besitzt und nutzen kann. Erst die Auflehnung gegen Strafe bringt die Kraft, die Intelligenz und den Stolz in Wallung, die sonst ungeahnt in einem schlummern. Es wird gern unterschätzt, dass die Moral der Moral vorausgeht, auch wenn sie sich gänzlich mit ihr identifiziert, und dass zu ihren Gemeinsamkeiten der durch Unterdrückung hervorgerufene Unwille gehört. Er ist eine einfache chemische Seelenreaktion. Weder Revolutionäre, Patrioten und Wissenschaftler noch einfache Bankangestellte, Krankenschwestern, Anwältinnen und Hautärzte würden es je zu etwas bringen, wenn sich ihnen nicht hin und wieder jemand in den Weg stellen und sie wie beim Gänsespiel aus zumeist fadenscheinigen, läppischen Gründen zurück auf Los schicken würde. Eine Initiation muss zumindest in Teilen schmerzhaft sein.
Die Priester des SLM waren mit den Tugenden der Jungfrau Maria bestens vertraut und wussten sie bei ihrer Lehrtätigkeit, zu der sie sich berufen sahen, fruchtbar zum Einsatz zu bringen. So, wie es Ritterorden und Bettelorden gibt, gab es die Ordensbrüder des SLM, deren Mission das Unterrichten war. Natürlich war es eigenartig, dass die Lehren der Schutzheiligen von einer durchweg männlichen Gemeinschaft praktiziert wurden und dass die Empfänger dieser liebevollen Zuwendung ebenfalls ausschließlich männlich waren. Lehrer und Schüler des SLM, allesamt männlich, mit einer einzigen großen Mutter und Königin: eine Art Bienenstock. Wie emsige Gärtner, die Kürbisse und Tomaten züchten, hatten sich die Priester zum Ziel gesetzt, junge Menschen zu formen und sie dann zu guten Christen heranreifen zu lassen; schon das erste Ziel war alles andere als leicht, das zweite, das bei der Gründung des Ordens im Jahr 1816 noch selbstverständlich erschienen sein mag, war im Laufe der Jahre immer schwie