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Seit jeher begeben sich Schriftsteller auf Reisen, um das Natürliche, das Unverfälschte und das Ursprüngliche zu erfahren. Und um Antworten auf die Fragen des eigenen Lebens zu erhalten. Carl von Siemens folgt dieser Tradition. Bei indigenen Völkern im pazifischen Raum möchte er lernen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. In Australien begegnet er dem magischen Denken der Aborigines und teilt ihren Alltag im Outback. Auf Mangaia, der ältesten der Cookinseln, erlebt er die Vormoderne nur mehr als Spuk. Und in Peru wird er von Mestizen und Amazonasindianern in den Gebrauch halluzinogener Pflanzenmedizin eingewiesen. Bei seinen sinnlich und elegant erzählten Reisen stößt Carl von Siemens nicht nur an die Enden der Welt vor. Sie werden auch zu Ausflügen in die Tiefen seiner Seele, die er mit pointierter Selbstironie erforscht.
Carl von Siemens, Urururenkel des Firmengründers Werner von Siemens, studierte Philosophie, Politologie, Volks- und Betriebswirtschaftslehre am Trinity College in Oxford, der London School of Economics und der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 1992, am Ende seines Studiums, reiste er über Land von Helsinki durch Finnland, Estland, Russland, die Mongolei, China, Tibet, und Nepal nach Bombay. Er war Unternehmensberater, Journalist sowie Gründer und Geschäftsführer einer Web-Agentur in Hamburg. Seine Reportagen, Essays und Kurzgeschichten erschienen u.a. in 'Rolling Stone', 'Lettre International', 'Der Freund' und 'Das Magazin'. Bei Fischer veröffentlichte er sein Debüt 'Kleine Herren. Ein Deutscher in Oxford', über das Christian Kracht schrieb: 'Kann man die Geister von Evelyn Waugh und Kingsley Amis auf Deutsch beschwören? Carl von Siemens ist eben dies mit Aplomb, Geist, großartigem Humor und einem besonders feinen Gespür für Dialoge gelungen.' Für das vorliegende Buch suchte Carl von Siemens Australien, die Cook-Inseln und Peru auf. 2014 besuchte er zum ersten Mal seit Langem wieder die Hauptversammlung der Siemens AG. Er erfuhr von schweren ökologischen Bedrohungen für das Amazonasgebiet im brasilianischen Belo Monte durch ein Staudammprojekt, dem drittgrößten Wasserkraftwerk der Welt, an dem die Siemens AG über ein Joint Venture beteiligt ist. Carl von Siemens reiste in den Amazonas; er schrieb im Folgenden unter anderem in der 'WELT am SONNTAG' und wies auf die Zerstörung des Regenwalds und die Bedrohung der Ureinwohner hin.
Autorentext
Carl von Siemens, Urururenkel des Firmengründers Werner von Siemens, studierte Philosophie, Politologie, Volks- und Betriebswirtschaftslehre am Trinity College in Oxford, der London School of Economics und der Ludwig-Maximilians-Universität in München. 1992, am Ende seines Studiums, reiste er über Land von Helsinki durch Finnland, Estland, Russland, die Mongolei, China, Tibet, und Nepal nach Bombay. Er war Unternehmensberater, Journalist sowie Gründer und Geschäftsführer einer Web-Agentur in Hamburg. Seine Reportagen, Essays und Kurzgeschichten erschienen u.a. in "Rolling Stone", "Lettre International", "Der Freund" und "Das Magazin". Bei Fischer veröffentlichte er sein Debüt "Kleine Herren. Ein Deutscher in Oxford", über das Christian Kracht schrieb: "Kann man die Geister von Evelyn Waugh und Kingsley Amis auf Deutsch beschwören? Carl von Siemens ist eben dies mit Aplomb, Geist, großartigem Humor und einem besonders feinen Gespür für Dialoge gelungen." Für das vorliegende Buch suchte Carl von Siemens Australien, die Cook-Inseln und Peru auf. 2014 besuchte er zum ersten Mal seit Langem wieder die Hauptversammlung der Siemens AG. Er erfuhr von schweren ökologischen Bedrohungen für das Amazonasgebiet im brasilianischen Belo Monte durch ein Staudammprojekt, dem drittgrößten Wasserkraftwerk der Welt, an dem die Siemens AG über ein Joint Venture beteiligt ist. Carl von Siemens reiste in den Amazonas; er schrieb im Folgenden unter anderem in der "WELT am SONNTAG" und wies auf die Zerstörung des Regenwalds und die Bedrohung der Ureinwohner hin.
Leseprobe
1
Auf einem Festival in Ungarn begegnete ich einem Anthropologen, der Techno-Hippies mit der Akribie eines Schmetterlingssammlers verfolgte. Sein Name war Graham St. John, er hatte sich das Feiern sozusagen zum Beruf gemacht, und jeder beneidete ihn um seinen Job.
Das Festival hieß O.Z.O.R.A. und dauerte eine geschlagene Woche. Ich hatte mich einer Gruppe angeschlossen, die sich einmal im Jahr zusammentat, um in den Büschen über die Stränge zu schlagen. Seitdem wir unter einem Schild mit der Aufschrift »Welcome to Paradise« das Gelände betreten hatten, liefen die Dinge schrecklich schief.
Sechsunddreißig Stunden später war das Camp noch immer nicht aufgebaut worden, der erste Kreislaufkollaps schien nur eine Frage der Zeit, und ein Schreihals hatte mich die ganze Nacht lang durch ein Megafon angebrüllt. Bei Sonnenaufgang stand ein Unternehmensberater in Lederhosen zwischen davondriftenden Plastiktüten und spielte ein Lied auf einem Akkordeon, während ihm die Tränen unter den geweiteten Pupillen über die Wangen strömten.
Ich packte meine Siebensachen und ging stiften.
Zwischen Obststand und Bar stach ein Hohlweg durch einen bewaldeten Hügel. Jenseits des Hügels gab es weitere Wälder und Wiesen und bemalte Kleinbusse und noch mehr Zelte, doch keine Musik wummerte herüber, und das Grün der Pflanzen war rein und frisch.
Es begann zu regnen. Am nächsten Morgen zogen Wolken über die Zeltstadt. Vor den Fressbuden und Kleiderständen des Hippiemarkts flappten Plastikplanen im Wind. Dahinter stand der Main Floor unter Wasser. Ein Traktor kippte Strohballen auf die Erde, die wie ein Dunghaufen stank.
Mit Blaulicht schaukelte ein Krankenwagen heran.
Einige Versprengte kurvten um die Müllsäcke auf der Tanzfläche. Sie hatten ihre Dreadlocks zu fantastischen Aufbauten gesteckt, und die Trugbilder der Nacht hatten sich wie Holzschnitte in ihre Gesichter eingegraben.
Ich breitete meine tibetische Wolldecke aus und wärmte mich an einem Becher Tee. Seit Jahren hatte ich jede Gelegenheit genutzt, um unter Sonne und Mond bis zur Erschöpfung zu tanzen; nun fragte ich mich, was ich in dieser Welt verloren hatte. Ich beneidete die Vagabunden, die von Festival zu Festival zogen wie früher die Fans der Grateful Dead. Sie hatten sich von der Zivilisation verabschiedet, für einen Sommer oder auf länger; ich selbst hatte niemals meine Leinen gekappt. An Nachmittagen wurde die Haut der Mädchen golden, und ihre pastellfarbigen Lumpen leuchteten in einem besonderen Licht. Sie waren wild und schön wie ein Nomadenstamm, der sich in den heulenden Böen der Steppe verlor. Doch sie waren naiv, und ihre Sprachlosigkeit machte mich hilflos.
Seit drei Tagen hatte ich keine zusammenhängende Unterhaltung geführt.
Ich sehnte mich nach einem Gespräch.
Einen Wimpernschlag später setzte sich ein blonder Mann in einem grünen T-Shirt an meine Seite. Er frühstückte mit einer Dose Bier und kam aus Australien.
Ich setzte zu einem längeren Vortrag über einen Holzschnitt von Hans Baldung Grien an, auf dem vier nackte Frauen unter einem Baum in ihrem Kessel rührten, aus dem eine Dampfwolke unmissverständlich in den Himmel zischte.
Der Holzschnitt war in einem Buch aufgetaucht, das mir vor Jahren zwischen die Finger geraten war, »Traumzeit« des Ethnologen Hans Peter Duerr. Im Mittelalter, schrieb er, hätten die Hexen am Dorfrand gelebt, wo nur eine Hecke oder ein Zaun noch Zivilisation von Wildnis getrennt habe. Wildnis sei das, was unter den Regeln der Ordnung nicht erfahrbar sei. Man müsse Wildnis erlebt haben, denn nur, wer mit den Wölfen geheult habe, werde lernen, woher er komme. Nachtfahrende Weiber seien die Mittler zwischen den Welten gewesen; dabei hätten sie mit einer Salbe nachgeholfen, die aus Fliegenpilz und Stechapfel bestanden habe.
»Die Paste muss so stark gewesen sein, dass selbst eine Wildsau davongeflogen wäre&nb