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Anne Siegel, 1964 geboren und in Norddeutschland aufgewachsen, lebt in Köln und San Francisco und arbeitet als Buchautorin, Radio- und TV-Journalistin und Hörspielautorin für öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland sowie als Drehbuchautorin und Dokumentarfilmerin für US-Produktionen. Ihre Arbeiten führten sie u.a. nach Dänemark, Island, Nordafrika, Israel und in die Niederlande. Nach mehreren Sachbüchern wie dem viel beachteten vorliegenden Band erschien 2015 ihr Romandebüt 'Nordbräute'. annesiegel.de
Autorentext
Anne Siegel, 1964 geboren und in Norddeutschland aufgewachsen, lebt in Köln und San Francisco und arbeitet als Buchautorin, Radio- und TV-Journalistin und Hörspielautorin für öffentlich-rechtliche Sender in Deutschland sowie als Drehbuchautorin und Dokumentarfilmerin für US-Produktionen. Ihre Arbeiten führten sie u.a. nach Dänemark, Island, Nordafrika, Israel und in die Niederlande. Nach mehreren Sachbüchern wie dem viel beachteten vorliegenden Band erschien 2015 ihr Romandebüt "Nordbräute". annesiegel.de
Leseprobe
HÍLDUR
So hatte sich Hilde das Osterfest nicht vorgestellt. Es war der 29. März 1942. Hinter ihr ertönte eine laute, schrille Stimme: »Dreh das Ventil auf, Hilde, du musst am Ventil drehen, und dann Wasser Marsch, Frauen!«
Nur noch einmal ausatmen, und dann hatte sie endlich Halt gefunden auf dem Dachfirst eines alten Lübecker Bürgerhauses. Die roten Backsteine waren an diesem Abend in einen flammend roten Lichtschein getaucht, schräg hinter Hilde brannte ein Dachstuhl, vor ihr klaffte ein riesiges Loch und gab den Blick in eine verlassene Wohnung frei. Weiter unten war soeben eines der Ziegeldächer explodiert. Die unerschrockene Vierzehnjährige fand gerade noch Halt auf den knirschenden Pfannen unter ihren Füßen, dann brauchte sie alle Kraft, um den Feuerwehrschlauch zu halten, der nun in ihrer Hand lag und dessen Spritze sie auf das Dach weiter unten richten sollte.
Es war Hildes erster großer Brandeinsatz, und sie hoffte inständig, den Schlauch lange genug halten zu können, um die brennenden Ziegel zu löschen. Rauch stieg auf, und mit ganzer Kraft widerstand das Mädchen dem Druck von hinten.
Hilde war die jüngste Feuerwehrfrau von Lübeck. Sie war vierzehn Jahre alt, und als beste Turnerin ihrer Altersgruppe war sie die Einzige, der es gelang, mit dem noch schlaffen Löschschlauch in der Hand über die Dächer zu klettern und von weit oben die Instruktionen ihrer Brandschutzleiterin auszuführen. Dieses Ostern im Jahr 1942 markierte ungefähr die Zeit, in der die Lübecker Feuerwehr ausschließlich aus Frauen bestand. Dass Hilde vor Kurzem dazugestoßen war, hatte mit ihrer persönlichen Verfassung und einer Mischung aus Abenteuerlust und purer Verzweiflung zu tun.
Hildes Vater war im letzten Jahr gestorben, und ihre Brüder waren im Krieg. Sie und ihre Mutter blieben allein zurück in Lübeck, und jeden Abend mussten sie, wenn der Bombenalarm ausgelöst wurde, in den Bunker rennen.
Hilde war bekannt für ihr ungestümes Naturell. Sie konnte nie lange sitzen, war leicht aufbrausend und hatte einen enormen Bewegungsdrang, den sie mit Sport einigermaßen in den Griff bekam. Regelmäßig siegte sie in Turnwettbewerben und war der Star ihrer Handballmannschaft, die trotz des Krieges, der seit fast drei Jahren tobte, noch immer täglich trainierte. Eine Nacht lang mit wildfremden Menschen im Luftschutzkeller zu verharren und dort zu warten, bis die Angriffe vorüber waren, das war der reine Schrecken für das quirlige Mädchen.
Es war nicht auszuhalten: Die Stadt wurde innerhalb kurzer Zeit stark zerstört. Wir hatten jede Nacht Fliegerangriffe von den Engländern, die sich dafür rächten, dass wir Deutschen im Krieg die Industriestadt Coventry in Schutt und Asche gelegt hatten. Das ist der Ort, wo Rolls-Royce die Triebwerke für Flugzeuge herstellte. Also, ab 1942 waren wir in Lübeck ein bevorzugtes Ziel, weil die Stadt so leicht erreichbar war, wir lagen an der Küste und hatten eine Menge Einwohner. Lübeck war aus der Luft leicht erkennbar und wurde als erste Stadt bombardiert. In manchen Nächten warfen sie fünf Stunden lang Brandbomben, alles stand in Flammen, und ich sollte in den Bunker, diesen schrecklichen Bunker, die Enge, das habe ich nicht mehr ertragen können. Das war die Zeit, in der ich zum ersten Mal eine Nervosität verspürte, ein ganz schlimmes, inneres Getriebensein. Ich war nahe dran, in diesen stickigen Kellern Asthma zu bekommen, und dann habe ich mich entschieden, mich zur Feuerwehr zu melden. Der Brandschutz, wie das damals hieß, hatte ein großes Problem: Es waren komplett die Männer ausgegangen, denn die waren inzwischen alle im Krieg. Also waren wir ein Frauenlöschzug, und als ich dazustieß - übrigens gegen den Willen meiner Mutter -, war ich die Jüngste dort. Sie nahmen mich mit Kusshand, denn ich war eine gute Turnerin und kannte keine Angst vor der Höhe.
Hilde hat damals gelernt, in Sekundenschnelle aufzuspringen. Sobald sie