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Das Christentum befand sich im 19. Jahrhundert im Umbruch. In einer globaler werdenden Umwelt taten sich neue Handlungsspielräume und Herausforderungen auf, etwa durch die Erkenntnis, dass es andere Weltreligionen - und nicht nur zu missionierende Heiden - gab. Während bis heute in der Katholizismus- und Protestantismusforschung der methodologische Nationalismus dominiert, fragt dieser Band, ob transnationale und globalgeschichtliche Perspektiven neue Erklärungen für den fundamentalen Wandel des Christentums seit dem 19. Jahrhundert bieten können.
Das Christentum befand sich im 19. Jahrhundert im Umbruch. In einer zunehmend globaler werdenden Umwelt sah es sich durch den Imperialismus herausgefordert, aber auch durch die aufkommende Erkenntnis, dass es andere Weltreligionen und nicht nur zu missionierende Heiden gab. In der Katholizismus- und Protestantismusforschung dominiert bis heute dennoch der methodologische Nationalismus. Dieser Band fragt erstmals, ob transnationale und globalgeschichtliche Perspektiven neue Erklärungen für den fundamentalen Wandel des Christentums seit dem 19. Jahrhundert bieten können. Außerdem diskutiert er die Geschichte der Globalisierung selbst: Hat sich das Christentum globalisiert? Wie haben Christen die damaligen grenzüberschreitenden Veränderungen wahrgenommen, wie sind sie mit ihnen umgegangen?
»[] die Globalgeschichte des Christentums [befindet sich], wie Blaschke nachdrücklich betont, erst am Beginn [des] Forschungsprozesses. Dafür bietet der Band eine hervorragende Ausgangsbasis.« Martin Lutz, Neue Politische Literatur (66), 111113, 05.01.2021
Autorentext
Olaf Blaschke ist Professor für Neuere und Neueste Geschichte unter besonderer Berücksichtigung der Geschichte des 19. Jahrhunderts an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster. Francisco Javier Ramón Solans ist wissenschaftlicher Mitarbeiter (Juan de la Cierva-Incorporación) am Departamento de Historia Moderna y Contemporánea der Universität Zaragoza.
Leseprobe
Einleitung: Katholizismus- und Protestantismusforschung vor der Herausforderung der Globalgeschichte Olaf Blaschke Die sogenannte Globalisierung gibt es nicht erst seit gestern, sondern seit bald 200 Jahren. Gesprochen freilich wird über »Globalisierung« vermehrt erst seit den 1990er Jahren. Vielleicht deshalb sind viele ihrer Kommentatoren, Anhänger und Gegner davon überzeugt, dass dieses undurchsichtige Phänomen erst in den letzten Jahrzehnten über uns kam, ob mit guten oder schlechten Auswirkungen. Und noch etwas anderes scheint neu zu sein: die gegenwärtigen Umwälzungen im Feld der Religion. Auch die Bewertung dieser rapiden Veränderung bleibt zweigeteilt. Welche Richtung schlägt dieser Wandel ein? Manche finden, die vermeintlich hergebrachte, seit Jahrhunderten befolgte Religiosität schmelze vor unseren Augen unter der Sonne der Moderne rasch dahin, andere meinen, in jüngster Zeit gebe es eine Wiederkehr der Religion oder deren zunehmende Pluralisierung. Wie auch immer die Bewertung ausfällt in jedem Fall scheinen wir das Privileg der direkten Zeitzeugenschaft der Globalisierung und des religiösen Wandels zu haben. Gerne werden die beiden Neuerungen auch miteinander kombiniert und in ihrem kausalen Wechselverhältnis zueinander gesehen. Die Globalisierung berühre auch die Weltreligionen, die »in den letzten Jahrzehnten in einem bisher nie gegebenen Maß einander näher gerückt« seien. Die aktuell erfahrene Globalisierung dient dazu, den religiösen Wandel zu erklären. Typisch sind dann solche Sätze: »Eine Welle religiöser Gewalt verunsichert die Welt« seit dem 11. September 2001. Der Religionswissenschaftler Hans G. Kippenberg »macht deutlich, dass die Globalisierung eine neue unfriedliche Epoche der Religionsgeschichte einläutet«. Warum hat »die Globalisierung« aber fast 200 Jahre mit dem Einläuten dieser Neuerung gewartet? Oder solche Sätze: »In den vergangenen Jahrzehnten erlebte Religion, insbesondere das Christentum, eine Revitalisierung, weil die Globalisierung durchlässige transnationale Netzwerke schuf, die halfen, religiöse Botschaften vom lokalen ins globale Publikum zu transportieren« Genau dies aber ist doch schon im 19. Jahrhundert möglich gewesen und geschehen. Soll Globalisierung damals keine Wirkung gezeigt haben? Anscheinend leben wir erst jetzt in einer Zeit massiver globaler und religiöser Umwälzungen. Oder leben wir eher in Zeiten sinkenden Geschichtsbewusstseins? Beide Gegenwartsdiagnosen jedenfalls und ihre Kombination, wenn Globalisierung als schlichtes Explanans für das Explanandum Religion herhalten muss, argumentieren aus dem jeweiligen eigenen begrenzten Erfahrungsraum heraus. Beide täuschen in ihrer Kurzsichtigkeit darüber hinweg, wie sehr schon das 19. Jahrhundert von der beschleunigten Globalisierung geprägt und wie radikal das religiöse Feld schon damals umgepflügt wurde. Um sich diesem Thema zu stellen, erste Einsichten zusammenzutragen und sie zu diskutieren, fand vom 7. bis 9. Oktober 2016 die Tagung »Weltreligion im Umbruch. Transnationale Perspektiven auf das Christentum in der Globalisierung des 19. Jahrhunderts« an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Rahmen des Exzellenzclusters »Religion und Politik« statt ein internationaler, aber auch ein interdisziplinärer Kreis von Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus der Geschichtswissenschaft, Soziologie, Religionswissenschaft und Theologie. »Weltreligion im Umbruch«: Bei Kundigen dürfte dieser Titel Erinnerungen auslösen. Er ist eine Anspielung auf Thomas Nipperdeys Buch »Religion im Umbruch«. Es löste 1988 große Wirkung aus und gilt als In-dikator für den »religious turn« in der deutschsprachigen Geschichtswis-senschaft. Nipperdey behandelte den Katholizismus, den Protestantismus und die »Unkirchlichen« in Deutschland, indes nicht die Juden. Das Buch hat eine ganze Generation von Katholizismus- und Protestantismusforschern mitgeprägt. Der Titel »Weltreligion im Umbruch« versteht sich als eine Art Verbeugung vor Nipperdeys Pionierleistung. Heute, drei Jahr-zehnte später, soll jedoch das Ziel gesetzt werden, für die Frage der Neu-konfiguration des Christentums den nationalgeschichtlichen Rahmen zu erweitern, in dem Nipperdey sich noch bewegte. Der internationale Hori-zont hat sich vergrößert. Es sollen transnationale und globalgeschichtliche Fragen an das katholische und evangelische (nicht jedoch orthodoxe, kop-tische etc.) Christentum angelegt werden. Auch der Untertitel kann ausbuchstabiert werden. Es sollen transnationale, aber auch globalgeschichtliche Perspektiven auf Katholizismus und Protestantismus in der ersten Globalisierung seit dem frühen 19. Jahrhundert geworfen werden. Beide Konfessionen werden als Teil ein und derselben Weltreligion verstanden, anders als es im Überschwang des Lutherjahres 2017 »zum 500-jährigen Bestehen einer Weltreligion [!]« (des Protestantismus) schon zu hören war. Hier ist nicht zu diskutieren, was eine Weltreligion von einer Landesreligion unterscheidet oder welche globalen Perspektiven sich für den Buddhismus, die islamische Umma und andere Weltreligionen, gar Religion allgemein ergeben könnten. Es geht allein um das Christentum, das sich im 19. Jahrhundert zunehmend als »Weltreligion« zu verstehen begann, befreit von nationalstaatlichen Regalien. Damit kreist das Projekt um zwei Kernfragen. Erstens: Was bringt die Globalgeschichte für das Thema Religion? Warum sollte man diesen neuen Zugang nutzen? Die zweite Frage legt das Augenmerk auf ein anderes Thema, nämlich auf Globalisierungsprozesse. War das Christentum Akteur oder Leidtragender der Globalisierung, Gewinner oder Verlierer? Wie ging es mit der Zumutung der Globalisierung um? Mit diesen zwei Teilfragen, nach denen das Buch strukturiert ist, stellt sich die Herausforderung, die Globalgeschichte in Teil I und die Globalisierungsgeschichte in Teil II nicht allzu sehr miteinander zu vermengen. In der Praxis geraten beide Fragen oft durcheinander, zumal Globalgeschichte in den 19…