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Staatlichkeit im Wandel - Sonderforschungsbereich der Universität Bremen
Die Finanzkrise hat das Verhältnis zwischen Nationalstaat und internationalen Institutionen erneut in den Vordergrund gerückt, der Staat soll die Probleme der international kaum regulierten Wirtschaft entschärfen. Dabei stellt sich einmal mehr die Frage: Wie viel politische Verantwortung können EU und global agierende Institutionen übernehmen? Lassen sich die wesentlichen Errungenschaften moderner Staatlichkeit demokratische Legitimation politischer Herrschaft und rechtliche Verfassung auch jenseits des Nationalstaats sichern? Die Beiträger vertreten konträre Meinungen und zeigen die Chancen, aber auch die Schwachstellen von Demokratie, Recht und Verfassung auf globaler Ebene auf.
Vorwort
Staatlichkeit im Wandel Sonderforschungsbereich der Universität Bremen
Autorentext
Nicole Deitelhoff ist Professorin für Internationale Beziehungen und Theorien globaler Ordnungspolitik an der Universität Frankfurt. Jens Steffek ist University Lecturer für Politikwissenschaft an der Jacobs University Bremen.
Klappentext
Die Finanzkrise hat das Verhältnis zwischen Nationalstaat und internationalen Institutionen erneut in den Vordergrund gerückt, der Staat soll die Probleme der international kaum regulierten Wirtschaft entschärfen. Dabei stellt sich einmal mehr die Frage: Wie viel politische Verantwortung können EU und global agierende Institutionen übernehmen? Lassen sich die wesentlichen Errungenschaften moderner Staatlichkeit - demokratische Legitimation politischer Herrschaft und rechtliche Verfassung - auch jenseits des Nationalstaats sichern? Die Beiträger vertreten konträre Meinungen und zeigen die Chancen, aber auch die Schwachstellen von Demokratie, Recht und Verfassung auf globaler Ebene auf.
Leseprobe
Einleitung: Staatlichkeit ohne Staat? Nicole Deitelhoff und Jens Steffek Dem Staat zu entkommen ist nicht leicht. Wer ihn auf Reisen hinter sich lassen will, muss sich auf die hohe See begeben, in die Antarktis oder in den Weltraum. Den Rest beherrscht der Staat, usque ad coelum, usque ad inferos. Auch begrifflich und konzeptionell gibt es kaum ein Entrinnen. In der Rechtswissenschaft, der Politikwissenschaft und der politischen Philosophie wurde der Staat lange Zeit völlig unhinterfragt vorausgesetzt als Rahmen, in dem sich normative Analyse zu bewegen hat. Rechtstheorie meinte üblicherweise Recht im Staat, Demokratietheorie die Selbstregierung der Bürger im Staat, und Theorien der Gerechtigkeit beschäftigten sich mit dem guten Leben im Staat. Der Globalisierungsschub der vergangenen Jahrzehnte hat den Staat je-doch in vielen Dimensionen herausgefordert und fundamental verändert. Entscheidungskompetenzen sind abgewandert zu internationalen Organisationen und zur Europäischen Union, internationale Gerichtshöfe und Schiedsinstanzen fällen rechtsverbindliche Urteile, und transnationale Wirtschaftsunternehmen entziehen sich immer wieder dem Zugriff nationalstaatlicher Rechtsordnungen. Insgesamt lässt sich konstatieren, dass international gesetzte Normen und Regeln immer tiefer in die nach wie vor national verfassten Gesellschaften hineinregieren, während sich gleichzeitig die Subjekte des Regierens und des Rechts zunehmend grenzüberschreitend bewegen. Zusammengenommen scheinen diese empirischen Entwicklungen eine Erosion nationalstaatlicher Befugnisse und Möglichkeiten der Rechts(durch)setzung zu bedingen und die Grundlagen nationaler demokratischer Selbstbestimmung effektiv auszuhebeln. Die Diagnose eines Bedeutungsverlusts des Nationalstaates oder gar seines nahenden Endes, wie sie seit den 1970er Jahren immer wieder aufkam (Crozier u.a. 1975; Hennis u.a. 1977; Strange 1996), ist nicht unumstritten (Müller, in diesem Band; Krasner 1999). In wichtigen Bereichen behält der Staat die Zügel nämlich durchaus in der Hand. Geht es etwa um das Gewaltmonopol und die Eintreibung von Steuergeldern, so sind die meisten Staaten nach wie vor kaum bereit, entsprechende Kompetenzen zu internationalisieren oder zu privatisieren. Auch die Letztverantwortung für alles, was auf dem staatlichen Territorium geschieht, hat der Staat nicht aufgegeben, und ein Großteil der Bürger erwartet nach wie vor von ihm, dass er ihnen im Krisenfall zur Seite steht, wie uns die Finanzkrise nachhaltig vor Augen führt. Auch wenn der Staat im Alltagsgeschäft keine Allzuständigkeit mehr behaupten kann, so wird er doch noch immer in die Pflicht genommen. Der Staat verschwindet also keineswegs, er verändert lediglich seine Gestalt (Genschel/Zangl 2008). Dennoch hat sich Unwohlsein breitgemacht angesichts der manifesten und nicht zu leugnenden Einbußen an staatlicher Gestaltungsmacht und der zunehmenden Sichtbarkeit internationaler Institutionen, die sich selbstbewusst in die ehemals nationalen Angelegenheiten einmischen. Da diese Institutionen weder staatsartig organisiert sind, noch staatsartig agieren, haben sich zur Beschreibung ihres Handelns sprachliche Hilfskonstruktionen wie "Governance" eingebürgert, die schon auf der begrifflichen Ebene den Zusammenhang zwischen der staatlichen Organisationsform und dem Regierungshandeln auflösen. "Governance without Government" heißt seit den frühen neunziger Jahren der Slogan, auf Deutsch spricht man analog oft vom Regieren ohne Regierung. Die Zeiten, in denen sich globales und europäisches Regieren auf eine stillschweigende Duldung durch die Bevölkerung stützen konnte, sind jedoch spätestens seit der Ratifizierungskrise des Maastrichter Vertrags und den teilweise gewaltsamen Protesten am Rande internationaler Konferenzen Geschichte. Forderungen nach einer Demokratisierung und Verrechtlichung, wenn nicht Konstitutionalisierung der internationalen Regierens prägen seither zunehmend die politische und akademische Debatte. Wo Regieren ist, soll auch Demokratie sein, und verlässliches Recht. Mit anderen Worten: ein Stück Staatlichkeit tut Not. "Staatlichkeit" bezeichnet hier nicht die Essenz des Staates, das also, was den Staat ausmacht und von allen anderen politischen und sozialen Gebilden unterscheidet. Bei Max Weber etwa wäre dies die "effektive Gebietsherrschaft", gekennzeichnet durch das Gewaltmonopol (Weber 1976: 29). Eine essentialistische Definition von Staatlichkeit verstellt jedoch den Blick auf den permanenten Gestaltwandel jener Gebilde, die gewöhnlich Staat genannt werden. Sie muss auch kapitulieren vor der Tatsache, dass es Dutzende von territorialen politischen Einheiten gibt, die stets als "Staat" bezeichnet und völkerrechtlich auch so behandelt werden, obwohl sie im Innern überhaupt keine effektive Gebietsherrschaft aufweisen (Jackson 1990). Wenn eine Monopolstellung das entscheidende Kennzeichen von Staatlichkeit wäre, dann könnte es eine Fragmentierung, Erosion, oder Zerfaserung von Staatlichkeit gar nicht geben, ebenso wenig "Räume begrenzter Staatlichkeit" (Risse/Lehmkuhl 2007). Ein Monopol lässt sich schließlich nicht teilen. Wir verorten uns deshalb in einer anderen Tradition der Begriffsverwendung und verstehen Staatlichkeit als ein Ensemble von Funktionen, die der moderne Territorialstaat des 20. Jahrhunderts typischerweise gebündelt bereitgestellt hat, die sich aber auch unabhängig von ihrer territorialen Bündelung denken lassen (siehe dazu Nullmeier in diesem Band). Leibfried und Zürn (2006) haben vorgeschlagen, Staatlichkeit in vier zentrale Aufgabenfelder aufzuteilen, welche der moderne Territorialstaat westlich-liberaler Prägung gleichzeitig bestellt hat: die Monopolisierung von Gewaltmitteln und Erschließung finanzieller Ressourcen; die Etablierung einer Rechtsordnung und die Herstellung von Rechtssicherheit; die Bereitstellung von Verfahren, die eine demokratisch legitimierte Form der Regierung ermöglichen; und die Intervention in die wirtschaftliche und soziale Ausgestaltung der Gesellschaft im Sinne des marke…
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