

Beschreibung
Nicht nur sinkende Wahlbeteiligungen, auch die wachsende Zahl von Protestwählern belegt: Die Bürger distanzieren sich immer mehr von der Politik. Könnte diese Entwicklung mit Modellen direkter Demokratie gestoppt werden? Volker Mittendorf vergleicht Kommunalwa...Nicht nur sinkende Wahlbeteiligungen, auch die wachsende Zahl von Protestwählern belegt: Die Bürger distanzieren sich immer mehr von der Politik. Könnte diese Entwicklung mit Modellen direkter Demokratie gestoppt werden? Volker Mittendorf vergleicht Kommunalwahlen und Bürgerentscheide in Deutschland und der Schweiz. Die jeweiligen Prozesse öffentlicher Meinungsbildung zeigen, dass direkte Demokratie zu größerer Transparenz führt und gleichzeitig zu einer demokratischeren Kommunikation mit den Bürgern beiträgt.
Vorwort
Studien zur Demokratieforschung
Autorentext
Volker Mittendorf ist Akademischer Rat im Fachgebiet Politikwissenschaft an der Universität Wuppertal.
Klappentext
Nicht nur sinkende Wahlbeteiligungen, auch die wachsende Zahl von Protestwählern belegen: Die Bürger distanzieren sich immer mehr von der Politik. Könnte diese Entwicklung mit Modellen direkter Demokratie gestoppt werden? Volker Mittendorf vergleicht Kommunalwahlen und Bürgerentscheide in Deutschland und der Schweiz. Die jeweiligen Prozesse öffentlicher Meinungsbildung zeigen, dass direkte Demokratie zu größerer Transparenz führt und gleichzeitig zu einer demokratischeren Kommunikation mit den Bürgern beiträgt.
Leseprobe
1 Einleitung Die Frage, wer in welchem Umfang welche Entscheidungen über wen treffen dürfen soll, ist die Grundfrage demokratischer Legitimität. Spätestens mit der Aufklärung ist der Begriff der Volkssouveränität zentral geworden für die Bestimmung der Legitimität allgemein verbindlicher Entscheidungen. Das Ziel der Aufklärung, einen "Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" (Kant 1914a, S. S. 33) zu finden, mithin also die Annahme, jeder sei in der Lage mündig und nach selbst gesetzten Zielen autonom zu handeln, schließt auch ein, dass niemand a priori - sei es aus religiösen oder gewohnheitsrechtlichen Begründungen - mehr Rechte besitzt, die Handlungsfreiheit anderer einzuschränken und Zwang über sie auszuüben, als irgend ein anderer. Um zu verhindern, dass es zu einer solchen übergebührlichen Einschränkung der individuellen Handlungsfreiheit kommt, besteht gleichzeitig die Notwendigkeit, die Handlungsfreiheit jedes Einzelnen in gleichem Umfang zu sichern, wodurch mitunter die Notwendigkeit besteht, die Handlungsmöglichkeiten anderer zu beschränken. Das bedeutet wiederum, dass auf Zwangsmaßnahmen gegebenenfalls nicht verzichtet werden kann, um Handlungsfreiheit zu sichern. Eine Regulierung des menschlichen Miteinander ist also notwendig. Die Sicherung der Handlungsfreiheit durch Begrenzung eben dieser Willkürfreiheit erfordert Regeln, die berücksichtigen müssen, dass jeder gleich frei, das heißt in gleicher Weise in seiner Freiheit begrenzt ist. Mehr noch: die Entscheidung, inwiefern diese Gleichheit besteht, sollte durch jeden Betroffenen selbst vorgenommen werden (können), mithin durch alle. Legitimes Regieren, so die Annahme, bedarf des "vereinigten Willen" (Kant 1914b, S. 313), der souveränen Entscheidungsfähigkeit des Volkes, jedenfalls soweit dadurch vernünftige Regeln zu Stande kommen. Die praktische Umsetzung dieses Anspruchs auf Volkssouveränität - von der autonomen Entscheidung des Einzelnen zur autonomen Entscheidung des Volkes - ist bekanntlich nicht trivial. Zentral ist dabei, dass es der vernünftige und verallgemeinerte "vereinigte Wille" und keine irrationale Willkür ist, die in der Entscheidung zum Ausdruck kommt. Dass Herrschaft rechtsförmig ausgeübt werden muss und dass Wahlen als ein Verfahren zur legitimen Ausübung von Macht nahezu unverzichtbar sind, kann zumindest in den westlichen Demokratien als unumstritten gelten; und selbst Diktaturen kommen heute nicht ohne den Bezug auf das Volk als Adressat des Regierungshandelns und auf die Fiktion von Wahlen aus - selbst dann, wenn auf Alternativen dort verzichtet wird, um das angestrebte Ergebnis zu sichern. Die Existenz von Alternativen und das Wissen um deren Sinn erscheinen daher essentiell; eine demokratische Öffentlichkeit, mittels derer die Informationsgrundlage für eine aufgeklärte Auswahl der Repräsentanten geschaffen wird, scheint also gleichfalls notwendig für souveräne Entscheidungen. Während Wahlen und demokratische Öffentlichkeit in Form gesicherter Meinungsfreiheit als konstituierende Elemente von Demokratie wohl kaum mehr der Begründung bedürfen, verhält es sich mit Volksabstimmungen anders: Das Thema direkte Demokratie gibt Anlass zu intensiven politischen und wissenschaftlichen Diskussionen und ist demokratietheoretisch umstritten. Dabei unterscheiden sich Wahl und Abstimmung vor allem im Sinn der Entscheidung: Während bei freien Wahlen jeder und jede einzelne Wahlberechtigte die Möglichkeit hat, unter personellen Alternativen auszuwählen, hat bei freien (Volks-)Abstimmungen jeder und jede die Möglichkeit, unter verschiedenen verbindlichen Sach-Alternativen auszuwählen. Beide sind jedoch Entscheidungsakte aller Bürgerinnen und Bürger, beide stellen ein Verfahren zur Bündelung der Präferenzen der Bürger zu einer kollektiven Entscheidung dar, beide können unter nahezu identischen organisatorischen Bedingungen (zum Beispiel Wahllokale, Briefwahl, elektronische Wahl) durchgeführt werden. Stellt man sich einen Beobachter vor, der einer Sprache nicht mächtig ist, so lässt sich vermuten, dass dieser - sofern er nicht durch Bilder vom Inhalt der Entscheidung unterrichtet ist - bei unbefangener Beobachtung eines Wahl- bzw. Abstimmungslokals nicht ohne weiteres entscheiden könnte, ob er einer Wahl oder einer Abstimmung beiwohnt. Der Unterschied im Bezug auf die Qualität des Entscheidungsgegenstands ist jedoch so entscheidend, dass die Meinungen über die direkte Demokratie in der demokratiepolitischen Diskussion zwischen vehementer Ablehnung und Befürwortung variieren. Die Diskussion über Sinn und Funktion direktdemokratischer Verfahren ist in der Bundesrepublik wie in Europa in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder geführt worden (vergleiche stellvertretend Heußner und Jung 1999; Rüther 1996; Heußner und Jung 2008). Dabei stieg die Popularität "plebiszitärer" Verfahren in allen Umfragen zu potentiellen Reformen des politischen Systems zwischen den 70er und den 90er Jahren stark an (Noelle-Neumann und Köcher 1993, S. 558-567; Niedermayer 2005, S. 86). In den Verfassungsreformen in der Folge der Barschel-Affäre und im Zuge der deutschen Einheit wurden in allen Landes- und Kommunalverfassungen direktdemokratische Verfahren neu einge führt, sofern sie vorher nicht existierten (vergleiche u. a. Jung 1997). Auch auf der Ebene des Grundgesetzes erhielt der Reformvorschlag zur Einführung von Volksbegehren und Volksentscheid eine einfache Mehrheit: in der Gemeinsamen Verfassungskommission zur deutschen Einheit (vergleiche zum Beispiel Klages und Paulus 1996) ebenso wie bei der Abstimmung über einen Verfassungsänderungsantrag der Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen im April 2002 (Drs. 14/ 8503, vergleiche auch Schiller 2002). In den Staaten des Europarates kam es seit 1972 zu 53 (Stand: Ende 2009, vergleiche u. a. Kaufmann, Lamassoure und Meyer 2004; C2D o. J.) Referenden und Plebisziten zur europäischen Integration und in Deutschland wurden ebenfalls Forderungen laut, die europäische Integration bedürfe direktdemokratischer Fundierung (so etwa im Europawahlkampf 2009 die Forderungen der CSU zu deutschen EU-Referenden sowie Forderungen von Bündnis 90/Die Grünen zu einem europäweiten Referendum, näheres zu Europareferenden vergleiche Auer 2004). Ebenso wird in der wissenschaftlichen Diskussion das Thema direkte Demokratie zunehmend breiter diskutiert (einen guten Überblick zum Thema gibt Jung 2002, S. 86 sowie IRI-Europe 2004). In der jüngsten Zeit sind einige richtungweisende Arbeiten zum Thema direkte Demokratie erschienen, darunter finden sich einige, die einen systematischen Überblick liefern, aber auch solche, die wichtige Teilaspekte behandeln (näheres daz…
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