

Beschreibung
Die direkte Sonnenenergienutzung hat seit den 1970er-Jahren einen beachtlichen technischen Fortschritt und große Zukunftshoffnungen hervorgebracht. Doch trotz des hohen Mobilisierungspotenzials in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft und der daraus resultieren...Die direkte Sonnenenergienutzung hat seit den 1970er-Jahren einen beachtlichen technischen Fortschritt und große Zukunftshoffnungen hervorgebracht. Doch trotz des hohen Mobilisierungspotenzials in Wissenschaft, Politik und Wirtschaft und der daraus resultierenden großzügigen Förderung blieb die Photovoltaik bis Mitte des letzten Jahrzehnts eine Zukunftstechnologie ohne Marktchancen. Timur Ergen zeigt, dass diese Entwicklung auf Probleme sektoraler Ordnung zurückzuführen ist: In Industrie und Politik kam es wiederkehrend zu Umsetzungsproblemen und Konflikten, die verhinderten, dass die Solartechnik effektiv weiterentwickelt und kontinuierlich unterstützt wurde.
Autorentext
Timur Ergen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am MPI für Gesellschaftsforschung in Köln.
Zusammenfassung
"Es wurde höchste Zeit, die spannende Geschichte der Photovoltaik in einem Buch zusammenzufassen." (Sonne Wind & Wärme)
Leseprobe
Vorwort
Ursprünglich sollte diese Studie herausarbeiten, wie sich die Solarzelle um die Jahrtausendwende ausgerechnet in Deutschland durchsetzen konnte. Für außergewöhnlich viel radikale Innovation, grundlegende industrielle Transformation, politisch-ökonomische Durchlässigkeit und, das ist nun unstrittig, Sonnenschein ist die Bundesrepublik ja nicht unbedingt bekannt. Je mehr ich mich allerdings mit der Geschichte der Photovoltaik beschäftigte, desto mehr gelangte ich zu der Überzeugung, dass ihre sozialwissenschaftlich interessanten Aspekte nicht so sehr in ihrem plötzlichen Durchbruch, sondern vielmehr in den langfristigen Verlaufsmustern ihrer Entwicklung liegen. Geht man in ihr weit genug zurück, lassen sich aus der Geschichte der Photovoltaik viele allgemeine Lehren ziehen. Sie erlaubt Erkenntnisse zu den Chancen und Grenzen staatlicher Industrieregelung, zur Möglichkeit kontrollierten technologischen Wandels, zur Dynamik industrieller Organisation und letztlich zur Fähigkeit demokratisch-kapitalistischer Gesellschaften, auf wichtige Probleme unserer Zeit konzertiert zu reagieren.
Selektive historische Betrachtungen mit konzeptuellen Überlegungen zu vermischen ist riskant. Dem historisch informierten Experten könnte mein Buch unvollständig, ja unausgewogen erscheinen, dem Sozialwissenschaftler hingegen übermäßig deskriptiv und wenig streng. Historisch finden sich in ihm zahlreiche beabsichtigte und wahrscheinlich noch zahlreichere unbeabsichtigte blinde Flecken. Konzeptuell schöpft meine Studie aus der detaillierten Untersuchung eines einzelnen Falls über die Zeit - einen kontrollierten Vergleich oder gar ein formales Modell findet man in ihr nicht. Ich hoffe, dass es anders kommt und sich diese Vorgehensweise als Stärke, nicht als Schwäche meines Buchs erweisen wird. Der Historiografie der modernen Sonnenenergienutzung kann meine Untersuchung systematische konzeptuelle Denkanstöße vorschlagen. Dem systematischen Wissen zur sozioökonomischen Organisation soll sie bestimmte Typen von Sequenzen vorführen, die in strengen sozialwissenschaftlichen Modellen nicht vorkommen sollten.
Das vorliegende Buch basiert auf einer gekürzten und überarbeiteten Fassung meiner Anfang 2014 an der Universität zu Köln eingereichten Dissertation. Sie ist im Rahmen meines Promotionsstudiums an der International Max Planck Research School on the Social and Political Constitution of the Economy (IMPRS-SPCE) am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) in Köln entstanden. Ich kann mir kein intellektuell produktiveres und besser organisiertes Umfeld für eine Promotion vorstellen.
Ich danke zuallererst Jens Beckert, der meine Promotion auf die denkbar beste Weise betreut hat. Während sich meine Arbeit - auf für mich noch immer nicht ganz durchsichtigen Pfaden - von einer Kartellrechtsstudie zu einer Untersuchung der Photovoltaikindustrie entwickelt hat, hatte ich es seiner Unterstützung, seinen kritischen Anmerkungen und seinen Ideen zu verdanken, nicht ein Mal ernsthaft an dem Vorhaben gezweifelt zu haben. Wolfgang Streeck will ich insbesondere dafür danken, dass er mich - leider nur in Teilen erfolgreich - davor bewahrt hat, in der Faszination für meinen Einzelfall zu versinken. Bis in die Verteidigung meiner Dissertation hat er mir dabei geholfen, Transfers herzustellen und sie klar zu formulieren. Kathleen Thelen danke ich für eine äußerst lehrreiche Zeit am Massachusetts Institute for Technology. Wirklich Form angenommen hat meine Studie erst durch lehrreiche Gespräche, Kurse und Workshops in Cambridge. Sigrid Quack und Mark Ebers haben mir über die Jahre mehrmals großzügig bei der Gestaltung des Projekts und bei der Einordnung seiner Ergebnisse geholfen. Beim Verständnis der Entwicklung der Photovoltaik hatte ich die Unterstützung sehr großzügiger Interviewund Gesprächspartner.
Am MPIfG konnte ich über die letzten fünf Jahre mit großartigen Kolleginnen und Kollegen zusammenarbeiten. Besonders hervorheben will ich Elena Bogdanova, Arne Dressler, Lea Elsässer, Susanne Hilbring, Jürgen Lautwein, Ariane Leendertz, Ronen Mandelkern, Sascha Münnich, Inga Rademacher, Isabella Reichert, Christel Schommertz und André Vereta Nahoum sowie die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Forschungsgruppe Soziologie der Märkte, des IMPRS-SPCE-Kolloquiums und der Max Planck Summer Conference on Economy and Society 2013 in Florenz. Ich kann nicht genug betonen, wie viel meine Arbeit vom Austausch mit meinem Jahrgang in der IMPRS profitiert hat. Während der gesamten Zeit, von den ersten gemeinsamen Seminaren über abendliche Krisensitzungen bis hinein in die Schreibphase, haben mir Sarah Berens, Barbara Fulda, Lukas Haffert, Sebastian Kohl, Daniel Mertens und Gregor Zons sehr geholfen. Dafür danke ich ihnen herzlich. Thomas Pott hat das Manuskript mit beeindruckender Präzision und Geduld durchgesehen und verbessert - die sicher verbliebenen Unzulänglichkeiten habe ich zu verantworten. Widmen will ich das Buch meinen Eltern und meiner Frau Diana. Vermutlich ohne es bemerkt zu haben, hatten sie einen wesentlichen Anteil daran, dass es entstanden ist.
Köln, im September 2015 Timur Ergen
Kapitel 1
Entwicklungsprobleme einer fu?nfzigja?hrigen Zukunftsindustrie
Die direkte Nutzbarmachung der Sonnenenergie gehört zu den ältesten Tagträumenmoderner Industriegesellschaften. Je nach historischer Episode versprach sie die Unabhängigkeit von erschöpflichen Brennstoffen, die landwirtschaftliche Nutzbarmachung "des Südens", die Verminderung von Rohstoffimporten, die Lossagung von der Atomkraft, die Ausbremsung des anthropogenen Klimawandels, Millionen neuer Green-Collar-Arbeitsplätze oder gleich die Demokratisierung und Dezentralisierung fortgeschrittener kapitalistischer Gesellschaftsordnungen. Nur wenige Technologien haben über mehr als ein Jahrhundert derart viele gesellschaftliche Gruppen für sich begeistern können und sind dennoch nicht gesellschaftliche Wirklichkeit geworden. Joachim Radkau (2008: 467) vermutet, das habe viel damit zu tun, dass "von der Solarenergie unendlich viel mehr geredet" wurde, "als effektiv für sie geschah". Ganz falsch ist Radkaus Einschätzung nicht, vor allem mit Blick auf die Zeit vor den 1970er-Jahren. In Teilen erinnern die unnachgiebigen Beschwörungen der Potenziale der direkten Sonnenenergienutzung an eine beschwichtigende Erzählung, nach der kapitalistische Gesellschaften nicht untergehen, wenn der "letzte Zentner fossilen Brennstoffs verglüht ist" (Weber [1904/1905]1988: 203). Teilweise jedoch sind Radkaus Maßstäbe als Historiker der Kernenergie verzerrt. Für die Resilienz, Ausgabenfreudigkeit und Rückschlagsignoranz, die Regierungen weltweit in der politischen und energiewirtschaftlichen Durchsetzung der Kernenergienutzung zeigten, gibt es in der Geschichte der Technik äußerst wenige ebenbürtige Vergleichsfälle. Die Geschichte gescheiterter Versuche, der Sonnenenergienutzung zum Durchbruch zu verhelfen, ist beinahe so lang wie die des Diskurses über ihre Po…
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