

Beschreibung
Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, Bd. 17 Der hohe Anspruch einer "Verwissenschaftlichung der Politik" prägte die Bundesrepublik der sechziger Jahre. Besonders euphorisch bekannte sich die Wirtschaftspolitik zum großen Wurf: Eine Steuerung ...Wissenskultur und gesellschaftlicher Wandel, Bd. 17
Der hohe Anspruch einer "Verwissenschaftlichung der Politik" prägte die Bundesrepublik der sechziger Jahre. Besonders euphorisch bekannte sich die Wirtschaftspolitik zum großen Wurf: Eine Steuerung der Gesellschaft schien möglich, und Entscheidungen sollten durch wissenschaftliche Expertise sachlich vorbereitet werden.
Doch unter den Bedingungen des rasanten gesellschaftlichen Wandels der siebziger Jahre wurde dieser Anspruch der keynesianischen Globalsteuerung rasch in Frage gestellt. Steuerungsfehler, Strukturwandel und Stagflation ließen das Zutrauen in die "Verwissenschaftlichung" schwinden.
Tim Schanetzkys Studie fragt nach diesem Zusammenhang zwischen Politik, wissenschaftlicher Beratung und gesellschaftlichem Wandel: Wie nahm Wirtschaftspolitik gesellschaftliche Komplexität wahr? Wie gelang es ihr, unter den Bedingungen dieser Wahrnehmung Entscheidungssicherheit herzustellen? Und wie veränderte sich darüber die Geltung wissenschaftlicher Expertise?
Die Berater wandten sich im Laufe der siebziger Jahre monetaristischen und angebotsökonomischen Alternativen zu. Gleichzeitig ging das Vertrauen in eindeutige wissenschaftliche Handlungsanweisungen in einem Strudel aus Expertise und Gegenexpertise unter. Diese Ernüchterung ist der Ursprung einer bis in die Gegenwart durch und durch pragmatischen Wirtschaftspolitik.
Der hohe Anspruch einer "Verwissenschaftlichung der Politik" prägte die Bundesrepublik der sechziger Jahre. Besonders euphorisch bekannte sich die Wirtschaftspolitik zum großen Wurf: Eine Steuerung der Gesellschaft schien möglich, und Entscheidungen sollten durch wissenschaftliche Expertise sachlich vorbereitet werden. Doch unter den Bedingungen des rasanten gesellschaftlichen Wandels der siebziger Jahre wurde dieser Anspruch der keynesianischen Globalsteuerung rasch in Frage gestellt. Steuerungsfehler, Strukturwandel und Stagflation ließen das Zutrauen in die "Verwissenschaftlichung" schwinden. Tim Schanetzkys Studie fragt nach diesem Zusammenhang zwischen Politik, wissenschaftlicher Beratung und gesellschaftlichem Wandel: Wie nahm Wirtschaftspolitik gesellschaftliche Komplexität wahr? Wie gelang es ihr, unter den Bedingungen dieser Wahrnehmung Entscheidungssicherheit herzustellen? Und wie veränderte sich darüber die Geltung wissenschaftlicher Expertise? Die Berater wandten sich im Laufe der siebziger Jahre monetaristischen und angebotsökonomischen Alternativen zu. Gleichzeitig ging das Vertrauen in eindeutige wissenschaftliche Handlungsanweisungen in einem Strudel aus Expertise und Gegenexpertise unter. Diese Ernüchterung ist der Ursprung einer bis in die Gegenwart durch und durch pragmatischen Wirtschaftspolitik.
Autorentext
Tim Schanetzky, geb. 1973, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Neuere und Neueste Geschichte der Friedrich-Schiller-Universität Jena.
Leseprobe
IV. Zwischen zwei Krisen, zwischen zwei Konzepten (S. 161)
"In einer Zeit weltweit wachsender Probleme konzentrieren wir uns in Realismus und Nüchternheit auf das Wesentliche, auf das, was jetzt notwendig ist, und lassen anderes beiseite." Schon in den ersten Sätzen seiner Regierungserklärung vom 17. Mai 1974 machte der tags zuvor zum Bundeskanzler gewählte Helmut Schmidt deutlich, daß sich der politische Stil künftig grundlegend verändern würde. Unter dem Eindruck der ersten Ölkrise formulierte der neue Bundeskanzler ein Programm von "Kontinuität und Konzentration", dessen Kontrast zur Epoche der Planungs- und Reformeuphorie kaum deutlicher ausfallen konnte. Die wirtschaftlichen Möglichkeiten hatten die Spielräume der Politik verengt, und damit erblickte Schmidt nun "schärfer als zuvor die Notwendigkeit, der an den Staat gerichteten Leistungserwartung auch das notwendige Verantwortungsbewußtsein für die Leistungsfähigkeit des Staates wieder an die Seite zu stellen."
Im Frühjahr 1974, als die gesamtwirtschaftlichen Folgen der Ölkrise langsam sichtbar wurden, vollzog sich also ein grundlegenderWandel des politischen Klimas. Die großen Hoffnungen, welche sich mit dem Paradigma einer planvollen Politik verbunden hatten, wichen Ernüchterung und Desillusionierung. Zugleich wuchs das Bewußtsein für die "Grenzen des Wachstums", für die Endlichkeit der natürlichen Ressourcen, was die alljährlichen Zuwächse nun ihrer vermeintlichen Selbstverständlichkeit entkleidete. Der Stimmungswechsel spiegelte sich zuvorderst im Austausch des politischen Personals: Auf den "Visionär" Willy Brandt folgte Helmut Schmidt, der die Aura des nüchternen "Machers" systematisch kultiviert hatte. Straffe Führung des Kabinetts, ein Kanzler mit ausgeprägter wirtschaftspolitischer Kompetenz – all dies schien besser in die Zeit zu passen als die außen- oder gesellschaftspolitischen Interessen Brandts, und im neuen Kabinett war auch für politische Intellektuelle wie Klaus von Dohnanyi, Egon Bahr oder Horst Ehmke kein Platz mehr.
Daher muß das Krisenjahr 1974 als tiefgreifender Einschnitt betrachtet werden. Zwar stehen mit wirtschaftshistorischer Perspektive die Ölkrise am Ende des Jahres 1973 oder die tiefe Rezession des Jahres 1975 bei einer gesamtwirtschaftlich ausgerichteten Betrachtung mit guten Gründen in Konkurrenz zu dieser politikgeschichtlichen Zäsur. Auch am Ende dieses Untersuchungsabschnitts konkurrieren politische mit wirtschaftlichen Zäsuren, denn das Ende der sozialliberalen Ära legt einen Einschnitt im Jahr 1982 nahe, während die Auswirkungen des zweiten Ölpreisschocks von 1979 schon weit vor dem Regierungswechsel spürbar geworden waren. Freilich werden diese Zäsuren in erster Linie pragmatisch gesetzt, da sich der hier im Mittelpunkt des Interesses stehendeWandel vonWissensproduktion und wirtschaftspolitischer Semantik ohnehin langfristig vollzog. Darin unterscheidet sich der zweite Teil der Untersuchung vom ersten.War die Veränderung des wirtschaftspolitischen Handlungsmodells mit dem Amtsantritt der Großen Koalition Ende 1966 noch eindeutig identifizierbar, verband sich mit dem politischen Klimawechsel des Jahres 1974 zunächst kein ähnlich tiefer Einschnitt. Die Regierung bekannte sich weiter zur aktiven Wirtschaftspolitik der Globalsteuerung, behielt die Instrumente des "wissenschaftlichen Regierens" bei, und auch die Experten des Sachverständigenrates hatten mit der monetaristischen Wende ja nur den ersten Schritt ihres Abschieds vom Keynesianismus gemacht.
Dennoch: Während der Amtszeit der Regierun
Inhalt
I. Einleitung II. Ausgangspunkt und Rahmenbedingungen 1. Staat und Gesellschaft im "großen Boom" 2. Konturen sozioökonomischen Wandels III. Aufstieg und Fall der Globalsteuerung 1. Die Keynesianer als regierende Partei 1.1. Zur Institutionengeschichte der wirtschaftspolitischen Expertise 1.2. Anspruch und Wirklichkeit des "wissenschaftlichen Regierens" 2. Frühe Diskreditierung der Globalsteuerung 2.1. "Diskretionäre" Wirtschaftspolitik versus Regelmechanismen 2.2. Steuerungsprobleme 2.3. Die Stabilisierungskrise als Ausweg 3. Wandel der gesellschaftlichen Selbstbeschreibung 3.1. "Vergesellschaftung" der Wirtschaftspolitik 3.2. "Verwissenschaftlichung" der Politik als Faktor der Stabilität IV. Zwischen zwei Krisen, zwischen zwei Konzepten 1. Wirtschaftspolitik in Zeiten der Stagflation 1.1. Wissensproduktion in der Krise der Globalsteuerung 1.2. Politisierung der Expertise 1.3 Gebremste Euphorie, begrenzter Wissenstransfer 2. Neue Unübersichtlichkeit 2.1. Verlust der Verbindlichkeit 2.2. Verunsicherung über die Reichweite staatlichen Handelns V. Ausblick: Ankunft in der Postmoderne 1. Wirtschaftspolitik nach der "Wende" 2. Renaissance der Sozialen Marktwirtschaft? VI. Ergebnisse
