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Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung
Unterschiedliche parteipolitische Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat gelten gemeinhin als Hauptursache für die Reformschwäche deutscher Politik. Simone Burkhart hinterfragt diese Annahme und kommt zu dem überraschenden Ergebnis, dass nicht das sogenannte »Divided Government« zu massiven Verzögerungen oder zum Scheitern von Reformen führt, sondern vielmehr die politische Selbstbeschränkung der Bundesregierung. Die mit viel Euphorie verabschiedete Föderalismusreform wird daher am Befund der »blockierten« Politik wohl kaum etwas ändern können.
Vorwort
Schriften aus dem MPI für Gesellschaftsforschung
Autorentext
Dr. Simone Burkhart ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am MPI für Gesellschaftsforschung in Köln.
Leseprobe
Kapitel 1 Der Bundesrat als Blockadeinstrument In Zeiten einer wirtschaftlichen und politischen Krise sucht man gern nach Schuldigen. Als ein zuverlässiger Kandidat für die in den vergangenen Jahren diagnostizierte "deutsche Malaise" muss immer wieder der Föderalismus herhalten. Kritikpunkte am deutschen Föderalismus lassen sich schnell fi nden: Intransparente Entscheidungsstrukturen erschweren die Zuordnung politischer Verantwortung und leisten dem Glaubwürdigkeitsverlust der politischen Institutionen Vorschub. Steuergelder werden in einem System der Kleinstaaterei sinnlos verschwendet. Ein Dauerwahlkampf mit bis zu sechzehn Landtagswahlen innerhalb einer Legislaturperiode hält nicht nur das politische Spitzenpersonal von der Arbeit ab, sondern trägt zur allgemeinen politischen Paralyse bei. Doch die Hauptanklage zielt zweifellos auf die weitreichenden Rechte der Länder bei der Gesetzgebung. Diese führen, so der allgemeine Tenor, insbesondere bei divergierenden Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat zu Reformblockaden. Die Rolle des Bundesrates müsse deshalb mindestens "neu defi niert" werden, fordert beispielsweise Roman Herzog. Andere Stimmen sind nicht so zurückhaltend und fordern gar die Abschaffung "dieses Monstrum[s]". Die scharfe öffentliche Kritik an der Funktionsweise des deutschen Föderalismus und insbesondere an den Mitwirkungsrechten des Bundesrates bei der Gesetzgebung ist ein relativ neues Phänomen. In den ersten Jahren der Bundesrepublik führte der Bundesrat eher ein Schattendasein. Von den Medien und der Bevölkerung relativ unbeachtet, wurde das Gremium vor allem im eigenen Selbstverständnis als Ort sachlicher Entscheidungen zur Wahrung von Länderinteressen angesehen (Laufer 1970: 321). Daran änderten auch gelegentliche, auf Parteiebene geführte Auseinandersetzungen zwischen Konrad Adenauer und dem Bundesrat nichts (Neunreither 1959). Zu einer Zäsur kam es erst mit der Wahl Willy Brandts zum Bundeskanzler der sozial-liberalen Koalition am 21. Oktober 1969. Erstmalig richteten sich die Augen der Öffentlichkeit auf die parteipolitische Zusammensetzung der Län- 1 Roman Herzog im Interview mit der Berliner Morgenpost, 18. Februar 2002. 2 Wilhelm Hennis, zitiert nach Darnstädt (2003: 43). 14 K A P I T E L 1 derkammer, in der die oppositionelle CDU/CSU über eine knappe Stimmenmehrheit verfügte - ein Novum in der deutschen Politik. Dass die Opposition daran dachte, diese Mehrheit auch tatsächlich einzusetzen, machten zahlreiche Politiker schnell deutlich. So erklärte 1970 der damalige Vorsitzende der CDU, Kurt Georg Kiesinger: "Ich sehe im Bundesrat während dieser Legislaturperiode in der Tat ein wichtiges Instrument der Opposition. Wir haben eine solche Mehrheit. Und wir werden diese Mehrheit selbstverständlich benützen." Und tatsächlich sollte diese neue Konstellation sowohl der Regierung Brandt als auch der Regierung Schmidt erhebliche Schwierigkeiten bereiten. Was damals vielleicht noch als Ausnahmefall oder "historischer Unfall" angesehen werden konnte, hat sich in der Zwischenzeit schon fast zur Regel etabliert. Seit 1970 sind die Zeiträume, in denen eine Regierung über eine eigene Mehrheit im Bundesrat verfügt, selten geworden. Zumeist werden divergierende Mehrheitsverhältnisse sehr kritisch betrachtet. Parteipolitisch motivierte Blockade, Verzögerung von Gesetzen, ineffi ziente Kompromisslösungen, fehlende Handlungsfähigkeit der Regierung, institutionelle Konflikte, fehlende Zurechenbarkeit politischer Verantwortung - die Beschwerden glichen sich, egal ob eine SPD- oder eine CDU/CSU-geführte Regierung mit einem oppositionellen Bundesrat regieren musste. Kein Wunder, dass es immer wieder zu einer breit angelegten Debatte um die Reform der bundesstaatlichen Ordnung kam. Der Unmut war schließlich auch bei den politischen Akteuren so groß, dass ernsthafte Reformbemühungen eingeleitet wurden. Die Große Koalition verabschiedete 2006 mit der "Föderalismusreform I" eine umfassende Grundgesetzänderung, die auch ganz explizit die mit divergierenden Mehrheiten assoziierten Probleme verringern sollte. In der deutschen Politikwissenschaft wird zunehmend die Problematik unterschiedlicher parteipolitischer Mehrheitsverhältnisse unter der Bezeichnung "Divided Government" diskutiert (Czada 2002; Höreth 2007; Margedant 2003; Scharpf 1999, 2005b; Sturm 2001a; Wagschal/Grasl 2004). Dieser Begriff stammt aus der amerikanischen Politikwissenschaft und bezeichnet dort eine Situation, in der die Exekutive (die Präsidentschaft) und die Legislative (der Kongress, bestehend aus Senat und Repräsentantenhaus) von unterschiedlichen Parteien dominiert werden. Umgekehrt spricht man von "Unified Government", wenn die Präsidentschaft und die Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses in der Hand einer Partei liegen. Das Konzept von Divided Government lässt sich auf unterschiedliche Regierungsformen, so auch auf parlamentarische oder semipräsidentielle Regierungsformen übertragen (siehe Laver/Shepsle 1991; Elgie 2001a). Im deutschen Kontext wird in der Regel von Divided Government gesprochen, wenn in Bundestag und Bundesrat unterschiedliche parteipolitische Mehrheiten vorliegen (Sturm 2001: 167). Seit dem Aufruf von Sundquist (1988), Theorien zur Funktionsweise von Divided Government zu entwickeln, nimmt die Diskussion um die Ursachen und Folgen dieses Phänomens in der amerikanischen Politikwissenschaft einen breiten Raum ein. Ich beabsichtige, Erkenntnisse und Theorien, aber auch eine Reihe unbeantworteter Fragen der amerikanischen Debatte zu nutzen, um neue Impulse für die Analyse von Unified- und Divided-Government-Konstellationen in Deutschland zu gewinnen. Ich werde mich dabei an der oben geschilderten Konzeption von Divided und Unifi ed Government für das deutsche Regierungssystem orientieren. Gleichwohl wird sich dabei herausstellen, dass diese einfache dichotome Unterscheidung für das deutsche Regierungssystem (möglicherweise aber auch für andere politische Systeme) unzureichend ist. Die Rolle des Bundesrates und damit einhergehend auch Unified- und Divided-Government-Konstellationen werden in der deutschen Politikwissenschaft aus ganz unterschiedlichen Blickwinkeln analysiert (vgl. hierzu auch Kapitel 3.1). Inwieweit kann und soll dieses Buch Neues zur wissenschaftlichen Debatte beitragen? Ich möchte in diesem Zusammenhang drei wesentliche Punkte herausstellen. Erstens beleuchte ich erstmalig umfassend nicht nur die Folgen, sondern auch die Ursachen unterschiedlicher Mehrheitskonstellationen. Unter welchen Bedingungen Divided-Government-Konstellationen auftreten und ob ihre Häufung in den vergangenen Jahrzehnten zufällig oder systematisch bedingt ist, wurde bisher in der deutschen Debatte, wenn überhaupt, nur am Rande thematisiert. Im Gegensatz dazu wird in der amerikanischen Politikwissenschaft sehr viel häufiger und umfangreicher über die Ursachen von Divided Government diskutiert (für eine Zusammenfassung siehe Fiorina 2003, Kapitel 4 und 5). Denn, so die Argumentation, bevor man sich mit Konsequenzen von Divided Government befasst oder gar über eine grundlegende Reform zur …