

Beschreibung
Die Berner Regionaljournalistin Linda Stahl will in die Fussstapfen ihres Grossvaters, dem Bestsellerautor Maximilian Stahl, treten, indem sie ebenfalls als Buchautorin durchstartet. Für ihren ersten Kriminalroman recherchiert sie über die ehemalige Jugenderzi...Die Berner Regionaljournalistin Linda Stahl will in die Fussstapfen ihres Grossvaters, dem Bestsellerautor Maximilian Stahl, treten, indem sie ebenfalls als Buchautorin durchstartet. Für ihren ersten Kriminalroman recherchiert sie über die ehemalige Jugenderziehungsanstalt Aarburg, eine Festung im Kanton Aargau, in der einst auch ihr Opa einst eingesperrt wurde. Als Maximilian Stahl zu Beginn der Recherchen brutal ermordet wird, macht sich Linda auf die Suche nach dessen verschwundenen Manuskript «Blaufalter», dass ihr Opa als junger Mann, eingesperrt in der Festung, verfasst hatte und das ihm dann auf brutale Art und Weise vor seiner Entlassung in die Freiheit geraubt wurde. Ein Kriminalroman, der auf wahren Begebenheiten beruht.
Mit «Blaufalter» legt der Berner Krimiautor Sascha Michael Campi ein Werk vor, das unter die Haut geht. Inspiriert von wahren Begebenheiten, beleuchtet er die dunkle Geschichte der ehemaligen Jugenderziehungsanstalt Aarburg und verwebt sie mit einem fesselnden Kriminalfall, der die Leserinnen und Leser nicht loslässt. (Neue Oltner Zeitung)
Autorentext
Sascha Michael Campi, geboren 1986 in Aarau. Als Krimiautor und Kolumnist, spezialisiert auf die Themen Crime & Art, im In- und Ausland tätig. Mitglied des Berner Schriftstellerinnen und Schriftsteller Vereins sowie im Syndikat, dem Verein für deutschsprachige Kriminalliteratur. Sein Herz schlägt für Sport, Fitness, Literatur, seine zwei Katzen und die Stadt Bern.
Leseprobe
Prolog 1968 in der Festung Aarburg Sie haben mir gesagt, es würde nicht so schlimm sein, doch das können nur solche behaupten, die niemals hier eingesperrt wa-ren. Der Raum, in dem ich sitze, ist rund fünf auf fünf Meter klein. Die Zimmertür wurde vor einigen Minuten geschlossen, und das Einzige, was mir bleibt, sind einige Papiere und meine Stifte, mit denen ich schreiben darf. Man sagte mir beim Eintrittsgespräch, dass man mich formen werde. Mein Dasein würde danach einen Wert bekommen, indem ich nach meinem Aufenthalt hier ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft sein dürfe und bestimmt eine Stelle als Handwerker erhalten würde. Ob ich das möchte, das wurde ich nicht gefragt. Noch vor zwei Tagen war meine Welt unperfekt, doch lebens-wert. Meine Eltern leben am Rande von Aarburg in einem kleinen Bauernhaus. Sie haben stets versucht, mir so viel wie möglich beizubringen, damit ich eigenständig im Leben klar-komme. Das Lesen habe ich bereits früh erlernt, und seit ich die Buchstaben beherrsche, verschlinge ich jedes Buch, an das ich herankomme. Mein Leben besteht aus Armut, aber nicht aus Unglücklichsein. Wir sind eine gewöhnliche Arbeiterfamilie, die vieles hat, außer Geld. Meine vier Geschwister, die allesamt jünger sind, helfen beim Anbau von Gemüse ebenso mit wie ich. Trotz all unserer Bemühungen können wir die Ernte nicht steuern, und es gab bereits öfter unschöne Phasen, meist witterungsbedingt, in denen wir nichts zu essen hatten. Bereits unzählige Male habe ich mich daher auf den Dorfmarkt geschlichen, um einiges an Obst, Käse und Brot zu ergaunern. Meine Eltern habe ich stets angelogen, dass ich auf dem Markt einen Händler geholfen habe und für die Mithilfe mit den Ess-waren belohnt worden sei. Vorgestern geschah es dann. Ich begab mich einmal mehr auf den Markt im Städtchen. Der Stand ganz am Rande stach mir direkt ins Auge, denn er war neu. Der Händler war mir unbekannt, seine Handelsware allerdings nicht. Selten habe ich so viele Bücher auf einmal gesehen. Unglaublich, was für großartige Werke darunter waren, von denen ich noch nie gehört hatte, die ich jedoch alle lesen wollte. Der Buchhändler schielte mich bereits von der Seite an, als ich mich seinem Stand näherte. Als ein potenzieller Kunde an ihn herantrat, wich sein Blick von mir weg. Dass ein Junge ein Buch stiehlt, hielt er wohl für unwahrscheinlich, da die meisten meiner Generation kaum lesen können und ihre Diebestouren, wenn überhaupt, auf Essbares konzentrierten. Nicht, dass ich hätte stehlen wollen, nein, das war nicht meine Absicht. Mein Interesse galt allein den Büchern. Ich schaute mich auf den bücherbeladenen Tischen um. Dann stach es mir ins Auge: «Die Physiker» vom Schweizer Autor Friedrich Dürrenmatt. Die Geschichte über einen Kernphysiker, der eine gefährliche Formel entdeckt hat und dann ins Irrenhaus flüchtet, wo er den Irrsinn vorspielt. Ich habe meinen Vater davon sprechen hören. Das Buch wurde vor Kurzem in einer Zeitung hochgelobt. Dann der Schock: Das Buch kostete vier Franken! Unerschwinglich für mich. Der Händler war noch immer mit seinem Kunden ins Gespräch versunken, also ließ ich das Buch unauffällig in meinem Bündel verschwinden. Der Buchhändler bekam nichts davon mit, doch der Obsthändler von nebenan, den ich nicht beachtet hatte. Mit festem Griff hielt er mich an der Schulter fest, als ich davonlaufen wollte. Sofort informierte er den Buchhändler und anschließend den dazukommenden Dorfpolizisten. Als Dieb und Taugenichts wurde ich von allen dreien bezeichnet. Der Dorfpolizist brachte mich nach einer Standpauke nach Hause. Meine Eltern waren schockiert, als sie mich in Begleitung des Polizisten sahen. Am Abend kam ein Mann zu uns auf den Hof, den ich noch nie zuvor gesehen hatte. Ich musste im Kinderzimmer verweilen, während er mit meinen Eltern ein ernsthaftes Gespräch führte. Ich lauschte an der Tür und bekam vereinzelte Worte und Sätze mit wie «Es ist nur zu seinem Besten», «Wir werden ihn umerziehen», «Denken Sie an seine Zukunft», «Sie wollen doch nicht, dass er für den Rest seines Lebens im Gefängnis endet». Ich verstand an diesem Abend nicht, was da vor sich ging. Noch weniger verstand ich am Folgetag, als meine Eltern mir eine Tasche mit Kleidern bereitstellten. Bereits nach dem Frühstück kam der Dorfpolizist in Begleitung des Unbekannten zurück. Es wäre nun Zeit, mich zu formen, so die Begrüßung des Fremden. Meine Mutter begann zu weinen, und mein Vater klopfte mir auf die Schulter. Was soll das, fragte ich mich. Es war nur ein Buch, oder? Meine Mutter legte mir Papier und Stifte in die Tasche, denn sie wusste, dass ich gerne Gedichte und Geschichten schrieb. Wieso Mami weinte, wusste ich zuerst nicht, doch als sich meine Eltern und Geschwister von mir verabschiedet hatten, erkannte ich, dass ich nun an einen Ort verfrachtet wurde, an den ich nicht gehörte. Das erinnerte mich an Dürrenmatts «Der Physiker», denn ich fühlte mich wie ein psychisch Gesunder, der ins Irrenhaus ein-geliefert werden sollte. Nun sind keine vierundzwanzig Stunden vergangen, und ich sitze hier in einem Viererzimmer, das eher einer Zelle ähnelt. Es ist meine erste Nacht in dieser Anstalt. Die drei anderen schlafen bereits, obwohl das Licht an ist. Sie sind hundemüde von der Arbeit, die sie außerhalb der Festung auf dem Straßenbau verrichten mussten. Geschlafen habe ich bislang keine Minute, seit ich hier bin. Wie auch, in dieser Besenkammer, eingesperrt mit drei Fremden? Ich habe Angst, und ich vermisse meine Familie. Als ich beim Abendessen nicht aufgegessen habe, hat mir einer der Erzieher eine Ohrfeige verpasst. So etwas kannte ich bisher nicht, denn meine Eltern hatten mich nie geschlagen. Ab morgen werde ich mitgenommen, um Feldarbeit zu leisten. Es sei wichtig für mich, dass ich mich körperlich stärke, um in Zukunft für den Arbeitsmarkt von Nutzen zu sein, sagte man mir. Man habe bereits Jahrzehnte zurück in dieser Anstalt die Jungen geformt. So mancher durfte nach seinem Aufenthalt in der Festung als Magd oder Knecht arbeiten und musste nicht auf der Straße leben. Mich würde man in den kommenden Jahren zum Handwerker formen. Bereits das Wort formen stört mich, aber wen interessiert schon, was ich denke, geschweige denn, was ich möchte. Hätte ich die Wahl, würde ich Schriftsteller werden. Ich würde Geschichten aus dem Leben erzählen, darunter traurige, schö-ne, romantische, tragische, was immer mir das Leben offenbart. Mein Blick wandert zum Fenster, durch das gerade ein blauer Falter hinein…
