

Beschreibung
Die Geschenkausgabe mit der abgerundeten Ecke: anspruchsvolle Haptik, hochwertiges Papier, mit Lesebändchen, kleines Format. Als der Bürgerkrieg in den 90er Jahren Bosnien heimsucht, flieht der junge Aleksandar mit seinen Eltern in den Westen. Rastlos neugieri...Die Geschenkausgabe mit der abgerundeten Ecke: anspruchsvolle Haptik, hochwertiges Papier, mit Lesebändchen, kleines Format. Als der Bürgerkrieg in den 90er Jahren Bosnien heimsucht, flieht der junge Aleksandar mit seinen Eltern in den Westen. Rastlos neugierig erobert er sich das fremde Deutschland und erzählt mit unbändiger Lust die irrwitzigen Geschichten von damals, von der großen Familie und den kuriosen Begebenheiten im kleinen Viegrad. Aleksandar fabuliert sich die Angst weg und Die Zeit, als alles gut war wieder herbei.
Ausstattung: mit Lesebändchen
"Lesen sollte, ja muss man den Roman in jedem Fall, und im Übrigen ist es der beste Roman des Jahres 2006."
Autorentext
Saa Stanii wurde 1978 in Viegrad (Jugoslawien) geboren und lebt seit 1992 in Deutschland. Seine Werke wurden in mehr als vierzig Sprachen übersetzt und viele Male ausgezeichnet. Saa Stanii lebt und arbeitet in Hamburg. Er ist dort Fußballtrainer einer F-Jugend.
Leseprobe
Opa Slavko maß meinen Kopf mit Omas Wäschestrick aus, ich bekam einen Zauberhut, einen spitzen Zauberhut aus Kartonpapier, und Opa Slavko sagte: eigentlich bin ich noch zu jung für so einen Quatsch und du schon zu alt.
Ich bekam einen Zauberhut mit gelben und blauen Sternen, sie zogen gelbe und blaue Schweife, dazu schnippelte ich eine kleine Mondsichel und zwei Dreiecksraketen aus, eine flog Gagarin, die andere Opa Slavko.
Opa, mit dem Hut lasse ich mich nirgendwo blicken!
Das will ich hoffen!
Am Morgen des Tages, an dessen Abend er starb, schnitzte mir Opa Slavko aus einem Ast den Zauberstab und sagte: im Hut und im Stab steckt eine Zauberkraft. Trägst du den Hut und schwingst du den Stab, wirst du der mächtigste Fähigkeitenzauberer der blockfreien Staaten sein. Vieles wirst du revolutionieren können, solange es mit den Ideen von Tito konform geht und in Übereinstimmung mit den Statuten des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens steht.
Ich zweifelte an der Zauberei, aber ich hatte keine Zweifel an meinem Opa. Die wertvollste Gabe ist die Erfindung, der größte Reichtum die Fantasie. Merk dir das, Aleksandar, sagte Opa ernst, als er mir den Hut aufsetzte, merk dir das und denk dir die Welt schöner aus. Er übergab mir den Stab, und ich zweifelte an nichts mehr.
Es ist üblich, dass man hin und wieder wegen der Verstorbenen traurig wird. Bei uns findet das statt, wenn Sonntag, Regen, Kaffee und Oma Katarina zusammenkommen. Oma schlürft dann aus ihrer Lieblingstasse, der weißen mit dem Sprung im Griff, weint und erinnert sich an alle Toten und an die guten Dinge, die sie gemacht haben, bevor ihnen das Sterben dazwischenkam. Heute sind Familie und Freunde bei Oma, weil wir uns an Opa Slavko erinnern, der seit zwei Tagen vorläufig tot ist, so lange, bis ich meinen Zauberstab und meinen Hut wiederfinde.
Noch nicht gestorben in meiner Familie sind Mutter, Vater und Vaters Brüder - Onkel Bora und Onkel Miki. Nena Fatima, die Mutter meiner Mutter, hält sich noch gut, bei ihr sind nur die Ohren und die Zunge gestorben - sie ist taub wie eine Kanone und stumm wie Schneefall. Tante Gordana ist auch noch nicht gestorben, sie ist Onkel Boras Frau und schwanger. Tante Gordana, eine blonde Insel im dunklen Haarmeer unserer Familie, wird von allen Taifun genannt, weil sie viermal lebendiger lebt als normale Menschen und achtmal schneller läuft und vierzehnmal hektischer redet. Sie legt selbst die Strecke von der Kloschüssel zum Waschbecken im Sprint zurück und hat an der Ladenkasse alles ausgerechnet, bevor es die Kassiererin überhaupt eintippen kann.
Sie alle sind wegen Opa Slavkos Tod zu Oma gekommen, reden aber über das Leben in Tante Taifuns Bauch. Niemand zweifelt daran, dass Tante ihr Baby spätestens am Sonntag, maximal am Montag bekommen wird, Monate zu früh, aber schon fertig wie im neunten. Ich schlage vor, das Baby Speedy Gonzales zu nennen. Tante Taifun schüttelt ihre blonden Locken: sindwirmexikaner? Wirdnmäd- chenkeinemaus! Emawirdsieheißen.
Und Slavko, fügt Onkel Bora leise hinzu, Slavko, wenn es ein Junge wird.
Groß und überall ist heute die Liebe für Opa Slavko, bei allen Schwarzangezogenen, die bei Oma Katarina Kaffee trinken und verstohlen zum Sofa sehen, auf dem Opa saß, als Carl Lewis in Tokio den Weltrekord aufstellte. Opa starb in 9,86 Sekunden, sein Herz lieferte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Carl Lewis - das Herz stand still, und Carl raste wie ein Wahnsinniger. Opa keuchte, und Carl riss die Arme in die Luft und warf sich eine amerikanische Fahne über die Schultern.
Die Trauergäste bringen Pralinen und Würfelzucker mit, Cognac und Schnaps. Sie möchten Omas Trauer mit Süßem aufwiegen und trinken gegen ihre eigene an. Die männliche Trauer riecht nach Rasierwasser. Sie steht in kleinen Runden in der Küche und betrinkt sich. Die weibliche Trauer sitzt mit Oma um den Wohnzimmertisch, schlägt Namen für das neue Leben in Tante Taifuns Bauch vor, und diskutiert die gesündeste Schlafposition in den ersten Monaten. Als Opas Name fällt, schneiden die Frauen Kuchen und bieten sich gegenseitig die Stücke an. Sie zuckern den Kaffee und rühren ihn mit Löffeln um, die aussehen wie Spielzeugbesteck.
Immer loben Frauen Kuchen.
Ur-Oma Mileva und Ur-Opa Nikola sind nicht hier, weil ihr Sohn zu ihnen kommt, nach Veletovo, weil er begraben werden soll, wo er auch geboren wurde. Was das miteinander zu tun hat, weiß ich nicht. Man müsste doch dort tot sein dürfen, wo man viel und gern am Leben war. Mein Vater unter unserem Keller, den er »das Atelier« nennt, und kaum je verlässt, unter seinen Leinwänden und seinen Pinseln. Oma egal wo, Hauptsache, die Nachbarinnen sind auch da und es gibt Kaffee und Pralinen. Ur-Oma und Ur-Opa unter ihrem Pflaumengarten in Veletovo. Wo war meine Mutter viel und gerne?
Opa Slavko in den besten Geschichten oder unter dem Parteibüro. Noch zwei Tage halte ich es vielleicht ohne ihn aus, bis dahin werden meine Zauberutensilien schon noch auftauchen.
Ich freue mich darauf, Ur-Opa und Ur-Oma wieder zu sehen. Sie haben, seit ich darauf achte, nie süß gerochen und sind im Durchschnitt circa hundertfünfzig Jahre alt. Trotzdem sind sie am wenigsten gestorben und am meisten am Leben von allen in der Familie, ausgenommen Tante Taifun, aber sie gilt nicht, denn sie läuft nicht unter Menschen, sondern unter Naturkatastrophen und hat einen Propeller im Hintern. Sagt Onkel Bora manchmal und küsst den Rücken seiner Naturkatastrophe.
Onkel Bora wiegt so viel, wie meine Urgroßeltern alt sind.
Auch noch nicht gestorben in meiner Familie ist Oma Katarina, obwohl sie am Abend, an dem Opas großes Herz die schnellste Krankheit der Welt bekam, gewünscht und geklagt hatte: allein, was soll ich ohne dich, allein will ich nicht, Slavko, mein Slavko, wehe mir!
Mehr noch als vor Opas Tod fürchtete ich mich vor dieser großen, auf Knien rutschenden Trauer meiner Oma, allein, wie lebe ich jetzt allein! Oma schlug sich gegen die Brust und flehte darum, Opa zu toten Füßen, selbst nicht mehr am Leben zu sein. Ich atmete nur noch schnell, aber nicht mehr leicht.
Oma war so schwach, dass es mir vorkam, als würde ihr Körper auf dem Boden ganz weich werden. Im Fernsehen sprang eine große Frau in den Sand und freute sich darüber. Oma schrie die Nachbarn herbei, sie knöpften Opas Hemd auf, seine Brille verrutschte, sein Mund hing schief - ich schnitt, wie immer, wenn ich nicht weiterwusste, kleine Dinge aus, mehr Sterne für meinen Zauberhut. Trotz der Angst und so kurz nach einem Sterben sah ich, dass Omas Porzellanhund auf dem Fernseher umgefallen war und dass die Teller mit den Fischgräten vom Abendessen immer noch auf der gehäkelten Tischdecke standen. Ich hörte jedes Wort der herumwuselnden Nachbarn, verstand alles trotz Omas Wimmern und Jaulen. Sie zerrte an Opas Beinen, Opa rutschte vom Sofa nach vorne. Ich versteckte mich in der Ecke hinter dem Fernseher. Aber auch hinter tausend Fernsehern hätte ich mich nicht verstecken können vor Omas ver…
