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Der Band versammelt zentrale, teilweise unveröffentlichte Aufsätze von Renate Mayntz zu den relevanten Fragen sozialwissenschaftlicher Methodologie und Theoriebildung. Die Themen reichen von Problemen der Kontextabhängigkeit über die Herausforderungen der Soziologie durch die moderne Biologie bis hin zu den Mikro-Makro-Beziehungen. Dabei werden auch die Konzepte Rationalität, Mechanismus und Emergenz beleuchtet.
Autorentext
Renate Mayntz war Gründungsdirektorin des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung in Köln, das sie bis zu ihrer Emeritierung 1997 gemeinsam mit Fritz W. Scharpf leitete. Renate Mayntz lehrte an der Freien Universität Berlin und der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer, der Universität zu Köln sowie in New York, Edinburgh, Santiago de Chile und an der Stanford University. Sie erhielt Doktorgrade honoris causa von den Universitäten Uppsala und Paris und vom Europäischen Hochschulinstitut und wurde unter anderem mit dem Schader-Preis, dem Bielefelder Wissenschaftspreis und dem Ernst- Hellmut-Vits-Preis der Universität Münster ausgezeichnet.
Klappentext
Der Band versammelt zentrale, teilweise unveröffentlichte Aufsätze von Renate Mayntz zu den relevanten Fragen sozialwissenschaftlicher Methodologie und Theoriebildung. Die Themen reichen von Problemen der Kontextabhängigkeit über die Herausforderungen der Soziologie durch die moderne Biologie bis hin zu den Mikro-Makro-Beziehungen. Dabei werden auch die Konzepte Rationalität, Mechanismus und Emergenz beleuchtet.
Leseprobe
Wenn man als Sozialwissenschaftler, etwa durch die regelmäßige Lektüre von Zeitschriften wie Nature, die jeweils neuesten Entwicklungen in den verschiedenen Naturwissenschaften verfolgt, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass es in Wissenschaften wie Genetik, Festkörperphysik, Astronomie und Molekularbiologie alle paar Jahre einen deutlich erkennbaren Wissensfortschritt gibt, während in den Sozialwissenschaften alle paar Jahre die Themen und die Interpretationen wechseln. Natürlich gibt es auch in der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Wirtschaftswissenschaft Wissensfortschritte, aber im Großen und Ganzen scheint es, dass die wissenschaftliche Entwicklung in den Naturwissenschaften kumulativ, in den Sozialwissenschaften dagegen eher additiv ist. Zugleich kann man feststellen, dass der Wissensfortschritt in Naturwissenschaften wie den eben genannten eng mit der Entwicklung neuer Forschungstechnik - von Instrumenten, Apparaten und Verfahren - zusammenhängt, während forschungstechnische Innovationen in den Sozialwissenschaften keine nennenswerte Rolle zu spielen scheinen. Diesen Eindruck vermittelt unter anderem das Heft Forschungsperspektiven der Max-Planck-Gesellschaft 2005 (Max- Planck-Gesellschaft 2005). In den Abschnitten, in denen naturwissenschaftliche Forschungslinien dargestellt werden, wird ständig ganz ausdrücklich vom Erkenntnisgewinn durch neue Forschungstechnik gesprochen - durch noch aufl ösungsstärkere Elektronenmikroskope, neue Detektoren, neue katalytische Verfahren oder den Forschungsreaktor ITER. Dagegen werden forschungstechnische Innovationen bei der Darstellung von Forschungsperspektiven, an denen vor allem sozialwissenschaftliche Institute beteiligt sind, kein einziges Mal erwähnt. Gibt es zwischen diesen beiden Beobachtungen einen Zusammenhang? Oder anders gefragt: Wie ist der Zusammenhang zwischen Wissensfortschritt und forschungstechnischer Entwicklung? Kann es sein, dass Technik in den Naturwissenschaften, aber nur in den Naturwissenschaften eine zentrale Rolle bei der kognitiven Innovation spielt? Um dieser Frage nachzugehen, muss man zunächst zwischen Forschungstechnik und Forschungslogik unterscheiden. Unter Forschungstechnik verstehe ich materielle Artefakte, mit deren Hilfe wir Gegenstände unserer wissenschaftlichen Neugier erfassen, das heißt, direkt oder indirekt beobachten und messen, und gegebenenfalls experimentell manipulieren. Forschungslogik bezeichnet dagegen den bei der Ermittlung wissenschaftlichen Wissens benutzten methodischen Ansatz, der es erlauben soll, gültige ("wahre") - und nachprüfbare - Aussagen über Wirklichkeit zu machen. Die empirischen Sozialwissenschaften haben sich am Modell der Naturwissenschaften orientiert und damit auch die Forschungslogik der Naturwissenschaften übernommen. Sie suchten damit in einer Zeit, in der Physik mehr galt als Metaphysik, den Status von Wissenschaften zu reklamieren - was ihnen im englischen Sprachbereich, wo the sciences die Naturwissenschaften meint, semantisch bis heute nicht ganz geglückt ist. Gewiss ist der Königsweg der wissenschaftlichen Methode, das Experiment, für die Sozialwissenschaften nur in engen Grenzen begehbar. Sozialwissenschaftliche Laborstudien, wie sie unter anderem im Max-Planck-Institut zur Erforschung von Wirtschaftssystemen durchgeführt werden (Jahresbericht 2004: 4-6), gibt es allenfalls im Bereich individuellen Verhaltens, insbesondere von Entscheidungsverhalten, und der Kleingruppendynamik. Aber auch die Naturwissenschaften sind nicht alle Laborwissenschaften, sondern zum Teil sogenannte "Feld wissenschaften", die ihre Objekte - Eisberge etwa, Ozonlöcher, Neutronensterne oder Vulkanausbrüche - nicht zu Versuchszwecken manipulieren können. Auf jeden Fall wollen die empirischen Sozialwissenschaften ebenso wie die Naturwissenschaften ihre Gegenstände durch direkte Beobachtung oder indirekt über Indikatoren erfassen, und für beide besteht wissenschaftlicher Fortschritt zum einen darin, bislang unbekannte Phänomene zu ent decken beziehungsweise bekannte genauer zu beschreiben, zum anderen aber in der Feststellung bislang nicht bekannter beziehungsweise der Korrektur bislang falsch interpretierter kausaler, genetischer und funktionaler Zusammenhänge. Dabei kann man grob die Phase der Datenerhebung von der Phase der Datenanalyse und Interpretation unterscheiden. Praktisch sind beide Phasen oft eng verbunden, zumal wenn die Datenerhebung bereits von der Suche nach Zusammenhängen gesteuert wird. Wenn sich Natur- und Sozialwissenschaften in ihrer Forschungslogik nicht unterscheiden, wie steht es dann mit dem Gebrauch technischer Hilfsmittel? Forschungstechnik hilft uns zu "sehen", was für uns nicht sichtbar ist, hilft Frequenzen, Strahlen und Partikel zu erfassen, die unsere Sinne nicht registrieren können, und sie hilft zu manipulieren, was für unsere Hände zu klein ist. In den Naturwissenschaften wird Forschungstechnik in Form von Instrumenten, Apparaten und technisch basierten Verfahren dementsprechend beim Erfassen von Gegenständen und bei ihrer experimentellen Manipulation genutzt. Es war die Forschungstechnik, die es uns erlaubt hat, immer tiefer in die direkter menschlicher Wahrnehmung unzugänglichen Bereiche des ganz Kleinen und des ganz Großen einzudringen. Schon am Beginn der kognitiven Neurowissenschaften in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts spielte ein Apparat, das zum Präzisionsinstrument zur Zeiterfassung entwickelte Chronoskop eine wichtige Rolle (Rötger 2004). Damit konnte man aber lediglich menschliche Reaktionsgeschwindigkeiten messen. Heute erlauben es Positronenemissionstomografie und Magnetresonanztomografi e, Vorgänge im lebenden Gehirn anhand messbarer Indikatoren (zum Beispiel Stoffwechsel) zu beobachten. In der Astrophysik haben die neuen Teleskope, Raumsonden und Forschungssatelliten die rasante Entwicklung der letzten Jahrzehnte ermöglicht, während die neue Fluoreszenz- Mikroskopie es im Nanobereich erlaubt, durch nichtinvasive Verfahren noch unverstandene Prozesse in der Physiologie der Zelle aufzuklären. In den Laborwissenschaften basieren auch Fortschritte in der experimentellen Manipulation auf moderner Forschungstechnik; die Genforschung ist hierfür ein geläufi ges Beispiel. Selbst bei der Erforschung von Vergangenem, das sich allenfalls aufgrund von Spuren untersuchen lässt, die es hinterlassen hat und die wir erfassen könne…