

Beschreibung
Spricht man heute von Pathos, dann meint man meist peinlichen Gefühlskitsch. Diese Abwertung ist das Ergebnis einer Begriffsgeschichte, die um 1800 kippt. Während die Poetik und Ästhetik des 17. und 18. Jahrhunderts den hohen Kunstformen eine pathetische Ausdr...Spricht man heute von Pathos, dann meint man meist peinlichen Gefühlskitsch. Diese Abwertung ist das Ergebnis einer Begriffsgeschichte, die um 1800 kippt. Während die Poetik und Ästhetik des 17. und 18. Jahrhunderts den hohen Kunstformen eine pathetische Ausdrucksweise vorschreiben, fasst Hegel das Pathos nur noch als das Leiden des vormodernen naiven Helden. Warburg beschreibt das Pathetische schließlich als eine in der Antike geprägte Stilform. Zu dieser Historisierung des Pathos, das vom zeitlosen Ideal der Kunst zu einer ihrer Entwicklungsstufen wird, gehört die Diagnose vom Pathosverlust in der versachlichten Moderne. Trotz aller Versuche einer Reaktivierung pathetischer Kunst, etwa im Expressionismus, wandert ein mit Übertreibung und Trivialität assoziiertes Pathos im 20. Jahrhundert in die Populärkultur ab. Vom modernen Unbehagen am Pathos aus adressieren die im Band versammelten Beiträge aus Literaturwissenschaft, Rhetorik, Kunstgeschichte und Filmwissenschaft problematische Punkte historischer Pathoskonzepte. Auf der Suche nach Widersprüchen setzen sie an historischen, diskursiven und medialen Übergängen an: am Transfer zwischen Rhetorik und Poetik, zwischen Ethos und Pathos, zwischen realer Gewalterfahrung und ihrer formalisierten Darstellung, zwischen großen Gesten und privatem Gefühlsausdruck im 18. Jahrhundert. Diskutiert werden ebenfalls die Ausprägungen eines prosaischen Pathos im 19. Jahrhundert und dessen Verhältnis zu medizinischen und psychiatrischen Diskursen sowie die Remodellierung des Pathos in den Bildmedien des 20. Jahrhunderts.
Klappentext
Spricht man heute von Pathos, dann meint man meist peinlichen Gefühlskitsch. Diese Abwertung ist das Ergebnis einer Begriffsgeschichte, die um 1800 kippt. Während die Poetik und Ästhetik des 17. und 18. Jahrhunderts den hohen Kunstformen eine pathetische Ausdrucksweise vorschreiben, fasst Hegel das Pathos nur noch als das Leiden des vormodernen naiven Helden. Warburg beschreibt das Pathetische schließlich als eine in der Antike geprägte Stilform. Zu dieser Historisierung des Pathos, das vom zeitlosen Ideal der Kunst zu einer ihrer Entwicklungsstufen wird, gehört die Diagnose vom Pathosverlust in der versachlichten Moderne. Trotz aller Versuche einer Reaktivierung pathetischer Kunst, etwa im Expressionismus, wandert ein mit Übertreibung und Trivialität assoziiertes Pathos im 20. Jahrhundert in die Populärkultur ab. Vom modernen Unbehagen am Pathos aus adressieren die im Band versammelten Beiträge aus Literaturwissenschaft, Rhetorik, Kunstgeschichte und Filmwissenschaft problematische Punkte historischer Pathoskonzepte. Auf der Suche nach Widersprüchen setzen sie an historischen, diskursiven und medialen Übergängen an: am Transfer zwischen Rhetorik und Poetik; zwischen Ethos und Pathos, zwischen realer Gewalterfahrung und ihrer formalisierten Darstellung, zwischen großen Gesten und privatem Gefühlsausdruck im 18. Jahrhundert. Diskutiert werden ebenfalls die Ausprägungen eines prosaischen Pathos im 19. Jahrhundert und dessen Verhältnis zu medizinischen und psychiatrischen Diskursen sowie die Remodellierung des Pathos in den Bildmedien des 20. Jahrhunderts.
Leseprobe
Cornelia Zumbusch
Probleme mit dem Pathos. Zur Einleitung (S. 7)
Neue Probleme
Das Pathos ist ein zweischneidiges Phänomen. Zwar verzeichnet man in der zeitgenössischen Kunst unter dem Titel Pathos" eine Rückkehr der großen Gefühle", allerdings scheint dort, wo heute von Pathos die Rede ist, die Distanzierung von einem peinlich gewordenen Pathetischen zu überwiegen. In Analysen politischer Rhetorik hat man das Pathos längst verworfen und muss sich dort, wo es als Möglichkeit einer leidenschaftlich betriebenen Politik in Aussicht gestellt werden soll, explizit von hohlem Pathos distanzieren.
Rezensenten empfehlen zeitgemäße Klassikereinspielungen eher als Klassiker ohne Pathos", während der Großhandel durchaus für Musik mit Pathos" wirbt. Eine ganz ungehemmte Pathoslust scheint sich offenbar nur in der Populärkultur ausleben zu lassen.
Symptomatisch für diesen Registerwechsel ist, dass spätestens seit den großen Filmmelodramen der 1940er und 1950er nicht mehr das Theater, sondern das publikumswirksame Kino als Ort des Pathos und der großen Emotionen gilt.
Das aktuelle Problem mit dem Pathos entzündet sich nun nicht so sehr am Phänomen der Gefühle und Leidenschaften, sondern am diskreditierten Begriff des Pathos. Pathos scheint für die meisten gleichbedeutend mit übertriebenem Gefühlskitsch, und das Pathetische als dessen Erscheinungsformhält man für schwülstig oder hohl, verlogen oder gar manipulativ.
Wo sich hingegen ein neues Interesse am Pathos abseits der massenmedialen Vermittlung abzeichnet, da will man unter Pathos meist ganz generell große" oder intensive Gefühle" verstanden wissen. Ein positives Verhältnis zum Pathos scheint also nur entwickeln zu können, wer auf dessen Grundbedeutung zurückgeht und das Pathos als anderen Namen für besonders eindrückliche Gefühle verwendet.
Die Literatur- und Kulturwissenschaft hat die Darstellung von Affekten und Emotionen in der Literatur und den Künsten längst als Forschungsgegenstand entdeckt. Als Konsens kann dabei gelten, dass die Leidenschaften, obwohl von der Vernunft naturalisiert oder sogar pathologisiert, keineswegs als natürlich gegeben, sondern als sozial konstruiert geltenmüssen. Das jüngere Interesse speist sich daher gerade aus der Spannung zwischen anthropologischer Konstanz und historischer sowie kultureller Variabilität der Gefühle.
Zwar scheint die ästhetische Kategorie des Pathos auf den ersten Blick in der Rede vom Affekt einbegriffen zu sein, allerdings bestehen zwischen Affekten, Leidenschaften und Gefühlen im Allgemeinen und dem Pathos im Besonderen wichtige Unterschiede. Im Griechischen bezeichnet pathos sowohl das plötzlich eintreffende Ereignis als auch die durch dieses Reizereignis erzeugte Gefühlsreaktion.
Im Gegensatz zum ethos, das als dauerhaft eingeprägte Spur den sittlichen Habitus formiert, wird das pathos auf die passiv erlittenen, flüchtigen Eindrücke und vorübergehenden Affekte bezogen. Die Rede vom Pathos umfasst damit zugleich weniger und auch mehr als die Begriffe Affekt und Gefühl.
Pathos meint zunächst einmal weniger, weil es sich nicht auf alle, sondern nur auf die besonders schmerzlichen Gefühle bezieht. Pathosszenen in der antiken Epik, Dramatik und der bildenden Kunst entzünden sich an leidenden Helden und schmerzhaften Gefühlen. Auf Affektzustände bezogen sind es vor allem die mit der Tragödie assoziierten Leidenschaften, die unter dem Begriff des Pathos gruppiert werden.
So unterscheidet Quintilian zwischen Pathos und Ethos, indem er die mores, also das Ethos, der Komödie zuordnet, zu den tragischen Affekten hingegen lediglich gewaltsame und unangenehme Gefühl wie Zorn, Haß, Furcht, Abscheu und Mitleid" zählt.
Inhalt
Cornelia Zumbusch: Probleme mit dem Pathos. Zur Einleitung Joachim Knape: Rhetorisches Pathos und literarische Pathosformeln Juliane Vogel: Ergreifung und Ergriffenheit. Der Raub der Sabinerinnen Martin Dönike: Gebändigte Leidenschaft? Antikes Pathos und seine moderne Transformation in der Ästhetik des Weimarer Klassizismus Heide Volkening: Schrei, verbissen. Zu Ethos und Pathos bei Lessing und Schiller Alexander Honold: Pathos-Transport um 1800. Modelle tragischer Bewegung in Theaterdiskurs und Briefkultur Annette Keck: Groteskes Begehren und exzentrische Deklamationen. Zur Eskamotage des Pathos in der Literatur des bürgerlichen Realismus Yvonne Wübben: Pathos und Pathologie. Ewald Heckers psychiatrische Brieflektüren (1871) Martin von Koppenfels: Brennende Söhne. Die Szene des kranken Kindes bei Stendhal, Flaubert und Thomas Mann Sylvia Sasse: Pathos und Antipathos. Sergej Eisenstein und Aby Warburg Robert…