

Beschreibung
Der Skandal um Fürst Eulenburg, den besten Freund und zeitweise wichtigsten Berater Kaiser Wilhelms II., erschütterte seit 1906 die Monarchie. Anhand zahlreicher Quellen, darunter rund 5000 Presseartikel, geht Norman Domeier dem Skandal nach und liefert eine K...Der Skandal um Fürst Eulenburg, den besten Freund und zeitweise wichtigsten Berater Kaiser Wilhelms II., erschütterte seit 1906 die Monarchie. Anhand zahlreicher Quellen, darunter rund 5000 Presseartikel, geht Norman Domeier dem Skandal nach und liefert eine Kulturgeschichte der Politik im Kaiserreich. Er zeigt, dass es weniger um die Homosexualität des Fürsten ging: Der Eulenburg- Skandal war vor allem die Initialzündung für eine moderne, kritische Öffentlichkeit in Deutschland. Gleichzeitig aber bot er Gelegenheit, den kommenden Weltkrieg nicht nur politisch, militärisch und ökonomisch, sondern auch moralisch zu rechtfertigen.
»Obwohl bereits Thema in zahlreichen Überblickswerken zur deutschen Geschichtswissenschaft, [...] stand die umfassende wissenschaftliche Aufarbeitung des Eulenburg-Skandals bislang noch aus. Diese Lücke ist nun geschlossen. [...] Domeiers Buch ist v.a. eine lohnende Lektüre für all jene, die sich für die Kulturgeschichte des Skandals und den Aufstieg der Medien zur vierten Gewalt im Staat interessieren.« Neue Gesellschaft Frankfurter Hefte, 03.01.2011 »Norman Domeier hat neben der Darstellung uvon Verlauf und Hintergründen der Prozesse eine breite und sehr gelungene politische Kulturgeschichte des Kaiserreichs vorgelegt.« Wilhelm von Sternburg, Lesart, 01.02.2011 »Dieser sehr lesenswerte Beitrag zur historischen Medien(rezeptions)forschung zeigt u.a. deutlich die Verwendung homophober Vorurteile zu politischen Denunziationszwecken auf.« Lambda-Nachrichten, 01.09.2011
Autorentext
Norman Domeier, PD Dr. phil., ist DAAD-Gastprofessor an der Karls-Universität Prag und Privatdozent an der Universität Stuttgart.
Leseprobe
Was soll Europa denken, rief Max Bernstein im Oktober 1907 im Berliner Justizpalast aus. Wenn der Eulenburg-Skandal, auf den sich dieser Ausruf bezog, von der Geschichtswissenschaft bisher gewürdigt wurde, dann als ein nationales oder gar nur lokales Berliner Ereignis. Bernstein aber, einer der berühmtesten Strafverteidiger des Kaiserreichs und als Mitbesitzer der Münchner Neuesten Nachrichten mit den Mechanismen der modernen Massenpresse wohlvertraut, wusste genau, dass er durch den Gerichtssaal in Alt-Moabit eine internationale Öffentlichkeit ansprach. Mit ihm beschworen auch die übrigen Akteure und Beobachter des Skandals Deutschland, Europa, die Welt, ja selbst die Nachgeborenen. Leichtfüßig überschritt der "deutsche Skandal", als der er bald in der internationalen Presse firmierte, die Grenzen des Deutschen Reiches. Rund drei Jahre, von Ende 1906 bis in das Jahr 1909, beschäftigte er Journalisten aus aller Welt. Dutzende Auslandskorrespondenten zog er in den Justizpalast von Berlin-Moabit, wo die meisten Sensationsprozesse stattfanden, auf denen er als historisches Ereignis aufruhte. Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, den Eulenburg-Skandal als ein transnationales Medienereignis in den Blick zu nehmen. Auch wenn dies ein noch relativ junges historiographisches Konzept ist, so war doch bereits den Zeitgenossen selbstverständlich, dass dieser Skandal "vor aller Welt" stattfand und, vielleicht noch wichtiger, dass über die Deutung seiner Enthüllungen mit aller Welt gerungen werden musste. Damit wird der Eulenburg-Skandal nicht aus der jüngeren deutschen Geschichte komplimentiert. Im Gegenteil. Viele der durch ihn verhandelten Personen, Themen und Konfliktlinien wurden von den Zeitgenossen gerade deshalb nationalistisch aufgeladen, weil sie sich in einer national entgrenzten Öffentlichkeit wussten. Auf diese Weise soll die vorliegende Studie eine Sonde in die Jahre des Übergangs von der Belle Époque ins "Eiserne Zeitalter" sein. Eine Ära, die gekennzeichnet ist durch das Aufkommen global gedachter, medial vermittelter Prestigepolitik. Selbst über ein nach den Maßstäben traditioneller Politik- und Diplomatiegeschichte gründlich erforschtes, geradezu klassisches Ereignis der Außenpolitik wie die Erste Marokko-Krise 1905/06 können mit diesem Zugriff neue Erkenntnisse zu Tage gefördert werden. Es ist kein Zufall, dass mit dem alten Handwerkszeug nicht erkannt wurde, dass dieser Schlüsselkonflikt in den internationalen Beziehungen vor dem Ersten Weltkrieg den Hintergrund des Eulenburg-Skandals bildete. Dabei war es die skandalöse Deutung der friedlichen Lösung von Algeciras, die Maximilian Harden, den umstrittensten Publizisten und Intellektuellen des Kaiserreichs, eine sensationelle Pressekampagne gegen Fürst Philipp Eulenburg, den besten Freund und zeitweise wichtigsten Berater Kaiser Wilhelms II., beginnen ließ. In seiner europaweit beachteten Politik- und Kulturzeitschrift Die Zukunft unterstellte Harden im Herbst 1906 dem Fürsten Eulenburg, das Haupt einer Kamarilla zu sein, einer namentlich nie genau definierten Einflussgruppe im Arkanbereich der Reichsleitung, die durch Homosexualität zusammengehalten werde. Ihr wies Harden die Verantwortung für die schwere diplomatische Niederlage des Deutschen Reiches in der Marokko-Krise zu. Wie sich bald herausstellte, war dieser Vorwurf nur die Facette eines großen Narrativs wilhelminischer Dekadenz, das der Skandal popularisierte: Danach hatte die Eulenburg-Kamarilla bereits 1890 den Sturz Bismarcks bewerkstelligt, seither den Monarchen vom Volk abgeschirmt und durch eine von übersteigerter Friedensliebe bestimmte Politik das Deutsche Reich in die internationale Isolation manövriert. Mit der nach Eulenburgs Schloss in der Uckermark "Liebenberger Tafelrunde" genannten Gruppe war ein Sündenbock für die zahlreichen politischen Fehlleistungen der Herrschaft Wilhelms II. gefunden worden. Ist der Eulenburg-Skandal heute vor allem als erster großer Homosexualitätsskandal des 20. Jahrhunderts in Erinnerung, so wurde er von den Zeitgenossen viel umfassender, nämlich als Gegenstück zur französischen Dreyfus-Affäre verstanden. Nach der "französischen Affäre" war ein "deutscher Skandal" regelrecht erwartet worden. Keiner sah dies klarer als derjenige, der schließlich sein Namensgeber werden sollte. Bereits in seinem Anfangsstadium sandte Philipp Eulenburg eindringliche Warnungen an Reichskanzler Bülow und Kaiser Wilhelm II., ohne aktives Eingreifen der Regierung nehme der Skandal "europäische Formen" an und werde für das Deutsche Reich "staatsgefährlich". Der Monarch und sein leitender Staatsmann schlugen die Warnungen in den Wind. Die Vogel-Strauß-Taktik, die die beiden wichtigsten deutschen Politiker jener Jahre fast bis zum juristischen Ende des Skandals 1909 durchhielten, offenbart ein aus der Retrospektive unfassbar mangelhaftes politisches Gespür, ja einen politischen Autismus. Während Eulenburg sie explizit vor den "skandalpolitischen" Folgen warnte, konnten und wollten sie die politischen Gefahren dieses Skandals für die Monarchie nicht erkennen. Ein irgendwie geartetes Skandalmanagement wurde von Seiten der hohen Politik nie versucht. Vielmehr bemerkte bereits ein hellsichtiger Zeitgenosse aus dem Umfeld Wilhelms II. rückblickend, "wenn jemand eine Prämie ausgesetzt hätte, wie es möglich wäre, diese Skandalaffäre am ungeschicktesten und kompromittierendsten für das Herrscherhaus und die Hofgesellschaft sowie auch für die Armee zu erledigen, so müsste derjenige den Preis erhalten, der die Direktiven für unser tatsächliches Verhalten gegeben hätte." Angesichts des eklatanten Versagens der traditionellen Herrschaftselite hob bereits der Verfassungshistoriker Ernst Rudolf Huber die Bedeutung des Eulenburg-Skandals als Katalysator des langfristigen Wandels der Staats- und Gesellschaftsordnung in Deutschland hervor: "So wie die Skandalaffären des Hauses Bourbon und der alten Aristokratie aus der Geschichte der französischen Revolution nicht wegzudenken sind, so gehören die Affären Kuno Moltke und Philipp Eulenburg zur Vorgeschichte der Krise und des Zusammenbruchs der deutschen Monarchie. Nur aus einer Situation, in der das Verfassungsgefüge durch solche Enthüllungen bereits erschüttert war, konnten die anschließenden Krisen hervorgehen, in denen die…
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