

Beschreibung
Die Autorin erzählt die Dramen, Enttäuschungen, Gerüchte, Mißverständnisse, Hoffnungen und vertanen Chancen von einsamen Leuten, die man schnell vergißt: Migranten, Schauspielerinnen ohne Engagement, freiwillige und unfreiwillige Flüchtlinge. Ihre Prosa ist un...Die Autorin erzählt die Dramen, Enttäuschungen, Gerüchte, Mißverständnisse, Hoffnungen und vertanen Chancen von einsamen Leuten, die man schnell vergißt: Migranten, Schauspielerinnen ohne Engagement, freiwillige und unfreiwillige Flüchtlinge. Ihre Prosa ist unprätentiös, aber von äußerster Genauigkeit, und erst nach einer Weile merkt man, daß sie leuchtet. Die Geschichten bilden eine intime Chronik, die von den dreißiger Jahren bis in die Gegenwart reicht. Sie leuchten die Innenseite der europäischen Katastrophen aus. Mussolinis Italien, das Exil, die deutsche Okkupation, das Spanien der Falange, den Kalten Krieg und seine Folgen. Nicht die großen Ereignisse sind das Thema von Mavis Gallant, sondern die unscheinbaren Verheerungen, die sie angerichtet haben und für die es keine Heilung gibt.
Zusammenfassung
200 an Wohlthat 1/00 + 200 9/00
Leseprobe
"Nachdem die Cook-Reisegruppe mit fünfundzwanzig japanischen Touristen nach Oslo abgeflogen war, blieben nur noch vier Leute im Warteraum des Flughafens von Helsinki - ein junges französisches Paar namens Perrigny, das noch nicht lange verheiratet war, und ein älteres Ehepaar, das man als Amerikaner erkennen konnte. Als sie sicher waren, daß die jungen Leute zwei Bänke vor ihnen sie nicht verstehen konnten, setzten die alten Leute ihren permanenten, im Gang befindlichen Streit fort. Der Mann hatte die Angewohnheit, Schilder laut vorzulesen, obwohl er das vielleicht nur tat, um seine Frau zu ärgern. Er las die Schilder über den drei Türen, die auf das Rollfeld führten: " Oslo. Amsterdam ... Kopenhagen. ... Stockholm sehe ich nicht." Sie antwortete: "Ich frage mich, was ich dir all die Jahre über bedeutet habe." Philippe Perrigny, der Englisch verstand, drehte sich um und tat so, als betrachtete er in den Schaukästen rechts von ihnen finnische Keramik. Er sah, daß der Mann Flugplän e und Tickets prüfte, wobei er "Stockholm, Stockholm" murmelte, während die Frau wegblickte. Sie hatte die Brille abgenommen und wischte sich die Augen. Wie ist sie hier, auf dem Flughafen von Helsinki, bei dieser Frage angekommen, und wie kann er darauf antworten? Sie muß mit einem Wort beantwortet werden: alles/nichts. Es war, als säße man in einer Dorfkirche und hörte plötzlich eine Frage des Bauernpfarrers, über die keiner gern nachdenkt, eine Frage nach der Schuld oder der Pflicht oder der Gegenwart Gottes, und man atmete erleichtert auf, wenn er diese Stelle hinter sich hatte und zu den Gebeten kam. "In der nächsten Welt werden wir anders wählen" sagte der Mann. "Wenigstens weiß ich das von dir." Die wilden Gedanken des jüngeren Mannes waren: Sie sind für den Rest ihres Lebens aneinandergefesselt. Zu alt für einen Wechsel? Nur ein Unmensch würde sie jetzt im Stich lassen? Sie gehen zur Tür, über der AMSTERDAM steht, und sie hinkt. Deshalb können sie sich nicht trennen. Sie ist b ehindert. Er hat sich jahrelang um sie gekümmert. Sie gehen durch die Amsterdamer Tür, egal, was auf ihren Flugtickets gestanden haben mag. Welche Tür sie auch nehmen, sie werden die Rasenrondells von Vororten sehen, und die Familienautos vor jedem Haus und im Hinterhof einen blauen Swimmingpool. In ganz Nordeuropa sind Straßen nach Akazienbäumen benannt, aber das wissen sie vielleicht nicht. Perrigny befand sich auf der Hochzeitsreise, aber es war gleichzeitig eine Dienstreise für seine Pariser Zeitung, und er stellte in Gedanken die Serie über Skandinavien zusammen. Er hatte nun vier Jahre lang einen Artikel, überschrieben mit "Der stumme Schrei", wiederholt, und weder er noch seine Zeitung hatten gemerkt, daß er sich wiederholte. Er fing wieder an zu erfinden, im Stil der Pariser Wochenzeitungen: "Es war ein stummer, qualvoller Schrei, der sich aus den Herzen und Kehlen löste..." Nein. "Es war ein stummes Lied, erstickt..." "Es war eine stumme, leidenschaftliche Hymne an ..." Dies mal würde der Anfang mit dem blauäugigen puritanischen Norden verknüpft; er hatte Verwendung gefunden für bretonische Bauern, die keinen anständigen Preis für ihre Artischocken bekommen konnten, für die weihnachtliche Menschenmenge an der Berliner Mauer, für das von Touristen vergewaltigte Griechenland, für schwarze Musiker, die in der Olympia-Konzerthalle auftraten, für unglückliche portugiesische Fischer, die nach Frankreich geschleust und dort auf den Arbeitsmarkt geworfen wurden, für Dichter, die unter Drogeneinfluß schrieben. Der alte Mann nahm die Hand seiner Frau. Sie hatte sich noch immer abgewandt, doch war jetzt trockenen Auges und durch Brillengläser geschätzt. Um sie abzulenken, während ihre Tickets kontrolliert wurden, sagte er rasch: "Sieh mal das nette Restaurant, das ansprechende Restaurant. Es ist halb drinnen und halb draußen, siehst du? Es ist drinnen und draußen."Perrignys neue Frau entzog ihm sanft ihre Hand
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