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Im Kontext der Debatte um bezahlbaren Wohnraum, renditegetriebene Investitionen auf dem Wohnungsmarkt und Gentrifizierung wird deutlich, dass es alternativer Organisationsformen bedarf. Mit der Erforschung der Leipziger Hausprojekte gibt Matthias Wendt aufschlussreiche Einblicke in die Motive, Handlungslogiken und Funktionsweisen einer lokalen Szene, die sich durch Selbstorganisation von den Verwertungszwängen des Wohnungsmarktes zu emanzipieren sucht. Im Kern ist sie auf die Dekommodifizierung der Immobilien, auf Kollektiveigentum und Solidarität ausgerichtet.
Autorentext
Matthias Wendt hat am Lehrstuhl Wirtschaftsgeographie der Universität Bayreuth promoviert.
Leseprobe
1 Einführung Im April 2012 veröffentlichte das Leipziger Stadtmagazin Kreuzer unter dem Titel "Goodbye, Immobilienhai: Wie Leipzigs neue Hausbesitzer auf eigene Faust sanieren und bauen" (Rank 2012) einen Artikel, in dem mit einem Selbstnutzerprojekt, einer Zwischennutzung und einem selbstverwalteten Hausprojekt verschiedene unkonventionelle Wohnkonzepte porträtiert werden. Der Artikel skizziert damit einen Ausschnitt der vielfältigen Landschaft von Projekten im Wohnbereich, die seit der Umkehr des Schrumpfungstrends in Leipzig entstanden sind und der Umsetzung vielfältiger Wohn- und Lebensvorstellungen gedient haben. Infolge der jahrzehntelangen Schrumpfungsprozesse bestanden auf dem Leipziger Wohnungsmarkt lange Zeit Gelegenheitsfenster günstiger Rahmenbedingungen, die von verschiedenen Akteursgruppen zur Umsetzung von Zwischennutzungen genauso wie eigentumsorientierten Selbstnutzerprojekten, selbstverwalteten Hausprojekten oder Wagenplätzen genutzt wurden. In Reaktion auf den Kreuzer-Artikel positionierte sich eine Teilgruppe von Hausprojekten in einem Leserbrief an den Kreuzer als "selbstorganisierte Wohnhäuser im Kollektiveigentum" (A und V u.a. 2012) und formulierte ein gemeinsames Selbstverständnis als sogenannte Kollektivhäuser, um sich von anderen gemeinschaftlichen Wohnformen wie Selbstnutzerprojekten oder Zwischennutzungen konzeptionell abzugrenzen. Damit führte der Kreuzer-Artikel, in dem "wie so oft in der öffentlichen Debatte [] ganz verschiedene Konzepte [] zu einem indifferenten Brei unter dem Label neue Hausbesitzer" (ebd.) vermischt werden, zu einer ersten öffentlichkeitswirksamen Stellungnahme und inhaltlichen Positionierung einer Teilgruppe von eng vernetzten Hausprojekten, die in Leipzig seit dem Jahr 2009 entstanden waren. In der vorliegenden Arbeit wird der Typus der neueren Leipziger Hausprojekte in den Blick genommen, bei denen es sich weder um Zwischennutzungen wie die sogenannten Wächterhäuser handelt, noch um Baugruppen, die selbstgenutztes Wohneigentum bilden, oder um ausschließlich genossenschaftliche Wohnprojekte. Vielmehr stellen die neueren Leipziger Hausprojekte ein eigenes Wohn- und Lebensmodell dar, das regelmäßig die grundlegenden Organisationsprinzipien der Selbstorganisation und des Gemeineigentums an den Immobilien umfasst. Unter den heterogenen Leipziger Hausprojekten bilden die oben erwähnten Kollektivhäuser eine progressive Teilgruppe, die durch weitergehende Prinzipien verbunden sind. Dies zeigt das nachfolgende Selbstverständnis einer Kollektivhausgruppe, in dem neben der Ablehnung von Privateigentum und der zentralen Bedeutung selbstbestimmten Wohnens gerade der Verpflichtung auf eine gemeinschaftliche und solidarische Organisation des Projekts Ausdruck verliehen wird: "Wir wollen nicht länger alleine in einer Mietwohnung leben und auf die Zufälligkeit einer guten Nachbarschaft hoffen, sondern stattdessen in einem Haus in der Stadt leben, in dem alle, die dort wohnen sich nach ihren Möglichkeiten gegenseitig unterstützen. Privates Wohneigentum kam für uns nicht in Betracht. Wir wollen eine solidarische Hausgemeinschaft ohne auf eigene Rückzugsbereiche zu verzichten. Das Haus gehört praktisch all denen, die dort wohnen. Also: sicheres, günstiges und selbstbestimmtes Wohnen! Gleichzeitig wollen wir mit diesem Haus zeigen, dass eine andere Form des Zusammenlebens praktisch möglich ist. Es wird daher öffentliche Räume geben, in denen über das Hausprojekt berichtet werden kann und die offen sind für andere Gruppen aus der Stadt." (Kunterbunte 19 2016) Der Fokus der nachfolgenden Untersuchung liegt mit den neueren Leipziger Hausprojekten auf selbstorganisierten Wohnarrangements, die jenseits von Unterschieden in den zugrunde liegenden Rechtsformen sowie einer Vielfalt von kulturellen und politischen Einflüssen eine Basis gemeinsamer Organisationsprinzipien besitzen und sich in der lokalen Hausprojekteszene intensiv vernetzen. Die Kollektivhäuser als hartem Kern der Leipziger Hausprojekteszene stehen dabei im Zentrum der Untersuchung, da die szeneinternen Aktivitäten und Strukturen, die über die interne Organisation der Hausprojekte hinausgehen, maßgeblich von Akteuren aus den enger vernetzten Kollektivhäusern getragen werden. Ergänzend werden die Sichtweisen der Bewohner der Hausprojekte jenseits der Kollektivhäuser berücksichtigt, um die Abgrenzungen und Differenzierungen innerhalb der Hausprojekteszene herauszuarbeiten. Im Kontext der sich rasant wandelnden Leipziger Stadt- und Wohnungsmarktentwicklung fragt die vorliegende Untersuchung als sinnverstehende Analyse nach der sozioökonomischen und räumlichen Logik der szenehaft vernetzten Leipziger Hausprojekte. Indem die Charakteristika, Motivationen und Lebensstile der Bewohner sowie die institutionelle Verfasstheit der Projekte analysiert werden, wird die sozioökonomische Logik der neueren Hausprojekte herausgearbeitet. Zudem wird durch die Untersuchung der Standortentscheidungen und der Ausstrahlungswirkungen die stadträumliche Logik der Hausprojekte aufgearbeitet. Die Analyse der innovativen Formen kollektiver Wohnraumbeschaffung in Hausprojekten ist dabei auf die Destillation von Modellcharakteristika gerichtet, die den Bewohnergruppen vielfältige Handlungs- und Gestaltungsspielräume in quartiersbezogenen Entwicklungs- und Aufwertungsprozessen eröffnen sowie weitreichende Implikationen für die selbstorganisierte Bereitstellung preisgünstigen Wohnraums besitzen. Im Anschluss an die Einleitung wird mit dem Commons-Konzept zunächst der theoretische Rahmen der vorliegenden Untersuchung aufgearbeitet und für die Analyse kollektiver Steuerungsarrangements über Wohnraum adaptiert, da das Commons-Konzept traditionell in Bezug auf gemeinschaftlich genutzte natürliche Allmenderessourcen wie Viehweiden Anwendung gefunden hat. Das Commons-Konzept stellt eine tragfähige Fundierung der Analyse kollektiver selbstorganisierter Wohnformen dar, da der institutionenökonomische Strang der Commons-Forschung (Wade 1988, Ostrom 1990) ein differenziertes Verständnis der institutionellen Steuerungsarrangements über gemeinschaftlich verwaltete Güter, der Rechtspositionen der Commons-Mitglieder und der internen Steuerungsmechanismen entwickelt hat. Der Embeddedness-Ansatz der Commons-Forschung (McCay/Jentoft 1998) sensibilisiert darüber hinaus für die soziale Einbettung der Mitglieder selbstorganisierter Arrangements und verweist auf ihre Begründung durch Gemeinschaften interdependenter Mitglieder, die nicht ausschließlich nutzenrational motiviert handeln. Das Commons-Konzept bezieht seine Relevanz daneben aus der intensiven Rezeption in sozialen Bewegungen und stadtpolitischen Initiativen sowie der Bedeutung in einer Reihe von neuen Anwendungsgebieten und Forschungsfeldern. Mit Hausbesetzungen und Wohnungsgenossenschaften werden zum Abschluss der theoretischen Ausführungen die bedeutendsten Formen der selbstorganisierten Beschaffung nichtkommerziellen Wohnraums diskutiert, die Züge von Commons tragen und wichtige Bezugspunkte der in der vorliegenden Arbeit untersuchten Hausprojekte darstellen. In Kapitel 1 wird das methodische Vorgehen der Untersuchung dargelegt, begründet und kritisch reflektiert. Die empirische Untersuchung erstreckte sich auf meh…
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