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Im 20. Jahrhundert knüpften die Schweiz und Ruanda enge Beziehungen. Anfängliche Kontakte zwischen Schweizer Missionaren und der ruandischen Bevölkerung festigten sich zu einer vielfältigen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Die kolonialen und postkolonialen Verbindungen entstanden aus der Vorstellung, Ruanda nach westlichem Vorbild entwickeln zu können, und aus dem Wunsch beider Länder nach nationaler Selbstbestätigung. Die ersten Schweizer in Ruanda waren Missionare. Sie beteiligten sich am Aufbau der katholischen Kirche in Ruanda und besetzten leitende Positionen, darunter das Bischofsamt. Nach der Unabhängigkeit Ruandas 1962 bestimmte die Schweizer Entwicklungshilfe Ruanda zu ihrem Schwerpunktland in Afrika. Sie baute die grösste Produzenten- und Konsumgenossenschaft des Landes (Trafipro) auf. Zudem entsandte die Schweiz zwischen 1963 und 1975 fünf Präsidentenberater nach Kigali. Das Buch stellt die lange Verflechtungsgeschichte der beiden Staaten ins Zentrum, in deren Verlauf es zwischen 1959 und 1973 auch zu Massenverbrechen und Fluchtbewegungen kam. Der Autor analysiert die vielfältigen Interessen auf staatlicher und individueller Ebene sowie die von Widersprüchen geprägte schweizerische Hilfe. Neben öffentlichem Archivmaterial basiert die Studie vor allem auf privaten Briefen, Tagebüchern und Fotos sowie auf Interviews mit damals tätigen Missionaren und Entwicklungsfachleuten aus der Schweiz und aus Ruanda.
Autorentext
Lukas Zürcher ist Historiker und arbeitet an der Universität Zürich. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte der Entwicklungshilfe, Kirchen- und Missionsgeschichte sowie Afrikanische Geschichte.
Klappentext
Im 20. Jahrhundert knüpften die Schweiz und Ruanda enge Beziehungen. Anfängliche Kontakte zwischen Schweizer Missionaren und der ruandischen Bevölkerung festigten sich zu einer vielfältigen zwischenstaatlichen Zusammenarbeit. Die kolonialen und postkolonialen Verbindungen entstanden aus der Vorstellung, Ruanda nach westlichem Vorbild entwickeln zu können, und aus dem Wunsch beider Länder nach nationaler Selbstbestätigung. Die ersten Schweizer in Ruanda gehörten zur Missionsgesellschaft der Weissen Väter. Sie beteiligten sich am Aufbau der katholischen Kirche in Ruanda und besetzten leitende Positionen, darunter das höchste kirchliche Amt. Kurz nach Ruandas Unabhängigkeit 1962 bestimmte der Dienst für technische Zusammenarbeit (heute DEZA) Ruanda zu seinem Schwerpunktland in Afrika. Er baute unter anderem mit der Produzenten- und Konsumentengenossenschaft Travail, Fidélité, Progrès (Trafipro) die grösste Genossenschaft des Landes auf. Zudem entsandte die Schweiz zwischen 1963 und 1975 fünf Präsidentenberater nach Kigali. Der ruandische Völkermord 1994 liess Befürchtungen aufkommen, die Schweiz habe zum Genozid beigetragen. Die Studie setzt sich auch mit diesen Vorwürfen auseinander. Sie stellt aber nicht den Völkermord, sondern die lange Verflechtungsgeschichte beider Staaten ins Zentrum, in deren Verlauf es zwischen 1959 und 1973 ebenfalls zu Massenverbrechen und Fluchtbewegungen kam. Der Autor fragt, wie die gemeinsamen Beziehungen aufgebaut und gefestigt werden konnten. Er analysiert die vielfältigen Interessen auf staatlicher und individueller Ebene sowie die von Widersprüchen und Ambivalenzen geprägte schweizerische Hilfe. Neben öffentlich zugänglichem Archivmaterial basiert die Studie vor allem auf privaten Briefen, Tagebüchern und Fotos sowie auf Interviews mit damals tätigen schweizerischen und ruandischen Entwicklungsfachleuten
Inhalt
1 Koloniale Mitarbeit: Schweizerischer Missionseinsatz im Königreich Ruanda 1.1 Herkunft, Werdegang und Tätigkeitsfelder der ersten Schweizerinnen und Schweizer in Ruanda Kardinal Lavigerie, die Weissen Väter und die Weissen Schwestern Die ersten Weissen Väter aus der Schweiz Die Vorreiter und Wegbereiter André und Jean Perraudin Die ersten Schweizer Protestanten und Geschäftsleute 1.2 Die Erfindung von Hutu und Tutsi im Zeichen politischer Zentralisierung, kolonialer Herrschaft und christlicher Mission Ethnogenese im vorkolonialen Ruanda Ethnogenese im kolonialen Ruanda Ethnogenese im Vorfeld der Dekolonisation 1.3 Die katholische Kirche Ruandas unter Erzbischof André Perraudin Perraudins Ernennung zum Bischof von Kabgayi Politische Spannungen und ethnische Gewalt Von der Gewalt zur Revolution 1.4 Koloniale Analogiebildungen zwischen der Schweiz und der 'Schweiz Afrikas' 2 Gegenseitige Partnerwahl: Integrationsbemühungen zweier Kleinstaaten in die postkoloniale Welt 2.1 Die Schweiz als Vorbild und Modell 2.2 Ruanda als 'Pays de la Liberté, de la Discipline et de la Gaîté' 2.3 Auf dem Weg zur bilateralen Zusammenarbeit Erste offizielle Kontakte Auswahlverfahren und Selektionskriterien Abklärungsreise nach Ruanda und Selektionsentscheid 2.4 'Ethnische Säuberungen' im Paradies: Die schweizerische Entwicklungshilfe auf dem Prüfstand Eskalation der Gewalt zum Jahreswechsel 1963/64 Reaktionen der Staatengemeinschaft und der internationalen Presse Reaktionen der schweizerischen Presse 2.5 Schweizerische Interpretationen und Rechtfertigungen der inner-ruandischen Gewalt Individuelle Interpretationen und Rechtfertigungen Politische Interpretationen und Rechtfertigungen Tiefe Opferzahlen, geopolitische Einordnungen und historische Analogien 3 Widersprüchliche Zusammenarbeit: Konstruktionen von Gleichheit und Differenz im Zeichen schweizerischer Selbstvergewisserung 3.1 Die Entwicklungshilfe der Schweiz auf der Suche nach maximalem Prestige 3.2 'Wir sind nicht Lückenbüsser': Das Dilemma bei der Projektauswahl Vielfältige Einsatzmöglichkeiten Schwierige Entscheidungsfindung 3.3 'Experten' und 'Freiwillige': Schweizerische Vorstellungen idealer Entwicklungsfachleute Die Erfindung des 'Experten' Die Erfindung des 'Freiwilligen' 3.4 'Harte Afrika-Schweizer': Wege und Abwege zwischen Tatendrang und Handlungsfreiheit Selbstbestätigung, Leistungswille und Handlungsdruck Handlungsfreiheit mit Konfliktpotential 3.5 Grenzen schweizerischer Anpassungs- und Integrationsfähigkeit in Ruanda Infrastrukturaufbau in Ruanda Kontakte zur ruandischen Bevölkerung Freiwilligendienst in Bedrängnis 4 Hartnäckige Hilfe: Schweizerisches Engagement im Bann der Kontinuität 4.1 'Suis-je consulté? Non': Die Funktion der Schweizer Präsidentenberater in Ruanda Hans Karl Frey Marcel Charles Heimo Etienne A. Suter Josef Anton Graf August R. Lindt 4.2 Das Entwicklungsprojekt Trafipro und die Grenzen der Zusammenarbeit Gründungsphase und erster Niedergang Schweizerische Deutungsmuster der Geschichte der Trafipro Der erste Wiederaufbau Der zweite Wiederaufbau Konsolidierung auf tiefem Niveau Folgen der Beständigkeit 4.3 Konfrontationen von Schweizerinnen und Schweizern mit organisierter Gewalt Staatliche Gewalt gegen Tutsi Ruandische und schweizerische Einordnungen der innerruandischen Gewalt Schweizerische Konfrontationen mit Gewalt Schweizerische Reaktionen auf die Gewalt 4.4 Schweizerischer Umgang mit Gewalt und die Ambivalenzen anhaltender Kooperation Individuelle Verarbeitungsmuster Politische Verarbeitungsmuster Gewaltverarbeitung am Collège officiel in Kigali Gewaltverarbeitung in der Trafipro Schlusswort: Grundzüge der postkolonialen Schweiz in Ruanda Drei Phasen intensiver Verflechtung Entwicklungslinien bis in die Gegenwart