

Beschreibung
»Schonungslos werde ich in diesem Buch über alle die Wahrheit sagen, über alles und jeden, aber nur fast alles über mich selbst.« Die letzten Notizen von Karl Otto Mühl ergeben ein volles, hinreißendes und erhellendes Buch. Erzählend, sprechend, beobachtend, k...»Schonungslos werde ich in diesem Buch über alle die Wahrheit sagen, über alles und jeden, aber nur fast alles über mich selbst.« Die letzten Notizen von Karl Otto Mühl ergeben ein volles, hinreißendes und erhellendes Buch. Erzählend, sprechend, beobachtend, kommentierend führt er uns durch die wechselhafte Zeit eines Lebens, mit den Augen eines weisen Mannes, der uns bereichert, denn er konnte etwas Seltenes: Zuhören und verstehen. »In diesem Manuskript ist keine durchgehende Handlung zu finden, fällt mir ein. Aber das habe ich so gewollt, ich kenne ja auch die durchgehende Handlung meines Lebens nicht. Durchgehend sind nur die Krankheiten meiner Freunde, die ich verfolge.«
Autorentext
Karl Otto Mühl wird am 16.2.1923 in Nürnberg geboren. 1929 erfolgt der Umzug der Familie nach Wuppertal. Dort Ausbildung zum Industriekaufmann. 1941 Kriegsdienst in Afrika, Gefangenschaft in Ägypten, Südafrika, USA, England. Im Februar 1947 Rückkehr nach Wuppertal, wo er sich der Künstlergruppe »Der Turm« anschließt, der auch Paul Pörtner angehört. Erste Kurzgeschichten werden 1947/48 veröffentlicht. Mit den Theaterstücken »Rheinpromenade«, »Kur in Bad Wiessee«, »Die Reise der alten Männer« gelingt ihm der Durchbruch.Seither veröffentlichte Karl Otto Mühl dreizehn Theaterstücke, zahlreiche Fernsehfilme, Hörspiele und Romane. Die Stadt Wuppertal verlieh ihm 1975 den von-der-Heydt-Preis. 2006 erhielt er den Literaturpreis der Springmann Stiftung und 2015 den Rheinlandtaler. Er war Mitglied im Verband deutscher Schriftsteller (VS) und im P.E.N. Am 21. August 2020 stirbt Karl Otto Mühl in Wuppertal
Leseprobe
VORWORT Vor ein paar Jahren, als Karl Otto noch zu den Vollversammlungen des Verlags der Autoren nach Frankfurt fuhr, stand ich mit ihm und ein paar Kollegen in der Mittagspause draußen und wir unterhielten uns. Gerade hatte jemand im Plenum den Vorschlag gemacht, man könne doch unter dem Dach des Verlags eine weitere Gruppe oder ein Komitee, jedenfalls eine Art Vereinigung gründen, zum Zwecke, dass Autoren mit anderen Autoren ihre Werke zum gegenseitigen Lesen und Anmerken tauschen. Also Feedback, konstruktive Kritik, writing is re-writing und weitere Scheußlichkeiten dieses Berufs. Ich hielt nicht viel davon und fragte Michael (ich benutze jetzt auch mal ein Alias) nach seiner Meinung. Michael fand natürlich, das wäre doch eine tolle Idee, als Autor sei man ja oft ein Einzelkämpfer, betriebsblind, je mehr Meinungen, desto besser, wen solle man sonst fragen? Karl Otto blickte ihn kurz an und sagte in seiner freundlich-verschmitzten Art »Hast Du keine Freunde?« Das ist eine Anekdote, die ich gerne, und besonders gerne Autoren, erzähle ... Leuten, die Karl Otto kannten, und jenen, die ihn nicht kannten, denn sie fasst ihn eigentlich ganz gut zusammen. Seinen schnellen Witz, sein Gespür für Timing und Dialog, seine Fähigkeit, die Schwachstelle von Meinungen und Argumenten bloßzustellen, ohne bösartig zu werden, und sie zeigt auch, auch welch hohen Stellenwert Freundschaft in seinem Leben und Schaffen, untrennbar, hatte. Ich bin sehr stolz, dass ich sein Freund sein durfte, und wenn auch die Initiative dazu nicht komplett von ihm ausging, so waren es doch zweifellos seine große Offenheit und Neugierde und Bereitschaft, Menschen unter seine Fittiche zu nehmen, die dazu führten, dass so unterschiedliche Gemüter wie er und ich gute Freunde wurden. Karl Otto wurde 1923 geboren, ich 1972. Er musste in die Wehrmacht und war Kriegsgefangener, ich wurde ausgemustert. Karl Otto hat viele Jahre in der Industrie gearbeitet, ich bin direkt nach dem Studium Autor geworden. Er schrieb hauptsächlich für's Theater, ich für's Fernsehen. Und was verband uns dann? Dazu am Ende dieser Ausführungen ein kurzes Wort. Dieses besondere Buch »Mein Leben als Greis« hat auch eine eher ungewöhnliche Entstehungsgeschichte. Ein paar Monate vor seinem Tod bat mich Karl Otto, das Manuskript hierzu (es war eine dicke Word-Datei) auf Indiskretionen und Doppelungen zu überprüfen. Er selbst konnte leider kaum noch sehen. Ich fand, ich wäre zunächst eine seltsame Wahl, denn ich kannte ihn ja nicht so lange wie die meisten anderen seiner Freunde, die außerdem zum Teil erfahrene und renommierte Schriftsteller waren. Andererseits fühlte ich mich geehrt und war zudem neugierig und legte los. Ich war leider noch nicht weit gekommen, als Karl Otto starb. Seine Frau Dagmar Mühl bat mich dann, die Arbeit fortzusetzen. Angesichts der Fülle und Art der Aufzeichnungen aus den Jahren 2014 bis 2018 ungefähr -, fühlte ich mich anfangs überfordert. Was war das überhaupt für ein Text? Manches las sich wie Tagebucheinträge, es gab kurze Prosastücke, Aphorismen und Gedanken, Lyrik und Erinnerungen. Zunächst dachte ich, ich müsste die Abschnitte ordnen, um den Text später in Kapitel oder Ähnlichem neu zu gliedern, und führte eine Strichliste. So und so viel Tagebuch, so und so viel Memoiren, so und so viel Stehcafé und so weiter. Bald merkte ich, dass das Buch in seiner Struktur genau so richtig war, wie es war. Das einzig ordnende Element ist eine mehr oder weniger stringente Chronologie. Das heißt aber nicht, dass man das Buch von vorne bis hinten lesen muss. Man kann auch einfach eine Seite aufschlagen, sich überraschen lassen. Es hat etwas von einer persönlichen Unterhaltung mit Karl Otto. Und dass wir so was von ihm haben, ist ein großes Glück und ein gewisser Trost. Er bemerkt an einer Stelle »Ich habe schon längst beschlossen, keine Geschichten mehr zu schreiben. Ich finde alle gelesenen oder von mir erfundenen Geschichten langweiliger als das Leben selbst, das ich führe und das mir begegnet.« Doch nicht jeder kann aus dem Leben, das ihm begegnet, auch Kunst machen, die berührt. Nicht jeder kann so gut beobachten. Strindberg hat wohl mal sinngemäß gesagt, ein Schriftsteller müsse wie ein Vampir seinen Freunden, seinen Nächsten und sich selbst das Blut aussaugen. Karl Otto würde dem wohl kaum zustimmen. Seine Beobachtungen und Schilderungen von Menschen, seien es Freunde, Bekannte, Familie oder zufällige Begegnungen, sind zwar sehr genau, treffend und tiefgründig, aber nie boshaft, zynisch oder entlarvend. Selbst als fortschreitende Blindheit, Krankheit und eingeschränkte Bewegungsfähigkeit ihn bisweilen, wie zu lesen ist, mutlos machten oder frustrierten, ist doch stets sein abgeklärter Optimismus und ein möglicherweise leicht verzweifelter Glaube an das Gute im Menschen spürbar. Und die Neugierde, was wohl nach all dem Erdenleben kommen könnte. »Und dann bin ich bei meinem Dauerthema, dem Sterben. Ich schriebe zu viel darüber, hat jemand gesagt, aber ich kenne seinen Maßstab nicht. Bei mir ist das so, dass ich mich an den Gedanken gewöhnen möchte, aber ich weiß nicht, ob das möglich ist.« Ich muss gestehen, beim Redigieren haben mich die häufigen Schilderungen von Krankheit und Tod doch manchmal deprimiert. Aber natürlich gehören die Auseinandersetzungen damit zum Leben als Greis dazu. Auffällig ist die wiederholte Erwähnung eines Hamlet-Zitats. Ich hab es absichtlich an allen Stellen im Text belassen, denn es wird schon seinen Grund haben, warum es ihm oft durch den Sinn ging. Gewundert hat mich, dass ein bestimmtes Gedicht von Dylan Thomas keine Erwähnung fand, denn er hat mich ein paar Mal danach gefragt und wir haben darüber gesprochen: »Do not go gentle into that good night./Rage, rage against the dying of the light.« Möglicherweise lag zorniges Toben Karl Otto zu fern. Eine Anekdote, die auch mehrmals im Text vorkommt, und die er persönlich oft gerne erzählte, handelt von dem berühmten Ausflug mit dem VW-Käfer, als nicht mehr ganz junger Mann, in den Teutoburger Wald. Er bekommt Herzkrämpfe; der Arzt verschreibt, Anstrengung und Erregung zu vermeiden, Spaziergänge. Es kommt zu einer Art Erweckungsmoment, »das Festhalten an Sorgen, Grübeleien, Gier, Ängsten« fällt von ihm ab. »Es war, als ob ich ein neuer Mensch geworden wäre, und es änderte mein ganzes Leben und Schreiben blitzartig.« Ich …
