

Beschreibung
Erstmals nimmt Julia Schmid die in den 1880er Jahren entstandene nationalistische Bewegung sowohl in Deutschland als auch in Österreich in den Blick. Sie untersucht die radikalnationalistischen Vereine, die diese Bewegung trugen und ein überstaatliches soziale...Erstmals nimmt Julia Schmid die in den 1880er Jahren entstandene nationalistische Bewegung sowohl in Deutschland als auch in Österreich in den Blick. Sie untersucht die radikalnationalistischen Vereine, die diese Bewegung trugen und ein überstaatliches soziales Netzwerk ausbildeten. Sie schildert deren Feiern und Symbolik sowie die Deutung der Nationalitätenkonflikte im Habsburgerreich und fördert damit neue Aspekte der deutsch-österreichischen Geschichte zutage.
Autorentext
Julia Schmid, Dr. phil., promovierte am Sonderforschungsbereich »Kriegserfahrungen Krieg und Gesellschaft in der Neuzeit« der Universität Tübingen.
Leseprobe
Im Zentrum der vorliegenden Arbeit stehen die sogenannten nationalen Schutzvereine und die deutschnationalen Parteien Österreichs sowie die nationalistischen Vereine im Deutschen Kaiserreich. Basierend auf einer organisations- und sozialgeschichtlichen Analyse wird die Konstruktion von Erfahrung innerhalb des deutschösterreichischen und reichsdeutschen Nationalismus untersucht. Dabei handelt es sich nicht um einen Vergleich. Die Ausgangshypothese lautet vielmehr, dass es sich um ein grenzüberschreitendes deutschnationales Milieu als Teil einer sich ausweitenden Öffentlichkeit handelte. Diese kann, im Bild eines Gitters, als "eine sektoral vielfach unterteilte öffentliche [] Sphäre" verstanden werden, die sowohl horizontal als auch vertikal strukturiert ist. Die deutschnationale Öffentlichkeit bildete eine dieser vertikalen Teilöffentlichkeiten, die selbst wiederum horizontal untergliedert war, wobei am unteren Ende die Öffentlichkeit der Vereinsortsgruppe, am oberen Ende die massenmediale Öffentlichkeit stand. Diese Kommunikationsräume überlappten sich und waren miteinander verzahnt. Die Arbeit widmet sich einer Personengruppe, die einen radikalen deutschen Nationalismus vertrat. Ihre Vorstellung von Nation bildete den absoluten Richtwert all ihres Handelns, und sie beanspruchte als nationale Elite, als die sie sich selbst wahrnahm, Sprecher dieser Nation zu sein. Diese bedingungslose Form des Nationalismus war durchaus anschlussfähig an einen in breiteren gesellschaftlichen Schichten vertretenen Nationalismus. Wie in der gesamten Entwicklung des modernen Nationalismus zeigt sich auch hier, dass die dichotomische Unterscheidung zwischen einer guten, patriotischen oder nationalen Gesinnung auf der einen, einem schlechten, aggressiven Nationalismus auf der anderen Seite in der Praxis nicht trägt. Nationalismus bewegt sich vielmehr immer "im Spannungsfeld zwischen den beiden Hauptpolen [] - Partizipation und Aggression". Mit Blick auf den deutschen Nationalismus bedeutet dies, die vor allem im Bildungsbürgertum weit verbreitete nationale Gesinnung gedanklich nicht strikt von dem extrem nationalistischen Milieu zu trennen, denn dies würde das Verständnis dafür blockieren, wie eine Radikalisierung des Nationalismus breiterer Bevölkerungsschichten im und in der Folge des Ersten Weltkriegs möglich war. Auch mit Blick auf den in dieser Arbeit untersuchten Personenkreis tut sich ein Spektrum verschiedener Ausprägungen nationalistischer Deutungsmuster und Politikvorstellungen auf. Dies ist einer der Gründe, die es erschweren, die gesamte Gruppe begrifflich als Einheit zu erfassen. Hinzu kommt die einengende Besetzung einzelner Begriffe durch ihre Verwendung als Selbstbezeichnung interner Fraktionen. So ist der Begriff alldeutsch längst semantisch eingeengt auf den Alldeutschen Verband oder die Anhänger Georg Ritter von Schönerers, was bereits zeitgenössisch zu Verwirrungen und Auseinandersetzungen führte. Hinzu kommt, dass sich die Forschung bisher nie mit dem hier in seiner Gesamtheit untersuchten Personenkreis beschäftigt hat, sondern entweder nur mit dem reichsdeutschen oder dem deutschösterreichischen radikalen Nationalismus, hier wiederum nur mit den Parteien oder nur mit den Schutzvereinen. Auch Günter Schödl schafft in seiner Systematik verschiedener "Varianten deutscher Nationalpolitik" wenig begriffliche Klarheit, wenn er eine völkisch-alldeutsche, eine deutschnationale und eine schönerianisch-alldeutsche Richtung unterscheidet. Die Schutzvereine sieht er als eine weitere Variante in diesem "deutschnational-alldeutschen Zusammenhang". Die vorliegende Studie verwendet die Begriffe deutschnational, radikalnational und nationalistisch - in qualitativer Abgrenzung zu national - weitgehend synonym für eine Personengruppe, die sowohl auf Vereins- als auch auf Parteiebene in Österreich wie im Deutschen Reich kompromisslos einen aggressiven, radikalen Nationalismus vertrat und personell-organisatorisch wie ideell vielfältig vernetzt war. Die Bezeichnungen alldeutsch und deutschradikal werden eingeschränkt auf ihre partei- oder verbandspolitische Fixierung benutzt.
Inhalt
Inhalt Vorwort 1. Einleitung 2. Die nationalistische Bewegung in Österreich und dem Deutschen Kaiserreich bis zum Ersten Weltkrieg 2.1. Staatliche Trennung und Beginn der politischen und gesellschaftlichen Fragmentierung 2.2. Die Ausbildung des reichsdeutsch-deutschösterreichischen nationalistischen Milieus 2.3. Ausweitung, Professionalisierung und Ausdifferenzierung 2.4. Sozialstruktur und Mitgliederverteilung innerhalb des deutschnationalen Vereins- und Parteiwesens 3. Die deutschnationale Erfahrungsgemeinschaft 3.1. Die deutschnationale Handlungsgemeinschaft 3.1.1. "Vom deutschen Volkstum und seinen Gegnern" - Die deutschnationale Presse als Akteur 3.1.2. "Deutsch die Rede, deutsch das Herz, durch und durch gediegen Erz!" - Pflege deutscher Sprache und Kultur 3.1.3. "Wahrzeichen des deutschen Charakters" - Feiern, Denkmäler, Symbolik 3.1.4. "Deutsche! Kaufet bei Deutschen!" - Wirtschaftsnationales Handeln 3.1.5. "Schützet durch Wandern unsere Sprachgrenze" - Nationaler Tourismus 3.2. Deutschnationale Geschichtsdeutung und Heldenverehrung 3.2.1. Wiedererweckung "germanischer Helden-Gesinnung" - Der Germanenmythos 3.2.2. Die "Besiedelung des deutschen Volksbodens" 3.2.3. Das "leuchtendste, großartigste Werk nationaler Selbsthilfe" - Die Befreiungskriege 3.2.4. Das "Sinnbild deutschen Wesens" und die "Wiedergeburt" der Nation - Bismarck und die Gründung des Deutschen Kaiserreichs 3.3. Die deutsche Gemeinbürgschaft - Wahrnehmung und Deutung der Nationalitätenkonflikte in Österreich 3.3.1. "Slavische Angriffe auf Cillis Deutschtum" (1894/95) 3.3.2. "Gegen die Sprachenverordnungen" (1897) 3.3.3. "Universitätsschmerzen" (1904) 3.3.4. "Nur Reichsdeutsche"? (1906/07) 3.3.5. Die "ersten Vorstöße in dem konzentrischen Ansturm des Slawentums" (1908) 3.3.6. "Nibelungentreue"? (1908, 1912/13) 4. Deutschnationale Nationsvorstellungen und politische Konzepte 4.1. Sprache - Kultur - Rasse 4.2. Volk - Staat - Monarch 4.3. Natur - Land - Raum 4.4. Ein deutsches Mitteleuropa? Statistischer Anhang Statistikverzeichnis Abbildungsverzeichnis Zeitungen und Zeitschriften Literatur
