

Beschreibung
Der Autor beschreibt in diesem Kompendium Ansätze der Freizeit- und Erlebnispädagogik im Handlungsfeld der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankungen und will damit zum besseren Verständnis der Freizeit- und Erlebnispädagogik beitragen. Er informie...Der Autor beschreibt in diesem Kompendium Ansätze der Freizeit- und Erlebnispädagogik im Handlungsfeld der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankungen und will damit zum besseren Verständnis der Freizeit- und Erlebnispädagogik beitragen. Er informiert den Leser über den Forschungsstand zur Freizeit- und Erlebnispädagogik und zur Evidenz dieser Ansätze, Vorgaben der Sozialversicherungsträger für die Rehabilitation sowie das freizeit- und erlebnispädagogische Teilkonzept der Dietrich-Bonhoeffer-Klinik in Großenkneten-Ahlhorn (Niedersachsen).
Bindungs- und Beziehungsstörungen, Mängel an gemeinschaftlichen Erfahrungen und an Wissen über Freizeitmöglichkeiten führen bei abhängigkeitskranken Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erheblichen Einschränkungen in ihrer sozialen Teilhabe. Freizeit- und Erlebnispädagogik gibt darauf eine plausible Antwort und ist seit den 1980er Jahren ein eigenständiges anerkanntes Angebot der Basistherapie in der medizinischen Rehabilitation Abhängigkeitserkrankungen. Charakterisiert ist dieses Bildungs- und Therapieangebot durch ein offenes Setting und einen hohen Grad an Selbstbestimmung und Partizipation für den Rehabilitanden.
Autorentext
Jürgen Schlieckau ist Diplom-Pädagoge (Erwachsenenbildung). In seiner 22-jährigen Tätigkeit als Pädagogischer Leiter und psychoanalytisch-interaktionell orientierter Sozialtherapeut in der Dietrich-Bonhoeffer-Klinik beschäftigte er sich u.a. intensiv mit konzeptionellen Fragen der Freizeit- und Erlebnispädagogik und der pädagogischen und therapeutischen Praxis im Handlungsfeld der medizinischen Rehabilitation.
Neben seiner beruflichen Tätigkeit engagiert er sich als Autor und Co-Autor einer Reihe von Fachbeiträgen zu den Sachthemen Alkoholpolitik, Erziehung und Kommunikation und pädagogische Behandlungsansätze bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit Abhängigkeitserkrankungen.
Leseprobe
Textprobe:
Kapitel 5: Freizeit- und Erlebnispädagogik in der Postakutbehandlung:
5.1. Neurophysiologische Aspekte der Freizeit- und Erlebnispädagogik:
Neuronale Plastizität ist erfahrungs- und aktivitätsabhängig. In der Kindheit ist die neuronale Plastizität am größten und wird in besonderer Weise von Bewegung beeinflusst. Kindliche Bewegungsaktivität ist eine natürliche Ressource und Basis einer gesunden Entwicklung. Die aktive Auseinandersetzung mit der Umwelt, also Aktivität und Erfahrung fördert die Neuro- und Synaptogenese, die körperliche Fitness, die kognitive, emotionale, soziale und intellektuelle Entwicklung und die Resilienz.
Bereiche des Gehirns, die im freizeit- und erlebnispädagogischen Setting besonders trainiert werden und exekutive Funktionen betreffen, sind:
das frontale Augenfeld.
Der sensomotorische Bereich.
Die Sehrinde.
Der Bereich der visuellen Assoziierung.
Der Bereich der akustischen Assoziation.
Das Hörzentrum.
Brocas Bereich.
In diesen Hirnarealen werden Aufmerksamkeitsprozesse, Inhibition und kognitive Flexibilität gesteuert und entwickelt.
Der Neurobiologe Gerald Hüther sagt:
"Je komplexer und verzweigter die 'Straßennetze' im Gehirn, desto reichhaltiger und vielseitiger das Spektrum der Reaktionen, die zur Lösung von Problemen eingesetzt werden können".
Jugendliche mit hohen SSS-Werten im Sensation-seeking-Test haben hohe Dopamin-Werte und geringe Serotonin-Werte. Sie sind schlecht vor Gefahren geschützt und haben eine geringe Toleranz für Langeweile, Wiederholungen und Gleichförmigkeit. Daher korrelieren hohe Sensation-seeking-Werte u.a. stark mit Alkohol- und Drogenkonsum, pathologischem Glücksspiel und Online-Mediensuchtverhalten.
Die medizinische Rehabilitation bietet Jugendlichen, die psychisch belastet sind Möglichkeiten, über Erfahrungen im Freizeitbereich zentralnervöse Anpassungsprozesse zu leisten.
Wenn wir aber dem Educanden bei der Lösung aller Aufgaben helfen und fertige Lösungen anbieten, berauben wir ihn dessen, was für seine geistige Entwicklung das Wichtigste ist: das Experiment. Das wäre ein Erziehungsfehler. Körper und Gehirn können nicht wachsen, wenn Educanden nicht vor Aufgaben gestellt werden, an denen sie wachsen können.
5.2. Mangel an gemeinschaftlichen Erfahrungen:
In der stationären Einrichtung leben Jugendliche im Klinikmilieu und in eigenen Subkulturen. Daher ist es für das Behandlerteam wichtig, jugendkulturelle Milieus und Werte zu verstehen, insbesondere dann, wenn es sich um kulturell fremde Bezüge wie z.B. bei Educanden mit Migrationshintergrund handelt. Zu Beginn der Behandlung werden die Educanden dort "abgeholt", wo sie hinsichtlich ihrer Fähigkeiten "stehen".
Der Educand ist auf der Suche nach Selbstbestätigung, Liebe, Zuwendung, Geborgenheit, Trost, Sinn und einer eigenen stabilen Identität. Im Verlauf der stationären Behandlung wird er mit neuen Werten konfrontiert, die symbolisch auch durch das Milieu der stationären Einrichtung repräsentiert werden. Neue Verhaltensmodi treten an die Stelle früherer Überlebensstrategien, die sich z. B. in Werten der "Knastszene" oder "Drogenszene" symbolisieren: "keine Blöße zeigen"; "gewalttätig sein hilft zum Überleben", "Dealen ist das notwendige Übel, um die Sucht zu finanzieren und zu überleben", "Skater kiffen nun mal...", usw.
Vielfältige Mangelerfahrungen randständiger Jugendlicher, die ihre Entwicklungsaufgaben im Jugendalter nur unzureichend oder überhaupt nicht lösen konnten und daher unzureichende Überlebensstrategien entwickelt haben, lassen sich als Teufelskreis darstellen:
Mängel an:
Akzeptanz und menschlicher Wärme.
Vertrauen und Selbstvertrauen.
Freizeitinteressen.
Arbeit.
Humanen Freizeit- und Bildungsangeboten.
Beziehungs-. Kontakt- und Bindungsstörungen.
Usw.
Stören besonders die Entwicklung im Jugendalter und verhindern den Aufbau der Selbstwirksamkeitserwartung und Handlungsergebniserwartung des Jugendlichen. Dies
