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Ehrenamtliches Engagement ist ein Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Trotzdem ist bislang unbekannt, über welche Zeiträume Ehrenämter ausgeübt werden. Anhand empirischer Analysen zeigt Jens Ehrhardt, dass sich Freiwillige meist nur für kurze Zeit engagieren und dass dieses soziale Feld durch starke Fluktuationen gekennzeichnet ist. Er identifiziert fünf Grundformen des Engagements mit unterschiedlichem Nutzen für die Menschen, die sie ausüben: religiös motiviertes Engagement, statusbezogene Tätigkeiten, solche in Zweckvereinen und in Gemeinschaften sowie Engagement, das auf den Erwerb von Wissen ausgerichtet ist.
Autorentext
Jens Ehrhardt, Dr. phil., Soziologe, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am European University Institute in Fiesole/ Florenz.
Leseprobe
Zwischen einem Viertel und einem Drittel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland ist ehrenamtlich aktiv. Der Freiwilligen-Survey von 1999 misst für Personen ab 14 Jahren in Westdeutschland ein Niveau von 35 und in den neuen Bundesländern eines von 28 Prozent (Rosenbladt 2000); die Wiederholungsbefragung von 2004 bestätigt von leichten Steigerungen in einigen Teilbereichen abgesehen die Ergebnisse von 1999 (Gensicke/ Picot/Geiss 2006). Betrachtet man freiwillige Tätigkeiten mit Hilfe des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP), dann erkennt man auf einem etwas niedrigeren Messniveau, dass die Quoten in Westdeutschland - insgesamt gesehen - in den vergangenen 20 Jahren angewachsen sind und dass es in Ostdeutschland zu einem Wiederanstieg nach den sozialen Verwerfungen im Zuge der Vereinigung gekommen ist (Kapitel 8). In beiden Fällen wird die Gesamttendenz durch (jährliche) Schwankungen konterkariert (vgl. Künemund/Schupp 2008). Aus der Querschnittperspektive, bei der zu einem oder mehreren Zeitpunkten (Zeitreihe) Messwerte bereitgestellt werden, ist der Untersuchungsgegenstand mittlerweile recht gut vermessen worden. Unklar ist jedoch, wie sich Engagement aus der Längsschnittperspektive darstellt: Über welchen Zeitraum erstrecken sich ehrenamtliche Tätigkeiten im Durchschnitt? Lassen sich typische Verlaufsformen unterscheiden? Welche Faktoren beeinflussen die Engagementdauer? Die Bedeutung dieser Fragen kann man gut mit einem einfachen Gedankenspiel verdeutlichen, bei dem die beiden Extremvarianten benannt werden, mit denen der oben genannte Querschnittswert berechnet werden kann: Wenn rund ein Drittel der Befragten an zwei Messzeitpunkten ehrenamtlich aktiv ist - wir nehmen an, dass die Messungen im Abstand von einem Jahr durchgeführt wurden -, dann kann das rein rechnerisch bedeuten, dass sich das gesamte Sample im Verlaufe des Jahres engagiert, freilich jeder einzelne nur über jeweils vier Monate (eben ein Drittel des Zeitraumes) hinweg. Ebenso kann es sein, dass ein Drittel der Befragten kontinuierlich tätig gewesen ist und es keine Fluktuation bzw. keinen Wechsel bei den Aktiven gegeben hat. Technisch gesprochen geht es um die Frage, wie viel "individuelle Instabilität" bei "Aggregatstabilität" (Kaase 1986, 209ff.) bzw. wie viel "Bewegung in sozialen Strukturen" (Berger/Sopp 1992, 1995) vorliegt, oder anders gesagt: wie sich der Untersuchungsgegenstand desaggregiert darstellt (vgl. z.B. Hannan 1991). Befasst man sich mit der Tätigkeitsdauer bzw. der Beschaffenheit des Abgangs aus Engagement, so müssen auch - das zeigt das Beispiel - die Merkmale des Zugangs geklärt werden. Eine komplette dynamische Untersuchung hat sich mit beiden Seiten des Phänomens zu befassen. Beim Zugang stellen sich folgende Fragen: Nehmen Jahr für Jahr etwa gleich viele Personen eine Tätigkeit auf? Mit anderen Worten: Sind die (Zugangs-) Kohorten gleich stark besetzt oder können Schwankungen bzw. Mobilisierungswellen beobachtet werden? Hat sich der Umfang des Zugangs in den letzten Jahren geändert? Und schließlich: Welche Faktoren befördern die Aufnahme einer ehrenamtlichen Tätigkeit? Um die Beantwortung dieser Fragen wie auch um die Aufklärung direkt angrenzender Bereiche geht es in dieser Arbeit. Sie bestimmen die Struktur der empirischen Analysen und die Präsentation der Ergebnisse in Kapitel 9. Mit diesem Programm soll eine wichtige Wissenslücke bei der Erforschung freiwilliger Tätigkeiten in ihren Grundzügen geschlossen werden. Trotz der Vielzahl an Beiträgen, die in den letzten 20 Jahren zum Thema Ehrenamtlichkeit verfasst wurden, liegen bislang nur erste Erkenntnisse über die Dynamik freiwilliger Tätigkeiten vor; dieses Wissen beruht in Hinsicht auf quantitative Sozialforschung auf der Analyse von Mobilitätstabellen bzw. eines 2-welligen-Paneldesigns (vgl. Erlinghagen 2000, Wilson/Musick 1999). Damit lässt sich zwar zeigen, dass der Untersuchungsgegenstand durch erhebliche Fluktuationen gekennzeichnet ist, der Erkenntnisgewinn ist aber in Bezug auf die oben gestellten Fragen gering, denn das Auswertungsverfahren passt nicht zum Untersuchungsgegenstand: Bei Mobilitätstabellen wird davon ausgegangen, dass die Prozesszeit (die Dauer des Engagements) das Übergangsgeschehen nicht beeinflusst (wie beispielsweise bei Schichtzugehörigkeit); das Verfahren eignet sich nicht zur Analyse sehr dynamischer Prozesse, die sich aus Episoden ganz unterschiedlicher Dauer zusammensetzen. Um die gestellten Fragen beantworten zu können, müssen Daten mit einem höheren Informationsgehalt verfügbar sein, die ereignisanalytisch ausgewertet werden können (vgl. Kapitel 6 und 7). Weder in Deutschland noch in den USA gibt es bislang solche Untersuchungen zum Ehrenamt. Da die empirischen Analysen in dieser Arbeit ebenso wie die von Erlinghagen (2000) auf den Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) basieren und dieser Datensatz für sich genommen keine Ereignisdaten für ehrenamtliche Tätigkeiten bereitstellt, bedurfte es eines Tricks bzw. einer Zusatzannahme, um die gesetzten Ziele erreichen zu können. Verweildaueranalysen benötigen einen Startzeitpunkt, von dem aus die Prozesszeit und der Übergang einer Risikopopulation gemessen werden können. Diese Bedingung wird erfüllt, wenn man die jährlichen Erhebungen zum Ehrenamt zwischen 1994 und 1999 als fünf 1-Jahres-Intervalle (1994-95, 1995-96, 1996-97, 1997-98, 1998-99) interpretiert und annimmt, dass in diesem Raster freiwilliges Engagement vollständig erfasst wird. Trotz einer gewissen Unschärfe ist mit diesem Verfahren eine gute Annäherung an die Realität möglich (vgl. Kapitel 7.2). Auf dieser Grundlage können zum einen Zugangskohorten definiert und vergleichend analysiert werden (vgl. Kapitel 9.1); zum anderen kann der Verbleib dieser Kohorten - oder anderes gesagt: ihre Übergangsneigung aus dem aktiven in den nicht-aktiven Zustand - über mehrere Intervalle beobachtet und mit Hilfe eines zeitdiskreten Regressionsmodells für Verweildaueranalysen untersucht werden (vgl. Kapitel 7.3 und 9.3). Neben der Bestimmung der Engagementdauer kann mit diesem Messraster auch der Zugang zu ehrenamtlichen Tätigkeiten ereignisanalytisch untersucht werden (vgl. Kapitel 9.2): Schließt man Personen aus, die 1994 aktiv waren, dann erhält man abermals eine Risikopopulation und kann diesmal den Übergang aus dem nicht-aktiven in den aktiven Zustand vermessen - wiederum unter Inkaufnahme einer geringen Unschärfe. Verhält es sich bei dem eben genannten Punkt - allegorisch gesprochen - um die Alternative Blindheit vs. fehlende Lesebrille, ist der folgende Einwand gegen das Datenmaterial auf den ersten Blick schwerwiegender. Das SOEP wurde in Hinblick auf seine Fähigkeit kritisiert, ehrenamtliche Tätigkeiten überhaupt angemessen erfassen zu können. Nach Rosenbladt (1999, 409) muss "die Komplexität der Messung der Komplexität des Gegenstandes entsprechen"; zur Erhebung ehrenamtlicher Tätigkeiten "empfiehlt sich [ihm zufolge, J.E.] ein gestütztes Abfragen mit konkreten Beispielen und Vorgaben", das in einem zweiten Schritt spezifiziert werden solle. Im Gegensatz zum Freiwilligen-Survey, der ausschließlich auf die Erhebung ehrenamtlicher Tätigkeiten …