

Beschreibung
Julia ist anfangs vierzig, verheiratet und hat einen mittlerweile erwachsenen Sohn. Ihre Arbeit als Krankenschwester macht ihr viel Spass. Auf sie können sich ihre Teamkollegen und -kolleginnen immer verlassen. Schon als junges Mädchen hatte sie gelernt Verant...Julia ist anfangs vierzig, verheiratet und hat einen mittlerweile erwachsenen Sohn. Ihre Arbeit als Krankenschwester macht ihr viel Spass. Auf sie können sich ihre Teamkollegen und -kolleginnen immer verlassen. Schon als junges Mädchen hatte sie gelernt Verantwortung zu übernehmen und zu helfen wo Not war. Julia irrte durch die Stadt. Rastlos und ohne Ziel uberquerte sie Strassen und Gassen, stiess mit Menschen zusammen und rannte, ohne sich zu entschuldigen, weiter. Kopflos lief sie durch die Drehtur eines Kaufhauses, an Parfum- und Kosmetikregalen vorbei, verhedderte sich fast in den ausgestellten teuren Markentaschen, fand schliesslich den Ausgang, schlupfte durch die automatische Ture des Seiteneingangs und liess die warme stickige Luft des Konsumtempels hinter sich. Zuruck auf der Strasse blies ihr ein kräftiger Wind das Haar ins Gesicht und liess sie einen Moment stehenbleiben. Es war viel zu kalt fur den Juni. Was tu ich eigentlich hier, dachte Julia. Sie versuchte sich auf der belebten Strasse zu orientieren und realisierte, dass sie sich auf der Zurcher Bahnhofstrasse befand. Die Leute eilten an ihr vorbei, einige blieben vor den Schaufenstern der Läden stehen, andere betraten diese und verschwanden im Menschenrummel es war die Zeit des Ausverkaufs, der Schnäppchenjagd. War sie deshalb in die Stadt gekommen? Julia dachte angestrengt nach und ihr wurde bewusst, dass sie noch vor kurzer Zeit im Sprechzimmer ihres Hausarztes gesessen hatte. Was alles hatte er ihr gesagt? Nichts Organisches, nur psychisch versuchen Sie kurzer zu treten denken Sie auch einmal an sich am besten nehmen Sie sich eine Auszeit von Job und Familie. Schneller gesagt als getan. Ihr Mann Sebastian würde das wohl kaum verstehen. Er selber hatte vor wenigen Jahren an einer Depression gelitten, da er an seiner Arbeitsstelle gemobbt worden war. Er ieht nur sich und für Probleme anderer hat er nur wenig Verständnis. Auch nicht für Julias. Trozdem willig er ein, dass sie mit ihrer Freundin Louise einen zweiwöchigen Wellness-Urlaub in Follonica macht. Dort konfrontiert sie Louise auf ihren beängstigenden Zustand. Nach vielen Gesprächen willigt Julia schliesslich ein, eine Therapie zu machen. Ihre Therapeutin stellt ihr eine seltsame Freundin an die Seite, einen Spiegel. Sie haben eine allerbeste Freundin, der Sie alles erzählen können, hatte sie gesagt. Diese Freundin kennt all Ihre Geheimnisse. Sie wird Ihnen diese Geheimnisse aber erst preisgeben, wenn Sie in jeder Situation zu ihr stehen und sie aus vollem Herzen lieben. Nur sie kann Sie glucklich oder auch unglucklich machen. Lernen Sie sie besser kennen. Stellen Sie sich vor einen Spiegel, lächeln Sie und sagen Sie: Hallo!" So fing Julia an, in sich hineinzuschauen, indem sie sich anschaute. Die ersten Wochen musste sie grosse Widerstände uberwinden. Sie hielt ihren eigenen Blick kaum aus. Sie sah nur die schlechten Seiten von sich, sah nur ihr Versagen. Mit der Zeit fing sie an, sich fur kleine Dinge zu bedanken, die sie während des Tages erlebt hatte und fur die kleinen Fortschritte, die sie machte. Von diesem Augenblick an nahm ihr Leben langsam aber sicher eine Wendung. Sie lernt mehr auf sich und ihre Bedürfnisse zu hören. Sie entdeckt neue Hobbies und bei der Arbeit lässt sie sich auf eine andere Abteilung versetzen, wo es weniger hektisch zu und her geht. Julia stellt fest, dass ihre Ehe sie mehr belastet als dass sie ihr Halt gibt. Sie zieht aus dem gemeinsamen Haus aus und wohnt in der Anliegerwohnung ihrer Freundin. Julia will sich von Sebastian scheiden lassen. Für den gemeinsamen Sohn ist das anfänglich sehr schwer zu verstehen, da seine Eltern nie lautstarke Auseinadersetzungen gehabt hatten. Er zieht sich von seiner Mutter zurück, merkt dann aber bald einmal, dass man mit seinem Vater keine vernünftige Diskussion haben kann und spricht sich mit seiner Mutter aus. Julia nimmt sich für die Scheidung einen Anwalt zur Seite. Auf Umwegen verliebt sie sich. Ein schwerer Töffunfall ihrers Sohnes stellt die noch junge Beziehung auf eine harte Probe.
Leseprobe
Julia irrte durch die Stadt. Rastlos und ohne Ziel uberquerte sie Strassen und Gassen, stiess mit Menschen zusammen und rannte, ohne sich zu entschuldigen, weiter. Kopflos lief sie durch die Drehtur eines Kaufhauses, an Parfum- und Kosmetikregalen vorbei, verhedderte sich fast in den ausgestellten teuren Markentaschen, fand schliesslich den Ausgang, schlupfte durch die automatische Ture des Seiteneingangs und liess die warme stickige Luft des Konsumtempels hinter sich. Zuruck auf der Strasse blies ihr ein kräftiger Wind das Haar ins Gesicht und liess sie einen Moment stehenbleiben. Es war viel zu kalt fur den Juni. Was tu ich eigentlich hier, dachte Julia. Sie versuchte sich auf der belebten Strasse zu orientieren und realisierte, dass sie sich auf der Zurcher Bahnhofstrasse befand. Die Leute eilten an ihr vorbei, einige blieben vor den Schaufenstern der Läden stehen, andere betraten diese und verschwanden im Menschenrummel es war die Zeit des Ausverkaufs, der Schnäppchenjagd. War sie deshalb in die Stadt gekommen? Julia dachte angestrengt nach und ihr wurde bewusst, dass sie noch vor kurzer Zeit im Sprechzimmer ihres Hausarztes gesessen hatte. Was alles hatte er ihr gesagt? Nichts Organisches, nur psychisch versuchen Sie kurzer zu treten denken Sie auch einmal an sich am besten nehmen Sie sich eine Auszeit von Job und Familie. Wie einfach sich dies anhörte und wie schwer war es, dies auch zu tun. Seit Monaten funktionierte Julia nur noch. Sie bewältigte die Arbeit im Spital mehr oder weniger gut und mied Konflikte mit Arbeitskollegen, da sie dazu gar keine Energie mehr hatte. Die Hausarbeit verrichtete sie, ohne daruber nachzudenken, freudlos, energielos. Ihre Familie, ihr Mann und ihr erwachsener Sohn, lebten ihre Leben, und sie war sich gar nicht sicher, ob sie mitbekommen hatten, dass Julia kurz vor einem Zusammenbruch stand. Julia blieb vor einem hell beleuchteten Geschenkeladen stehen und schaute ins Schaufenster. Sie blickte in das Gesicht einer Frau. Sie sah bleich aus, ihre Augen waren dunkel, hoffnungslos, leer. Der Oberkörper war vornubergebeugt. Was fur eine arme Frau, dachte Julia und in ihr wurde der Beschutzerinstinkt wach. Ich möchte ihr helfen, sie in den Arm nehmen und sagen: Es kommt alles wieder gut. Das hatte sie von Kindesbeinen an gelernt: fur andere da zu sein und die eigenen Wunsche und Bedurfnisse hintenanzustellen. Nun stand sie dieser Frau gegenuber, die nur ein Schatten ihrer selbst war. Ein grauer Mantel verdeckte ihre kraftlosen Schultern und Arme, die Beine schienen sie kaum zu halten und der Kopf hatte etwas Skurriles, Bizarres. Es wirkte, wie wenn er vom Rest des Körpers abgetrennt wäre, wie ein Stuck nach vorne versetzt. Eine Verbindung zum restlichen Körper konnte Julia nicht sehen. Sie spurte nur eine unerträgliche Angst und eine abgrundtiefe Hoffnungslosigkeit, als sie in die Augen der Frau schaute und es schnurte ihr das Herz zu. Julia blieb regungslos stehen, bis eine Verkäuferin herauskam und besorgt fragte: Kann ich Ihnen irgendwie helfen, fuhlen Sie sich nicht wohl? Julia erschrak und sagte schnell: Nein, nein, ich brauche keine Hilfe, aber die Frau in Ihrem Geschäft Sie zeigte mit dem Finger ins Schaufenster. In diesem Augenblick schnurte es Julia die Luft ab. Der Boden unter ihren Fussen schien sich zu öffnen und sie in einen Abgrund zu ziehen. Es dauerte nur einen Augenblick, dann war Julia wieder hellwach. Nein, es ist alles in Ordnung, danke, sagte sie mit fester Stimme zur Verkäuferin und rannte los. In ihrem Kopf drehte sich alles. Das kann nicht sein, das war nicht ich, bestimmt nicht. Ich sehe vielleicht mude aus aber nicht so, sagte sie zu sich selbst. Und sie beeilte sich, in einem Schaufenster einen Spiegel zu finden. Die Gedanken in ihrem Kopf drehten sich wie ein wild gewordenes Karussell. Es kann nicht sein, es darf nicht sein Ich muss es genau wissen. Sie bemuhte sich, die Panik, die in i…
