

Beschreibung
Irgendwann trifft es einen und die Liebe schlägt zu. Völlig unerwartet und überraschend. So wie bei Senta und Thomas, beide Single und jenseits der Vierzig. In einer Bar in Kreuzberg begegnen sich der IT-Spezialist und die feinsinnige Geisteswissenschaftlerin,...Irgendwann trifft es einen und die Liebe schlägt zu. Völlig unerwartet und überraschend. So wie bei Senta und Thomas, beide Single und jenseits der Vierzig. In einer Bar in Kreuzberg begegnen sich der IT-Spezialist und die feinsinnige Geisteswissenschaftlerin, und es ist Liebe auf den ersten Blick. Er ist hingerissen, und sie ist überwältigt. Sie verbringen eine verheißungsvolle erste Nacht miteinander. Schöner kann es eigentlich nicht sein. Doch kaum ist die Liebe da, kommen auch die Zweifel.
»Eine geschliffen scharfe Erzählerin, die sich irgendwo zwischen Sarkasmus, Komik und großer Verletzlichkeit bewegt.«
Autorentext
Iris Hanika, geboren 1962 in Würzburg, lebt seit 1979 in Berlin. Sie war feste Mitarbeiterin der Berliner Seiten der FAZ und führte eine Chronik im Merkur. 2006 erhielt Iris Hanika 2006 den Hans Fallada Preis. Ihr Roman »Treffen sich zwei« war auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2008.Besuchen sie die Autorin auch unter: www.iris-hanika.de
Leseprobe
IM AUGUST IST DIE ZEIT ANGEHALTEN. Die Bäume und Sträucher stehen so selbstgewiß in ihrem tiefen Grün, als kennten sie keine andere Gestalt als diese. Die Tage sind hell und hoch, als gäbe es keine Dunkelheit, die Nächte nur ein kurzes Innehalten in der Endlosigkeit des Daseins, in dieser Ewigkeit, im Glück des Sommers. Und auch das Menschenleben ist angehalten. Die Leiber fallen aus sich heraus und liegen aufgelöst in den warmen Tümpeln der stehenden Zeit. Ein großes innehalten ist der Sommer im August, eine Tür ins Paradies.
DER SOMMER HATTE SPÄT BEGONNEN. Im Mai, im Juni, im Juli war monatelang alles mögliche gewesen, mal Spätherbst, mal Vorfrühling, mal gar nichts; nie hatte das Wetter dem Datum entsprochen. Erst pünktlich mit dem August war es heiß geworden, worüber sich ausnahmsweise niemand beschwerte. In der Hitze lösten sich die Konturen auf, da hatten die Körper keine Grenzen mehr. Haut und Luft bestanden aus demselben Stoff, sie rieselten ineinander, als wären sie nur zwei verschiedene Arten von Sand. Und weil außen und innen nicht mehr voneinander zu trennen waren und alle Körper ineinanderströmten, waren sie auch alle miteinander verbunden und wohnten gemeinsam in der Welt, die ihnen doch gehörte.
Drinnen in der Stadt waren spät am Abend die Straßen voll. Überall saßen welche vor den leeren Cafés, aus denen Musik herauswehte und deren Räumlichkeiten sich, da das Bild von Menschenleibern ungestört war, in ihrer ganzen Schönheit präsentierten. Die Leiber schlenderten derweil draußen vorbei und präsentierten nun ihre Schönheit. Und wenn sie keine zu präsentieren hatten, war's ihnen auch egal. Wo sich alles auflöste, wurden nicht einmal mehr die Vorschriften für vorzeigbare leibliche Schönheit eingehalten; und daran das Erstaunlichste war, daß sich auch hierüber niemand beklagte. Es war eine erhabene Zeit. Die Tage wollten nicht enden, und die Nächte waren schon wie das Glück, einfach bloß, weil sie Nächte waren. Und alle Menschen waren Brüder und Schwestern, die sich in ihrer Gleichartigkeit erkannten und an ihren Unterschieden erfreuten. Zudem war es die Zeit, in der alle in einem fort an die Möglichkeiten der geschlechtlichen Vermischung dachten, weil sie sich sowieso immerzu die Kleider vom Leibe reißen wollten.
In so einer aufgeprickelten Augustnacht war es, daß seine Augen zum ersten Mal angekrochen kamen und durch ihre hindurch ins Herz hinunter ihr fuhren und gleich weiter. So war das auch später immer: Seine Augen kamen von irgendwoher angekrochen, über den Tisch oder von unter dem Betttuch oder von der anderen Straßenseite her. Meistens krochen sie aber einfach in ihrem Hirn herum. Da kamen sie dann aus dem Erinnerungssalzstock, den sie doch atombombensicher zubetoniert glaubte, und das wurde ihr ein großes Problem, daß sie seine Augen nicht schließen konnte, sondern sie vielmehr sofort wieder angekrochen kamen, wenn sie die ihren schloß, und sogleich in ihr Herz hinunterrutschten und weiter durch sie hindurch und sie kraulten und von innen auflösten wie an diesem ersten Abend im erhabenen August, in dem sie schon von außen und sowieso aufgelöst war.
ER WAR NICHT SO POETISCH, wenigstens nicht in Worten. Er erzählte ihr später immer wieder, daß er das nie vergessen werde, wie er sie zum ersten Mal sah, und wie seine Hypophyse sofort zu eiern begonnen habe, eben als er sie sah, weil sie so aussah wie ... ja, eben so, wie sie aussieht. So schön und so frisch und so ... ach. Es sei praktisch wie ein Algorithmus gewesen, denn er habe sie, kaum daß er sie zum ersten Mal gesehen hatte, einfach bloß haben wollen und an sonst gar nichts mehr denken können. "Ich hätte dich so gerne gleich mit nach Hause genommen, ich wollte nicht mal mehr mein Bier austrinken", sagte er ihr, nachdem sie schon ein paarmal bei ihm zu Hause gewesen war und er auch bei ihr. Dann verstummte er, dafür krochen seine Augen von unten her über ihr Gesicht und in ihre Augen hinein und so weiter, und seine Lippen krochen gleich hinterher.
Aber das war noch einige Zeit bis dahin. An diesem Abend im August hatte er nicht so lange gearbeitet wie sonst in den letzten Wochen jeden Tag. Es war ihm, der den Winter lieber mochte, einfach zu heiß gewesen und schon darum nun auch einmal egal, daß sich in dieser Quatschfirma, in die sie ihn vor zwei Wochen, von denen er jeden einzelnen Tag verfluchte, geschickt hatten, keiner mit dem Process and Application Management Model (PAMM) von Aliqoli Esfahani beschäftigt hatte, weswegen er und Eckhard die einzigen waren, die es beherrschten, während die Leute, die dort angestellt waren, sagten, daß das nun eine recht komplexe Angelegenheit sei ("weil die in ihren Hirnen eben eher unterkomplex sind!"). Dabei war es doch nicht nur eine völlig neue, sondern vor allem die erste wirklich mal umfassende und darum eine absolut großartige Methode zur Restrukturierung nicht allein des IT-Systems, sondern der ganzen Firma, mit der als erstes der neue E-shop, der endlich state of the art sein würde, implementiert werden sollte. Aber schon die Typen aus der Technik waren zu faul, sich mit dem PAMM zu beschäftigen, und verließen sich lieber ganz auf ihn und Eckhard. Um so schlimmer waren die Mitarbeiter aus den anderen Abteilungen, die nicht begreifen wollten, wie ihnen hier die Arbeit erleichtert werden sollte, weil sie zwar an ihren Workshops teilnahmen, sich dort aber nicht einmal Notizen machten und darum weiterhin Medienbrüche betrieben, als wäre das ihr Hobby. Das trieb ihn echt zur Verzweiflung.
Als er am späten Nachmittag sah, wie ein Mitarbeiter aus dem Vertrieb eine E-mail des Vertriebsleiters ausdruckte und per Fax an den Kunden weiterschickte, lief das Faß bei ihm über. Eigentlich hätte er gerne gebrüllt, aber er fühlte sich plötzlich ganz schwach.
Als wären sämtliche Akkus auf einen Schlag entleert worden, so war das.
Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, geschweige denn brüllen.
"Ich geh' jetzt", hatte er nur sagen können und sich umgedreht und den Raum verlassen und nicht nach links noch rechts geschaut, sondern bloß auf sein Taschentelefon, um es auszuschalten. Er hielt, um niemanden ansehen zu müssen, auch weiter den Kopf leicht gesenkt, als er durch die langen Flure und aus der Firma hinaus und auf den Parkplatz ging. Als er glücklich in seinem Auto saß, ließ er alle Fenster gleichzeitig herunter und schaltete das Kaltgebläse volle Lotte an, bevor er in seinem Sitz versank, die Augen schloß und den Kopf hängen ließ. Er gab sich Mühe, extra tief zu atmen, bis er endlich ruhig genug war, um nach Hause zu fahren. Vielleicht hatte es keiner mitgekriegt, daß er in Wirklichkeit nicht ent-, sondern komplett geladen war, oder sie hatten es gerade mitgekriegt, und deswegen hatte keiner was gesagt, um ihn vielleicht aufzuhalten.
Er brauchte fast eine Stunde, bis er zuhause war, so langsam fuhr er.
