

Beschreibung
Angestellte im Einzelhandel stehen unter starkem Einsparungs- und Konkurrenzdruck. Welche Formen kollegialen Miteinanders können sich hier behaupten? Götz Bachmann beschreibt in seiner Ethnographie den Arbeits- und Pausenalltag weiblicher Kaufhausangestellter....Angestellte im Einzelhandel stehen unter starkem Einsparungs- und Konkurrenzdruck. Welche Formen kollegialen Miteinanders können sich hier behaupten? Götz Bachmann beschreibt in seiner Ethnographie den Arbeits- und Pausenalltag weiblicher Kaufhausangestellter. In ihrem alltäglichen Kampf um gemeinsame Pausen und ihrem Umgang miteinander geraten die Frauen in Konflikte. Zugleich gelingt es ihnen, auch unter widrigen Umständen Achtsamkeit zu leben und Herrschaftsverhältnisse neu auszuformen.
»Diese Buch [fordert] den/die Leser nicht nur permanent, sondern [erfreut] zugleich durch seine literarischen Qualitäten.«Barbara Lemberger, Bayerisches Jahrbuch für Volkskunde
Vorwort
Arbeit und Alltag
Autorentext
Götz Bachmann, Dr. phil., arbeitet als Wissenschaftlicher Leiter am Digital Cultures Research Lab an der Leuphana Universität Lüneburg.
Klappentext
Angestellte im Einzelhandel sind einem starken Rationalisierungsund Konkurrenzdruck ausgesetzt. Welche Rolle spielen in dieser Situation kollegiale Sozialbeziehungen? Götz Bachmann beschreibt in seiner Ethnografie des Arbeits- und Pausenalltags eine Belegschaftskultur, die neoliberalen Unternehmensvorgaben Alternativen entgegensetzt.
Leseprobe
Einleitung Die Schwelle, die du siehst, ist ein Plastikteppich aus schwarzen Borsten. Über ihm eine Wand aus heißer Luft. Unter dem Teppich pustet ein Gebläse nach verbranntem Staub riechende Heizungsluft nach oben. Dahinter das Kaufhaus. Davor eine Fußgängerzone, die du aus westdeutschen Innenstädten kennst: Pflastersteine aus den 1970er Jahren, Nachkriegsarchitektur, Blumenstelen aus Beton, Bänke, auf denen Schüler und Rentner lungern und Junkies auf Dealer warten, die weißen Plastikstühle einer Eisdiele, ein Crêpe-Stand. Nebenan liegt Karstadt, der größte Konkurrent am Ort und im Gegensatz zum vor uns liegenden Kaufhaus auf kleinbürgerliche Eleganz bedacht. Ansonsten ist es hier alles aber ein wenig, als läge Bochum in Baden-Württemberg. Unser Kaufhaus ist das "Werti". Wenn du über die Schwelle trittst, siehst du zur Linken Wühltische einer "99 Pfennig Aktion" und zur Rechten einen Schmuckstand, der fein ziselierten Goldschmuck und Männerarmbanduhren mit Dutzenden nutzlosen Funktionen im Angebot hat. Dahinter steht eine Frau, von der du später wissen wirst, dass sie Petra heißt und, dass sie früher, als es die DDR noch gab, Psychiatriekrankenschwester war. Doch noch weißt du das nicht und wendest deinen Blick geradeaus. Zwei Kassiererinnen mittleren Alters sitzen an einer Doppelkasse. Muzak klingt aus versteckten Lautsprechern, die Luft ist trocken, Neonröhren beleuchten Damenunterwäsche und Gardinenstoffe. Rechts neben der in blasslila Furnierholz gekleideten "Information" führt dich eine Rolltreppe in das Kellergeschoss, zur Spielwaren- und der Schuhabteilung. Im hinteren Eck liegt die abgedunkelte Welt des Kaufhausrestaurants "Le Buffet." Du wirst sie wohl nicht betreten, zu eindeutig ist, dass hier vor allem Arbeitslose und verarmte Rentner ihre Stunden vor Kaffee in fünfeckigen Kaffeebechern auf braunen Plastiktabletts verbringen. Stattdessen durchquerst du das Untergeschoss und näherst dich einer zweiten Schwelle: Zwei Vorhänge aus dickem schwarzen Gummi, abgeschabt von vergitterten Absortierwagen. Dahinter ein Gang. Das Gebläse hängt nun frei von der Decke, der Beton liegt blank, und vielleicht wirst auch du, so wie ich damals, nicht umhin können, das Wort "Asbest" zu denken. Zwei Stahltüren öffnen sich, und ein Industrieaufzug nimmt dich rumpelnd nach oben, wo Lagerarbeiterinnen dabei sind, Kartons aufzureißen, Ware auszupreisen und auf Regale zu stapeln. Wir sind nun also im zweiten Stock, dem Lager. Aus diesem heraus führen zwei weitere Ausgänge - einer zur Rampe der LKWs, der andere in eine weitere Welt des Neonlichts. Ein langer Gang, ausgelegt mit grauem Linoleum, zur Linken gesäumt von Plastikschildern mit Slogans wie "Zehn Stunden ist der Dieb Aktivist, wenn du nicht immer wachsam bist - beobachte deine Umgebung!" ("Aktivist war ich auch früher", murmelte Frau Hebbel, eine ebenfalls aus der DDR stammende Verkäuferin, einmal im Vorbeigehen neben mir). Auf der rechten Seite des Gangs siehst du Türen zu Toiletten, Umkleideräumen, dem Betriebsratsbüro und einem weiteren Lager. Dann, kurz vor dem Verwaltungs- und Chefbüro und Personaleingang, eine letzte Schwelle. Über ihr befindet sich eine Holztür. Sie ist ge-, aber nicht verschlossen und versehen mit einem Fenster, vor dem zwei kleine Vorhänge hängen. Durch deren Schlitz siehst du Schwaden von Zigarettenqualm und dahinter einen mit einer geblümten Plastikdecke bedeckten Tisch, an dem 20 Personen Platz finden, und je nach Tageszeit auch eine mehr oder weniger große Gruppe von Frauen beieinandersitzt. Zumindest war das damals so. Was ich fand und was mir widerfuhr, nachdem ich diesen Raum betrat, ist der Ausgangspunkt dieser Arbeit. Die beiden Kaufhäuser Dies ist eine Ethnographie des kollegialen Miteinanders in zwei Filialen einer Kaufhauskette. Der empirische Schwerpunkt liegt dabei auf gemeinsam verbrachten Arbeitspausen der dort arbeitenden Kassiererinnen, Lagerarbeiterinnen und Verkäuferinnen. In den zwei Filialen verbrachte ich über vier Jahre hinweg in regelmäßigen Abständen Perioden von jeweils einigen Wochen. Die Feldforschung erstreckte sich von Anfang 1995 bis Ende 1998 und gehört damit in eine Zeit, in der die Regierenden Helmut Kohl und Bill Clinton hießen und die Kriegsschauplätze Bosnien und Algerien, in der es normal war, dass Telefone an der Wand hingen, und nicht verwunderlich, dass das Fernsehen seine Zuschauer über die Frage "Was ist das Internet?" informierte. Dass während der vierjährigen Feldforschungszeit der Onlinehändler Amazon an der US- amerikanischen Westküste seinen Umsatz von 0 auf 609.800.000 Dollar steigerte, war kein Grund zur Unruhe; die Auswirkungen der neoliberalen Beschleunigung kapitalistischer Prozesse waren in den beiden Filialen aber bereits damals deutlich zu spüren. Frauen im Einzelhandel waren also früh und stark von den Folgen eines Umbaus betroffen, der bis heute andauert. Die gemeinsame Pause gehörte zu den Kampfplätzen, war sie doch auf vielfältige Weisen herausgefordert. An vorderster Stelle stehen: Die zunehmende Arbeitsverdichtung im Einzelhandel, die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten, die mit der Aushöhlung und anschließenden Novellierung des Ladenschlussgesetzes einherging und die sogenannte Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse, die, wie fast überall im Einzelhandel und hier, dazu führte, dass immer größere Teile der Belegschaft heute als Pauschalkräfte, Angestellte von Fremdfirmen, Praktikanten, Geringbeschäftigte, "1 Euro-Jobber" oder Teilzeitkräfte arbeiten. Aus all diesen Gründen sind regelmäßig gemeinsam verbrachte Pausen im Einzelhandel heutzutage nur noch sehr selten. Die Filiale im Baden-Württembergischen Bergstadt, in der ich zwei Drittel meiner gesamten Feldforschungszeit verbrachte, hatte ich unter anderem auch deswegen ausgewählt, weil die dort Beschäftigten sich gegen den Verfall der gemeinsamen Pause gemeinsam wehrten. Im zweiten Betrieb, hier Sandhausen genannt und in Sachsen Anhalt gelegen, gab es gemeinsam verbrachte Pausen bereits zum Zeitpunkt des Beginns meiner dortigen Feldforschung fast nicht mehr. Allerdings fand ich hier eine Nische in einem separaten Gebäude, dem Lager dieses Kaufhauses, und dort verbrachte ich den Großteil meiner Zeit in Sandhausen. Doch auch wenn dieses Buch damit in gewisser Weise zum Genre der Ethnographien untergegangener Welten zu zählen ist, ist es dennoch keines über den Untergang. Vielmehr ist es der Versuch, von dem zu berichten und zu lernen, was die Frauen in den beiden Kaufhausfilialen damals miteinander geschaffen hatten. Auch aus diesem Grund ist die Arbeit in Teilen in Gegenwarts- und in Teilen in Vergangenheitsform geschrieben. Bereits in dieser Einleitung wechsle ich zwischen beiden Formen hin und her: Der Text begann in der Gegenw…
