

Beschreibung
Ein achtjähriges Dakota-Mädchen spielt glücklich auf den Prärien ihrer Vorfahren. Doch Missionare versprechen ihr und ihren Freundinnen einen Ritt auf dem Eisenross ins Land der leuchtend roten Äpfel, wo ein wunderbares Leben auf sie warten sollte. Was folgt, ...Ein achtjähriges Dakota-Mädchen spielt glücklich auf den Prärien ihrer Vorfahren. Doch Missionare versprechen ihr und ihren Freundinnen einen Ritt auf dem Eisenross ins Land der leuchtend roten Äpfel, wo ein wunderbares Leben auf sie warten sollte. Was folgt, ist ein Alptraum, wie ihn Abertausende indianische Kinder an amerikanischen Internatsschulen durchleben mussten, fern der Heimat, sprachlos, rechtlos. Eine von ihnen war Zitkala-a (1876-1938). Sie lernte die Sprache der Peiniger ihres Volkes, und sie fand die Worte, um ihr Geschick und das ihrer Leidensgefährten auf ergreifende Weise zu schildern und um ihren weißen Mitbürgern das Leben und die Kultur der indianischen Völker nahezubringen.
Ihre Kindheitserlebnisse sind neben anderen Erzählungen Gegenstand ihres 1921 veröffentlichten Buches »American Indian Stories«. Bereits 1901 erschien ihr erstes Buch, »Old Indian Legends«, eine Sammlung traditioneller Geschichten ihres Stammes.
»Roter Vogel erzählt« enthält die Texte der beiden von Zitkala-a veröffentlichten Bücher und weitere faszinierende Texte aus ihrer Feder einen umfangreichen Zyklus von Mythen und Legenden, der erst in den 1990er Jahren in ihrem Nachlass gefunden wurde, sowie Reden und Essays.
Autorentext
Zitkala-a wurde 1876 als Gertrude Simmons auf der Yankton-Sioux-Reservation in South Dakota geboren. Sie war die Tochter der Yankton-Dakota Táte I Yohin Win (Reaches for the Wind), der die Missionare den Taufnamen Ellen Simmons gegeben hatten, und eines weißen Händlers namens William Felker. Zitkala-a Roter Vogel war ihr späterer selbstgewählter Name, unter dem sie ihre Texte veröffentlichte und durch den sie ihre indianische Identität hervorstrich. Sie wuchs bei ihrer Mutter und ihrem Bruder auf und genoss eine traditionelle indianische Erziehung. Im Alter von acht Jahren wurde sie in eine Boarding School (White's Manual Labor Institute in Wabash, Indiana) gebracht, einer Internatsschule für indianische, aber auch für arme schwarze und weiße Kinder. Später studierte sie einige Zeit am Earlham College in Indiana, wo sie ihre englischen Sprachkenntnisse perfektionierte. Eine Zeitlang war sie als Lehrerin an der berühmten Carlisle-Indianerschule tätig. Des Weiteren lernte sie bereits auf der Internatsschule Piano und Violine zu spielen. 1910 begann sie gemeinsam mit dem weißen Komponisten William F. Hanson eine Oper zu komponieren, die Sun Dance Opera, die 1913 in Vernal, Utah, uraufgeführt wurde. Zitkala-a engagierte sich nachdrücklich für die Rechte der amerikanischen Ureinwohner. Sie war Sekretärin der stammesübergreifenden Vereinigung Society of American Indians, die von 1911 bis 1923 existierte und u. a. für die Anerkennung der US-amerikanischen Staatsangehörigkeit der Indianer kämpfte. 1926 gründete sie den National Council of American Indians, der sich für die Bürgerrechte der Indianer, bessere Bildungsmöglichkeiten, ein besseres Gesundheitswesen und kulturelle Anerkennung und Förderung einsetzte. Sie war eine scharfe Kritikerin der Politik des Bureau of Indian Affairs (Behörde für Indianerangelegenheiten), welches u. a. dafür verantwortlich war, dass es indianischen Kindern strengstens verboten war, sich an den Schulen in ihren Muttersprachen zu unterhalten. Sie sammelte indianische Legenden, von denen ein Teil 1901 in ihrem ersten Buch Old Indian Legends veröffentlicht wurde, das von der Winnebago-Indianerin Hinook-Mahiwi-Kalinaka (Angel de Cora) illustriert wurde, welche gemeinsam mit ihr als Lehrerin an der Carlisle-Schule tätig gewesen war. 1921 brachte sie ein weiteres Buch, American Indian Stories, das autobiographische Texte und andere Erzählungen, die sie zuvor in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht hatte, enthielt. Eine umfangreiche Sammlung weiterer Legenden, die sie aufgezeichnet hatte, wurde erst in den 1990er Jahren entdeckt und erstmals 2001 veröffentlicht. Zitkala-a starb 1938 in Washington.
Leseprobe
Mein langes Haar wird geschnitten (aus 'Schultage eines Indianermädchens')
Der erste Tag im Land der Äpfel war ein bitter kalter. Noch immer bedeckte der Schnee den Boden, und die Bäume waren kahl. Eine große Glocke läutete zum Frühstück, ihre laute Metallstimme schmetterte hoch vom Glockenturm herab in unsere empfindlichen Ohren. Das störende Geklapper von Schuhen auf blankem Holzfußboden ließ uns keine Ruhe. Das unaufhörliche Aufeinanderprallen harscher Geräusche, unterlegt von einem Gemurmel aus vielen Stimmen in einer Sprache, die ich nicht verstand, schufen ein wahres Tollhaus, in dem ich mich fest angebunden fühlte. Mein Geist riss sich selbst in Stücke in seinem Ringen um die verlorene Freiheit, aber es war vergebens.
Eine Bleichgesicht-Frau mit weißem Haar kam zu uns. Wir wurden in eine Reihe von Mädchen eingereiht, die in den Speisesaal gingen. Es waren Indianermädchen; sie trugen steife Schuhe und eng anliegende Kleider. Die kleinen Mädchen trugen Schürzen mit Ärmeln, und ihr Haar war kurz geschnitten. Während ich geräuschlos in meinen weichen Mokassins ging, wäre ich am liebsten im Boden versunken, denn man hatte mir meine Decke von den Schultern genommen. Ich blickte fest zu den Indianermädchen, die sich nicht darum zu kümmern schienen, dass sie sogar noch unanständiger gekleidet waren als ich in ihrer eng sitzenden Kleidung. Als wir in den Saal gelangten, kamen die Jungen durch eine gegenüberliegende Tür herein. Ich hielt Ausschau nach den drei jungen Burschen, die mit unserer Gruppe gekommen waren. Ich erspähte sie in den hinteren Reihen, und sie schienen sich genauso unbehaglich wie ich zu fühlen.
Jemand schlug eine kleine Glocke an, und jeder der Schüler zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor. In der Annahme, dass dies dazu gedacht war, sich hinzusetzen, zog ich meinen auch heraus und glitt sogleich von der Seite auf den Sitz. Aber als ich mich umschaute bemerkte ich, dass ich die einzige war, die saß, alle anderen an unserem Tisch standen noch immer. Gerade, als ich wieder aufzustehen begann und mich dabei scheu umblickte, um herauszufinden, wie man Stühle benutzen musste, erklang ein zweiter Glockenschlag. Alle setzten sich, und ich musste wieder auf meinen Stuhl klettern. Ich vernahm die Stimme eines Mannes an einem Ende des Saals, und ich drehte mich um, um nach ihm zu sehen. Aber alle anderen hingen mit ihren Köpfen über ihren Tellern. Während ich die lange Reihe der Tische entlang blickte, bemerkte ich, dass eine Bleichgesicht-Frau mich ansah. Sofort senkte ich die Augen und wunderte mich, warum die seltsame Frau mich so scharf anblickte. Der Mann beendete sein Gemurmel, und ein dritter Glockenschlag erklang. Alle griffen nun zu Messer und Gabel und begannen zu essen. Ich hingegen begann zu weinen, denn ich hatte Angst vor dem, was noch kommen mochte.
Aber das förmliche Essen war nicht die schwerste Probe jenes ersten Tages. Spät am Morgen kündigte meine Freundin Judéwin mir gegenüber etwas Schreckliches an: Sie sprach schon ein paar Worte Englisch, und sie hatte gehört, wie die Bleichgesicht-Frau davon gesprochen hatte, dass man uns unser langes, schweres Haar abschneiden wolle. Unsere Mütter hatten uns beigebracht, dass nur ungeschickten Krieger, die in Gefangenschaft geraten waren, vom Feind die Haare kurz geschnitten würden. In unserem Volk trugen nur Trauernde das Haar kurz, und nur Feiglingen wurden sie abgeschnitten!
Wir besprachen unser Schicksal, und als Judéwin sagte: 'Wir fügen uns, denn sie sind stark', rebellierte ich.
'Nein, ich werde mich nicht fügen! Ich werde kämpfen!' antwortete ich.
Ich wartete auf meine Chance, und als niemand auf mich achtgab, verschwand ich. Ich schlich in meinen quietschenden Schuhen meine Mokassins waren gegen Schuhe ausgetauscht worden so leise ich konnte, die Treppe hoch. Ich kam durch einen Saal, ohne dass ich wusste, wohin ich ging. Ich wandte mich zur Seite zu einer offenenstehenden Tür und fand dahinter einen großen Raum mit drei weißen Betten darin. Vor den Fenstern hingen dunk…
