

Beschreibung
Ireland from the inside und doch auch mit Schweizer Augen gesehen. Die Schriftstellerin Gabrielle Alioth, vor vierzig Jahren nach Irland ausgewandert, bietet uns eine spezielle Sicht auf Irland und die Iren. Kenntnisreich, einfühlsam, mit Humor schildert und k...Ireland from the inside und doch auch mit Schweizer Augen gesehen. Die Schriftstellerin Gabrielle Alioth, vor vierzig Jahren nach Irland ausgewandert, bietet uns eine spezielle Sicht auf Irland und die Iren. Kenntnisreich, einfühlsam, mit Humor schildert und kommentiert sie Geschichte, Mythen und Sagen sowie Erlebnisse aus ihrem Alltag auf der grünen Insel. Wir hören von den erstaunlichen Wundern Feichíns, des Dorfheiligen von Alioths Wohnort an der Ostküste, der unter anderem Wasser bergaufwärts fliessen liess. In Textschleifen einiger Kapitel lässt die Autorin Figuren aus den irischen Sagen auftreten Vergangenheit und Gegenwart spiegeln einander. Gross war in Irland seit je die Bedeutung von Viehherden: Kühne Kriegszüge und brutale Schlachten sagenhafter Helden galten dem Viehraub. Die multiperspektivische Erzählung Ein sonniger Morgen im Mai vergegenwärtigt berührend den Höhepunkt der Grossen Hungersnot im Jahr 1847, ausgelöst durch Kartoffelfäule. Was in der Stadt Drogheda mit zwei Schiffsladungen von indischem Mais geschah, die der türkische Sultan Abdülmecid zur Milderung der Hungersnot nach Irland schickte, bleibt ungewiss. Gabrielle Alioth gibt auch Einblick in ihren Alltag: der langwierige Umbau eines Hauses; Begegnungen am Strand Seapoint, wo sie täglich frühmorgens ihre Hunde spazieren führt; die gütige Post-Fee, die zu jedem Problem sagt «Leave it with me»; ein medizinischer Notfall kurz vor Weihnachten; das Begräbnis eines Nachbarn. Manche Themen behandelt die Autorin in Form von amüsanten Kurzgeschichten. Der Polizeibeamte Brophy betreibt skurrile Fahndungen. An der Ostküste kommt Brophy dem verblüffenden Wohlstand einer eingeschworenen Dorfgemeinschaft auf die historische Spur. Zusammen mit seinem Kollegen O'Shea dehnt er in einem anderen Fall seine Fahndung bis nach Borneo aus.
Autorentext
Gabrielle Alioth ist 1955 in Basel geboren. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften und Kunstgeschichte an den Universitäten Basel und Salzburg. Ab 1979 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin der Prognos AG in Basel. Im Jahr 1984 erfolgte die Übersiedlung nach Irland, wo sie seither als Schriftstellerin lebt und auch als Übersetzerin und Journalistin für deutsche Zeitungen und Rundfunkstationen tätig ist. In den Jahren 2005 2021 war sie Dozentin an der Hochschule Luzern Design & Kunst. Seit 2010 gibt sie auch Schreibkurse am Literaturhaus Basel und an der Volkshochschule Basel. Gabrielle Alioth war 2009 Mitglied der Jury des International IMPAC Dublin Literary Award. 2017 2020 war sie Mitglied der Programmkommission der Solothurner Literaturtage. Gabrielle Alioth ist Mitglied des A*dS (Autorinnen und Autoren der Schweiz) und seit Frühjahr 2022 Präsidentin des PEN Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland. 1990 Publikation des ersten Romans Der Narr und Ausstrahlung des gleichnamigen Hörspiels durch Radio DRS. Der elfte Roman Die Überlebenden erschien im Oktober 2021. Lesereisen in Europa, Indien, Kanada, Südafrika, im Iran und den USA. Mitglied der irischen Delegation an der Frankfurter Buchmesse 1996 und Mitglied der Schweizer Delegation 1998.
Leseprobe
Brophys Fahndungen II Nachdem ich die Schinken- und Spiegeleireste aus der Frühstückspfanne gekratzt hatte, sichtete ich die Ausrüstung, die O'Shea im Kleiderschrank gelagert hatte: Feldstecher, Lupe, sterile Handschuhe, diverse Kopfbedeckungen, ein Golfhemd, Leggings, eine Taucherbrille, ein Tweedkittel, zwei Monteuranzüge, einer davon mit dem Logo des Elektrizitätswerkes. Das schwarze Kleid mit den Pailletten stammte wohl von einer früheren Mieterin des Airbnb. Sollte ich mich in Malerkittel und Strohhut mit der Staffelei, die neben dem Schrank lehnte, auf Clogher Head installieren? Die Ruine des Wachturms gäbe ein gutes Motiv ab. Aber die Beobachtung des Hafens hatte O'Shea nicht weitergebracht, und in ihrem Ölzeug waren die Besatzungen der Boote genauso wenig voneinander zu unterscheiden wie die Möwen auf der Hafenmauer. Ich musste die Strategie ändern, die kriminellen Strukturen vor Ort infiltrieren, die Drahtzieher identifizieren. «It's a beautiful day», krähte Bono aus dem Lautsprecher, als ich die Tür des Frisiersalons aufstieß. Eine füllige Frau in einer rosa Arbeitsschürze tauchte aus einem Perlenvorhang. Einen Moment dachte ich an das Paillettenkleid. Sie lächelte. Als ich vor dem Spiegel Platz genommen hatte, kippte der rosa Ledersessel automatisch nach hinten, und mein Kopf tauchte in ein Marmorbecken voll lauwarmem Wasser. «KI-gesteuert», erklärt Mandy, die Friseuse, während sie meine Kopfhaut massierte, «Neigungswinkel und Temperatur sind auf die emotionale Verfassung des Kunden abgestimmt.» Inzwischen plätscherte Enyas «One by One» aus der Beschallungsanlage. Mandy erzählte von ihrer Kindheit in Clogherhead: der Weg zur Schule barfuß durch die Felder, die Sommer am Strand, die Winter am Kaminfeuer, die wenigen Festtage, an denen es nicht nur Kartoffeln zu essen gab, die Angst, wenn die Fischerboote nicht zurückkamen. «I could never go with you», sang Christy Moore, «no matter how I wanted to », während sie mir den Nacken ausrasierte; ich beobachtete ihre langen, rosa lackierten Fingernägel neben meinen Ohren. «Wir teilen alles hier», meinte sie auf meine unauffällige Frage nach dem Leben im Dorf und lächelte. Beim Bezahlen bestellte sie mir Grüße an meinen Kollegen mit den vielen Kostümen. Die Sonne schien, als ich auf die Dorfstraße hinaustrat, und als ich mich nochmals umdrehte, entdeckte ich im Salon einen Unbekannten mit einem Irokesenschnitt. Dann merkte ich, dass es mein Spiegelbild im Schaufenster war. []
