

Beschreibung
Sexualpolitik ist eine Machttechnik. Sie reguliert Verhaltensweisen oder schließt Gruppen aus - das Feld Sexualität ist dabei besonders skandalisierbar. Angeblich problematische Sexualitäten werden nicht nur mit Geschlecht, sondern auch mit Ethnizität und Reli...Sexualpolitik ist eine Machttechnik. Sie reguliert Verhaltensweisen oder schließt Gruppen aus - das Feld Sexualität ist dabei besonders skandalisierbar. Angeblich problematische Sexualitäten werden nicht nur mit Geschlecht, sondern auch mit Ethnizität und Religion verflochten. Gabriele Dietze diskutiert diesen Zusammenhang in historischer, theoretischer und gegenwartsanalytischer Perspektive von feministischen Orientalismen der Ersten Frauenbewegung bis hin zu den Ereignissen von Köln in der Silvesternacht 2015.
»Eine tiefgehende, begründet radikale und systematisch argumentierte Einführung in antirassistische, antiimperiale und anti-heteronormative Positionen und Strömungen der Gender Studies. Ein besonderes Plus besteht darin, dass Gabriele Dietze bei jedem einzelnen Argumentationsschritt den Beitrag anderer wichtiger Autor*innen zur Auseinandersetzung um die genannten Themen detailliert ausweist.« Susan Zimmermann, WeiberDiwan, 27.12.2017
Autorentext
Dr. Gabriele Dietze, geboren in Wiesbaden, war nach ihrem Studium der Germanistik und Philosophie in Frankfurt/M. von 1980 bis 1990 Lektorin für Gegenwartsliteratur im Rotbuch Verlag. Sie forschte und lehrte an der Humboldt Universität zu Berlin in Kulturwissenschaft, Gender- und Medienstudien. Zuletzt war sie Gastprofessin am Dartmouth College.
Leseprobe
Einleitung: Sexualpolitik - Archäologie einer Problematisierungsweise Vorspiel Sexismuskritik ist wieder en vogue. Ein amerikanischer Präsidentschaftskandidat hätte die Wahl verlieren können, weil er mit sexuellen Übergriffen auf Frauen geprahlt hat und weil er sexistischen Gedankenaustausch unter Männern für normal hält. Es ist anders gekommen. Eine machtvolle Gegenrede, warum Sexismus nicht normal ist, wurde von Michelle Obama in einer Wahlkampfveranstaltung in New Hampshire gehalten. Denjenigen, die sagen, dass Frauen sich nicht so aufregen sollen, antwortet sie folgendermaßen: "Too many are treating this as just another day's headline, as if our outrage is overblown or unwarranted, as if this is normal, just politics as usual. But [] to be clear: This is not normal. This is not politics as usual. This is disgraceful. It is intolerable. [] no woman deserves to be treated this way. None of us deserves this kind of abuse" (Obama 2016). Michelle Obama ist nicht nur eine Frau, sondern die erste schwarze First Lady der amerikanischen Geschichte. Das ist ihr auch in dem Moment bewusst, als sie die inzwischen weltberühmte antisexistische Rede hält. Alle US-Amerikanerinnen wussten, dass sie über race sprach, als sie sagte: "[W]e can show our children that here in America, we reject hatred and fear and in difficult times, we don't discard our highest ideals. No, we rise up to meet them. We rise up to perfect our union" (ebd.). Damit spielte sie auch auf Barack Obamas berühmte speech on race "For a more perfect Union" an (Obama 2008). Michelle Obama verkörperte auf diese Weise die Intersektionalität von race und Gender. Sie nutzte diese, um das Publikum auf race- und Gender-Solidarität zu verpflichten. Und sie tat das mittels der Kritik an der Sexualpolitik des Kandidaten. Eines der ersten Manifeste der Neuen Frauenbewegung hieß Sexual Politics (1970). Die Autorin, Kate Millett, hatte damals die Erkenntnis, dass es Zeit für einen second wave feminism sei, mit einem Hinweis auf die amerikanischen race-Verhältnisse begründet. Sich aus der sexuellen Unterdrückung durch Männer zu befreien, sei politisch, weil man in der Bürgerrechtsbewegung der Afroamerikanerinnen gelernt habe, dass Weißen kein Geburtsrecht zur Beherrschung schwarzer Menschen zustehe, sondern dass deren Unterdrückung eine politische sei. Die Frauen seien die letzte Gruppe, die quasi durch ein Geburtsprivileg, nämlich das männliche, beherrscht würden. Diesen Tatbestand gelte es politisch zu bekämpfen (Millett 2000 Eine race-sensible Kritik von Sexualpolitik kann also ein machtvoller Hebel sein, in Herrschaftsverhältnisse zu intervenieren. Betrachtet man gegenwärtig die deutschen Kontroversen um Sexismus, die sich um die Ereignisse in der Silvesternacht 2015 von Köln und die sexistischen Verfehlungen von CDU-Politikern in Berlin 2016 entzündeten (Lau 2016), ist eine Verschärfung und Präzisierung der Kritik von Sexualpolitik ebenfalls geboten. Bei uns wird weniger selbstverständlich als in den USA von einer Verschränkung von Sexismus und Rassismus ausgegangen, obwohl sexualpolitische Diskriminierung von Muslimen und der Komplex Köln allen Anlass dazu böten. Die hier unter dem Stichwort Sexualpolitik versammelten Aufsätze verstehe ich insofern als einen Beitrag zu diesem Unternehmen. Ich möchte die Einleitung dieses Buches zum Anlass nehmen, den Bedeutungsraum national und inhaltlich unterschiedlichster Vorstellungen von Sexualpolitik auszuloten, mein Verständnis davon zu verdeutlichen, um an die politische Potenz von Kritik an Sexualpolitiken zu erinnern. Im Titel dieser Einleitung habe ich diese Suchbewegung Archäologie genannt. Die Metapher soll ein Wissen bezeichnen, das unter der Oberfläche liegt und ausgegraben werden muss, bevor es wieder politisch gemacht werden kann. Meine Ausgrabung wird folgenden Weg nehmen: Zuerst wird dem Terminus Sexualpolitik in einer Begriffsgeschichte nachgegangen, um die Fluchtlinien sowohl für ein allgemeines Verständnis als auch für meinen eigenen Gebrauch zu erarbeiten. Dieses werde ich exemplarisch an Deutschen Zuständen rund um Migration überprüfen. Dabei werde ich mir klischierte Vorstellungen von Muslimen in Deutschland ansehen, die ich Abwehrfigurationen nenne, und die sexuell (sexualpolitisch) aufgeladen werden. Dabei konzentriere ich mich auf Verkopplungen von antimuslimischem Rassismus und westlichen Emanzipationsvorstellungen. Im Anschluss daran werden unterschiedliche queer-feministische und gendertheoretische Interventionen in dieses Feld diskutiert. Schließlich wird die These entwickelt, dass Sexualpolitik eine Problematisierungsweise ist, mit der neoliberale Abendländischkeit und Stigmatisierung von (muslimischer) Religion zu einem Überlegenheitsmuster verknüpft werden, das Freiheit sexualisiert und als (sexuell) unfrei angerufene Gruppen rassisiert. Sexualpolitik Begriffsgeschichte Unstrittig ist, dass Sexualpolitik und Geschlecht nicht voneinander zu trennen sind. Weniger selbstverständlich wird, wie bereits erwähnt, eine Verbindung von race und Sexualpolitik angenommen, obwohl race in fast jede sexualpolitisch interpretierbare Situation eine Rolle spielt. Das war nicht nur im Kolonialismus der Fall, wo angeblich primitive Sexualität von weißen Tugendregimen beherrscht wurde (Stoler 2002; Walgenbach 2005), sondern race reguliert auch Maßnahmen der Vereinten Nationen gegen die Überbevölkerung des Globalen Südens (Wichterich 1985). Weiterhin sind race, Ethnizität und immer mehr Religion nicht nur dann im Spiel, wenn es Andere betrifft. Auch Weißsein, Abendländischkeit und Säkularität sind Gruppenmitgliedschaften. Weiße Menschen sind sowohl Akteur_innen als auch Objekte von Sexualpolitik. Sexualpolitik hat nicht nur sachlich und historisch unterschiedliche Gegenstände, sondern auch unterschiedliche lokale Traditionen. Das angloamerikanische Verständnis ist auf sexualisierende Diskriminierung ausgerichtet, ein französisch/europäischer, hauptsächlich von Michel Foucault geprägter, Strang zielt auf staatliche Politiken, die die Regulierung von Bevölkerung durch Sexualität zum Ziel haben. Wenn aus einer deutschen Perspektive über Sexualpolitik gesprochen wird, muss noch ein dritter Strang berücksichtigt werden: eine frühe Verwendung des Begriffs in der kommunistischen Sexpol-Bewegung der Zwischenkriegszeit. Sie war im Reichsverband für proletarische Sexualpolitik organisiert (Rackelmann 1993) und hat bis in die Sexuelle Revolution der Studentenbewegung der Sechziger ausgestrahlt (Gente 1970). Die kommunistische Sexpol-Bewegung hatte eine sozialhygienische und eine sozialrevolutionäre Seite. Es ging einerseits …
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